Donnerstag, 19. April 2018

Verantwortung hat mehrere Seiten



Armut ist kein Honiglecken. Das weiß man. Und dennoch schwindet das Verständnis dafür rapide. Schon gar das Verständnis dafür, Menschen zu helfen, die vorne und hinten zu wenig haben und die mit dem Leben nicht zurechtkommen. Bei der Hilfe für Kinder ist das nicht viel anders und auch nicht bei der Unterstützung Behinderter. Gar nicht zu reden von sozialen Randgruppen oder gar von Flüchtlingen. Darüber wird in der Gesellschaft heute ganz anders geredet als noch vor zwei, drei Jahren. Da versteckt man seine wahre Meinung nicht mehr und zeigt zumindest so etwas wie political correctness, um nicht als schlechter Mensch dazustehen. Heute hat man viel weniger Scheu, schon einmal zu sagen, was man wirklich denkt, anstatt Verständnis vorzugeben. Heute schaut man eher und ohne schlechtes Gewissen weg, wo man helfen könnte und gibt sein Geld lieber für anderes aus als für irgendwelche Spenden. Und man hat schneller Ratschläge, bei denen man sich vor wenigen Jahren noch auf die Lippen gebissen hätte, statt sie auszusprechen. Sollen arbeiten, sollen Deutsch lernen, sollen nicht so ungesund leben, sollen sich nicht so anstellen.

Dafür, dass es heute so ist, mag man die neue Regierung verantwortlich machen. Jedenfalls, wenn es in den politischen Kram passt. Wie etwa in den politischen Kram der SPÖ, die politisches Profil in der Opposition zu finden sucht. Mit ihrem Verständnis, ein Land und seine Institutionen zu führen, aber hat sie genau zu dem Klima beigetragen, das ihr Vorsitzender jetzt so wortreich und hilflos und zuweilen gar weinerlich anzuklagen versucht.

Für das Klima, für diese Stimmung, unter der man jetzt da und dort leidet und um deretwegen man sich Sorgen macht, sind aber auch viele der Einrichtungen und Organisationen verantwortlich, die sich gerade um diese Gruppen kümmern und die dabei, das sei unbestritten, meist Großartiges leisten. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, allzuoft überzeichnet zu haben, mit Zahlen übertrieben und Dinge gefordert zu haben, die sich immer seltener mit der Erfahrung, der Lebenswelt und den Ansichten der breiten Bevölkerung in Einklang bringen ließen. Die Mindestsicherung und die Diskussion darüber ist nur ein Beispiel dafür.

Zu oft haben sich all die, die es gut meinen, offenbar auch vor Falsche gestellt. Aus welchen Gründen und mit welchen Motiven auch immer. Und just damit machten sie es Parteien leicht, ihre Strategien zu entwickeln, um an die Mehrheit zu kommen. Weniger wäre oft mehr gewesen. Und eine Umkehr zur rechten Zeit würde wohl heute vieles ersparen. Vieles an politischem Streit, vieles an Verbitterung und vieles auch an Maßnahmen, die nun vielen so unverständlich scheinen.

Laut dem Thinktank Agenda Austria wird in Österreich jährlich mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung, das sind mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr, "zur Bekämpfung der Armut" ausgegeben. Wenn in Österreich dennoch mehr als eine Millionen Menschen als arm gelten, kann fehlendes Geld wohl kaum der Grund dafür sein. Da muss es an anderem liegen. Daran, dass von dem Geld zu viele bekommen, die es eigentlich nicht brauchen und daran, dass es viel zu oft die Falschen bekommen, die sich die Dinge richten, wie sie ihnen genehm sind.

Genau das glauben offenbar mittlerweile so viele Menschen in Österreich, dass sie sich im Vorjahr für einen Neuverteilung der politischen Gewichte entschieden. Das ist ihr gutes Recht.

Das aber soll, und diese Tendenz wird immer deutlicher spürbar, nicht dazu führen, dass just genau die, die wirklich Hilfe brauchen, die in Not sind und die mit ihrem Leben nicht zurande kommen, nicht mehr gesehen werden. Dass über alle drüber gefahren wird und dass man gar nicht mehr genau hinschaut. Dass ihnen das Verständnis verweigert wird und in der Folge die Hilfe. Dass man über Armut, über soziale Randgruppen, über Flüchtlinge nur mehr abfällig redet, statt zu helfen und dass man auch gar nicht mehr versucht, zumindest denen zu helfen, die zu helfen versuchen und den Einrichtungen und Organisationen, die sich der Hilfe und Unterstützung verschrieben haben, nicht mehr unter die Arme greift.

Dafür ist unser Sozialstaat ein viel zu hohes Gut. Eines, das mit allen Mitteln zu erhalten ist, das Sensibilität verlangt, das aber auch ständiger Anpassung bedarf -um seine Aufgaben für jene, die es brauchen, auch in Zukunft erfüllen zu können.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. April 2018

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