Donnerstag, 30. November 2017

Neue Töne zwischen Verkitschung und Verachtung



Über Landwirtschaft zu reden ist schwierig. Da gibt es immer öfter nur schwarz und weiß, aber nichts dazwischen. Verkitschung und Verherrlichung oder Verachtung und Herabwürdigung. Mitte scheint es keine zu geben.

Es sind selten Fakten, die die Diskussion bestimmen, sondern immer öfter Emotionen. Die Bauern sind nicht glücklich damit. Und sie fahren auch nicht gut damit. Die Art und Weise, wie über die Landwirtschaft geredet wird, hat sie längst zum Spielball gemacht. Zum Spielball der Politik, des Handels, der Medien oder der NGO. Zum Spielball aber auch von Gruppen innerhalb der Bauernschaft. Von denen zuweilen sogar am ärgsten. Gerade da fehlt oft jedes gegenseitige Verständnis, sehr viel eher neigt man dazu, sich auf dem Rücken von Standeskollegen zu profilieren, um in der Öffentlichkeit besser da zu stehen. Da hat man keine Scheu, andere Produktionssparten oder Produktionsweisen schlecht zu machen, um selbst in besserem Licht zu erscheinen.  

Dabei ist gerade in den vergangenen Jahren die Sache der Landwirtschaft insgesamt unter die Räder gekommen. Diskussionen sind schwierig bis unmöglich geworden, Argumente werden nicht mehr gehört, vergessen wird, dass die Landwirtschaft ein Wirtschaftszweig mit wichtigen Aufgaben ist - und kein Schrebergarten. Das Bild, das sich die Gesellschaft von der Landwirtschaft macht, hat mittlerwiele kaum mehr etwas mit dem zu tun, wie die Bauern ihre Aufgabe und ihre Arbeit sehen.

Bemühungen, das zu ändern, gibt es. Ihr Erfolg ist aber bisher sehr überschaubar geblieben. Auch weil sich der landwirtschaftliche Apparat und die Verantwortlichen nicht von den eingefahrenen Geleisen zu lösen vermögen.

Wie das gehen könnte, zeigen neuerdings Einrichtungen, die nichts mit Kammern, Bauernbund oder Verbänden zu tun haben. Bemerkenswert und wohltuend frei von Verkitschung und Verächtlichmachung etwa ist die Arbeit des Vereins „Land schafft Leben“ hinter dem der Lebensmittelhandel und große Lebensmittelerzeuger wie die heimischen Molkereien stehen. Bemerkenswert  war zuletzt auch die Aufbereitung des Themas Boden und Bodenverbrauch durch die Rechercheplattform „Addendum“ von Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz. So, wie dort die Themen angegangen und aufbereitet werden, wünscht man sich das. Sachlich, ohne Pathos und ohne große Agitation in die eine oder die andere Richtung.

Daraus kann etwas entstehen, was den tatsächlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft entspricht. Ob man das aber auch erreichen wird, ist freilich noch offen. Zahlen etwa über Zugriffe im Internet oder Ähnliches, an dem sich die Wirkung messen ließe, gibt es nicht.

Das freilich gibt es auch im angestammten Bereich nicht. Von dort weiß man, dass die Wirkung überschaubar ist. Die „Klartext“-Veranstaltungen der Landwirtschaftskammern werden vorwiegend von Fachleuten aus dem eigenen Umfeld besucht. Und das „Netzwerk Kulinarik“, vor mehr als zwei Jahren vom Landwirtschaftsminister als das Zukunftsvehikel für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit groß angekündigt, hat immer noch wenig vorzuzeigen. Außer, dass inzwischen der Geschäftsführer, aber auch das Zugpferd Werner Lampert abhanden gekommen sind.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land Dezember/2017

Eine Gesellschaft verweigert Respekt



"Asylanten mehr gefürchtet als Keime" titelte dieser Tage die Gratiszeitung "heute", die der Frau Dichand gehört. In anderen Blättern waren Schlagzeilen zu finden wie "Zu wenig Abschiebungen","Asylanten sind neunmal krimineller als Inländer","Zu oft ins Bordell gegangen - warum bekam der Vergewaltigungs-Afghane unser Steuergeld?" oder "Skandal: Abgelehnte Asylwerber bekommen Taschengeld und Mietzuschuss". Oder man befindet schlicht und mit dem entsprechenden Unterton, dass es "kaum Kriegsflüchtlinge" gebe.

