Donnerstag, 11. Januar 2018

Die sedierte Republik



Die Koalition erfreut sich prächtiger Stimmung, heißt es. Der Rest des Landes freilich wirkt, alles in allem, immer noch sediert. Die Betäubung durch die über Monate verabreichten, wohl dosierten und gefällig verpackten türkis-blauen Sedativa mag sich nicht recht lösen.

Widerstand, der sich da und dort bei Themen wie Mindestsicherung, Beendigung des Arbeitsmarktprogrammes für über 50-Jährige, Straffung des Asylwesens oder Kürzung der Familienbeihilfe für Nicht-Österreicher und anderem mehr zu formieren versucht, verpufft. Ohne viel Wirkung. Man tut sich schwer die neue Regierung zu fassen. Die eingelernten und gewohnten Interpretations- und Streitmuster funktionieren nicht mehr. Zumindest einstweilen. Wohlwollend beklatscht man viel lieber schier alles, was von der Regierung kommt. Wie in diesen Tagen den "Familienbonus" - auch wenn nicht klar ist, woher das Geld dafür kommt.

Es gibt keine scharfen Diskussionen und keine pointierten Analysen. Nicht mehr denn als Murren vermag man zu bezeichnen, was bisher als Kritik zu vernehmen war. Der ehemalige Bundespräsident befürchtet, dass die vielen Generalsekretäre in den Ministerien die Demokratie gefährden könnten, der ehemalige Kanzler spielt trotziges Kind, das beleidigt alles und jedes, was von der neuen Regierung kommt, schlecht zu reden versucht. Nicht einmal die NGOs haben die Kraft zu Kritik. Die Kommentatoren in den Medien dieses Landes üben sich in bemerkenswerter Zurückhaltung, die anderen politischen Köpfe und Organisationen auch, und auch die Künstler. Die Landeshauptleute verhalten sich still, und selbst die Parteien, die nicht in der Regierung sitzen, schaffen es nicht, Druck aufzubauen.

Man sucht immer noch nach einem Zugang zu dem, was uns die neue Regierung verspricht. Sanft gibt man sich dabei allerorten und nachsichtig. Zurückhaltend und abwartend.

Die einen werden sagen, das alles kann zusammenhängen mit den Weihnachtsfeiertagen und der im Zusammenhang da herrschenden Ruhe im Land. Die anderen, wohl vor allem die Parteigänger der Türkisen und der Blauen, werden die Ruhe im Land wohl als Ausdruck der Zufriedenheit mit der neuen Regierung interpretieren.

Man kann diese eigentümliche Ruhe im Land aber auch interpretieren, dass man die Nase gestrichen voll hat von dem, was war, und als die große Sehnsucht nach Veränderung nach einer Politik, die nicht von Streit und Gezänk beherrscht wird und von gegenseitiger Blockade. Und dafür scheint man bereit, viel in Kauf zu nehmen, was vor Jahresfrist wohl als unerhörte Grauslichkeit noch nicht durchgegangen wäre. Jetzt zuckt man mit den Achseln.

Das freilich öffnet auch Schleusen, die man eigentlich besser geschlossen sehen will. Der Ton ist dabei, ein anderer zu werden, Masken werden bereits fallen gelassen. Was sich früher auf die Freiheitlichen beschränkte, ist jetzt dabei, Gemeingut zu werden. Ungeniert werden Posten besetzt. Büros von Parteiorganisationen werden abgespeckt und ausgelagert in Einrichtungen, die aus öffentlichen Geldern bezahlt werden. Selbst von Ministeriums-offiziellen Twitter-Accounts aus werden Parteischarmützel geschlagen und wird über "die Linke" gelästert. Und ein ehemaliger Schwarzer Wiener Stadtparteichef verteidigt die von den Freiheitlichen ventilierte Idee, die Asylsuchenden in Lagern zusammenzufassen, damit, dass es auch bei österreichischen Kuraufenthalten ab 22 Uhr eine verpflichtende Nachtruhe gebe und fragt so hämisch wie zynisch: "Verstößt das eigentlich gegen die Menschenrechte?". Von Flüchtlingen wird immer öfter nur mehr abfällig und ohne jeden Respekt geredet.

Aber daran mag sich derzeit noch niemand stoßen. Nicht daran, dass eigentlich immer noch nicht klar ist, wohin die Reise in diesem Land geht. Auch nicht daran, dass man bei der Befriedigung der Instinkte der eigenen Wähler oft die Falschen trifft und man sich, wie bei der Kürzung der Familienbeihilfe, die vor allem die Altenpflegerinnen aus dem Osten zu spüren bekommen werden, ins eigene Fleisch schneidet. Und auch nicht daran, dass man denen, denen man unter die Arme zu greifen versprach, nicht wirklich hilft damit.

Aber sonst? Da entsprechen Bild und Arbeit der neuen Regierung in Wirklichkeit wohl eher dem, das der Justizminister Josef Moser in einem ZIB-2 Interview zeichnete. Der Kernsatz dabei: "Die Schritte sind am Weg."

Wie immer man sich das vorstellen mag -aber selbst das wird derzeit in diesem Land dankbar auf-und hingenommen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. Jänner 2018

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1