Donnerstag, 16. November 2017

"Paradise" in uns



Auf der Rennstrecke bewundert man seine Schlitzohrigkeit. Als sein Name in den Paradise Papers auftauchte und ruchbar wurde, dass er mit einer simplen Zwischenlandung auf der Isle of Man beim Überstellungsflug von den USA nach Europa beim Kauf seines Privatjets mehr als vier Millionen Dollar an Mehrwertsteuer sparte, war das anders. Mit einem Mal fand sich der Formel 1 Champion Lewis Hamilton im Zentrum der internationalen Empörung über Superreiche, Politiker und Unternehmen, die sich auf das Nutzen von Steuerschlupflöchern verstehen, ihre Zahlungspflichten optimieren und ihr Geld in Steuerparadiesen vor dem Zugriff des Fiskus in ihren Heimatländern zu schützen wissen.

Die Aufregung ist wieder einmal groß. Und das Staunen auch. Die Namen von Leuten wie der britischen Queen finden sich auf den Listen, die in der Vorwoche veröffentlicht wurden, die von Künstlern wie dem U2-Sänger Bono oder der von Trumps Handelsminister Wilbur Ross. Gar nicht zu reden von den Namen der internationalen Konzerne, die bei den Recherchen gefunden wurden - Nike, Apple, Siemens, die Deutsche Bank oder die Deutsche Post.

Angesichts der Summen, die sie sich allesamt ersparten, sind die Aufregung, das Staunen und die Verärgerung verständlich. Aber, auch wenn die Relationen ganz andere sind, im Grund (einmal unterstellt, dass sie keine Gesetze verletzten, was bei den meisten, die in dem Zusammenhang genannt wurden, der Fall sein dürfte) taten sie nichts anderes, als alle tun -sie versuchten, möglichst wenig Steuern zu zahlen und gesetzliche Möglichkeiten, die ihnen das System bietet, zu nutzen.

Das ist auch bei uns üblich. Ganze Branchen leben davon. Wirtschaftstreuhänder, Steuerberater, Rechtsanwälte. Allerorten sucht man nach Möglichkeiten, die Steuerlasten möglichst gering zu halten.

Das ist bei den großen Unternehmen so, bei den Gewerbetreibenden und sogar bei den Bauern, die sich -ohne ein Gesetz zu verletzen -auf den steuerschonenden Umgang mit der Buchführungsgrenze verstehen. Und es ist auch bei vielen unselbständig Erwerbstätigen so. Denn wer sich den Jahresausgleich holt, tut im Kern nichts anderes. Und wer das nicht tut, ist selber schuld, wird dann gerne und ohne Mitleid denen entgegengehalten, die sich die Mühe nicht machen.

Dieses Muster ist aber auch in anderen Bereichen erkennbar. Wer sich hierzulande nicht drauf versteht, etwa all die angebotenen Förderungen, vom Wohnbau-bis zum ERP-Kredit, für sich zu nutzen, wird mitleidig belächelt, wenn nicht gleich für dumm gehalten. Unbesehen davon, ob er sie braucht oder nicht. Wer auf eine Förderung verzichtet und sich nicht darum kümmert, erntet meist nichts denn ungläubiges Kopfschütteln.

Und das Muster ist auch zu erkennen bei der Inanspruchnahme von Leistungen im Sozial-und Gesundheitsbereich. Der Bogen reicht von den einfachen Beihilfen bis hin zu ausgiebigen Kurbehandlungen. Wer nicht nimmt, was er bekommt und wer sich nicht darum kümmert, was er bekommen kann, erntet rundum Kopfschütteln und Unverständnis.

Das Verhalten ist ganz und gar nicht auf Superreiche irgendwo beschränkt. Es steckt auch in allen von uns. Und es steckt auch in denen, die sich jetzt so besonders aufplustern. Denn was war der unselige SP-Wahlkampfslogan sich zu "holen, was einem zusteht" anderes, als eine Variation dieses Verhaltens, das man den Superreichen und den Unternehmen vorhält?

Das alles ändert freilich nichts daran, dass der Handlungsbedarf groß ist. In der Schuld stehen aber nicht die Superreichen und die Konzerne. In der Schuld steht die Politik. Die in der EU, die in den USA und wohl auch die in Russland. Dort sitzen die Verantwortlichen, die dem Treiben mit oft allzu viel Wohlwollen zusehen. Die Isle of Man etwa gehört nicht zur EU, sondern untersteht direkt der britischen Krone, im US-Bundesstaat Delaware gibt es wegen der besonders günstigen Steuergesetzgebung hunderttausende Briefkastenfirmen und auch in der EU haben auch nach Jahren der Kritik immer noch viele Staaten nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Man kennt die Namen und man kennt die Steueroasen. Aber man schaut immer noch zu.

Auch Österreich. Gerade in den vergangenen Tagen geriet Finanzminister Schelling wegen seines Bremskurses in Brüssel wieder in die Kritik. Nicht nur von dritter Seite. Auch sein Parteikollege, der EU-Parlamentarier Othmar Karas, attackierte ihn scharf.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. November 2017

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