Aus Meldungen wie diesen wird seit Jahren in Österreich eine ausländerfeindliche Stimmung genährt, die man als gelernter Österreicher zwar immer für möglich gehalten hat, die aber inzwischen öfter in nackte Verachtung kippt. "Gefühllosigkeit den anderen gegenüber scheint sozial akzeptabel geworden zu sein -je herzloser, desto besser" schrieb kürzlich die Kommentatorin einer bürgerlichen Tageszeitung. Sie ortet eine Grundstimmung, "die immer mehr auf Gleichgültigkeit bis Bösartigkeit Ausländern/Flüchtlingen gegenüber abzielt -medial und politisch stark befördert."

Flüchtlinge werden inzwischen hierzulande oft ausschließlich als Gefahr und Bedrohung und als Sozialschmarotzer, Vergewaltiger, Gauner und Verbrecher wahrgenommen, die nichts wollen, als unser Geld und vor denen man sich fürchten muss. Und Respekt ist im Zusammenhang damit eine Kategorie, die es ohnehin nicht zu geben scheint.

Es mag ja viel schiefgelaufen sein in den vergangenen Jahren, es mag auch viele Flüchtlinge geben, die nicht von Not getrieben sind, sondern nur im Sinn haben, in unserer Sozialsystem einzuwandern, und der Umgang damit ist wohl in der Tat die größte politische Herausforderung unserer Zeit -aber rechtfertigt das, alle über einen Kamm zu scheren und alle nur mehr für Gauner und Schmarotzer zu halten und verächtlich und mit eindeutigem Unterton von ihnen zu reden?

Warum wird vergessen, dass die allermeisten gekommen sind, weil ihre Heimat zerbombt wurde, weil sie oft verfolgt wurden und weil sie keine Zukunft mehr sahen? Warum wird vergessen, was diese Menschen erlebt und gesehen haben und was sie oft Ungeheures durchgemacht haben?

Warum, so fragt man sich, redet davon niemand? Warum gibt es nur die Berichte von dem, was schief läuft, warum gibt es aber nicht die anderen Geschichten über die Flüchtlinge, die Geschichten, die zeigen und erklären, was sie mitgemacht haben, was sie antreibt und womit sie fertig werden wollen und müssen? Es kümmert sich niemand um die Geschichten der Flüchtlinge und niemand darum, sie und ihr Schicksal in ein anderes Licht zu setzen, als das, das Zeitungen wie "heute","Krone" und andere erzeugen? Nicht die Politik, nicht die Kirche und schon gar nicht die Medien.

Dabei gäbe es diese Geschichten. Da gibt es den Studenten aus Syrien, der vor zwei Jahren als Bootsflüchtling nach Österreich kam. Ein aufgeweckter junger Bursch mit lockigem Wuschelkopf und lebendigen Augen, der sich der Kunst verschrieben hat. Es hat schnell Deutsch gelernt, er hat es geschafft an der Kunstuni unterzukommen, er hat inzwischen seine eigene Wohnung, er kämpft seit Jahren. Er dreht jeden Euro dreimal um, spart über Tage zusammen, um sich ein paar Happen zum Essen leisten zu können und arbeitet an seinem Traum vom Leben als Künstler.

Es gibt wohl dutzende, hunderte, tausende wie ihn. Aber von ihnen hört man kaum etwas. Sondern immer nur von "Vergewaltigungs-Afghanen", "Drogen-Asylanten" und "Problem-Asylanten".

Es scheint so, als weigere sich die Gesellschaft, zu einem normalen und sachlichen Verhältnis zu den Flüchtlingen zu finden. Die Politik scheint sie dabei zu unterstützen. Schon wer alleine Augenmaß einmahnt im Umgang mit diesen Menschen und bei den Maßnahmen, die man setzen will, hat keine guten Karten. Es ist auch das Interesse daran, das fehlt.

Der Sache selbst erweist man wohl keinen guten Dienst. Viele eher scheint es, als schiebe man all die Probleme, die sich zunehmend auftürmen, lediglich vor sich her. Die Probleme selbst aber bleiben viel zu oft ungelöst.

Die Emotionen, wie sie allerorten geschürt werden, sind dabei alles andere als nützlich. Und die Untätigkeit, die damit einhergeht, auch. Auch die der Politik, die sich allein darauf zu beschränken scheint, die Grenzen dicht zu machen und den finanziellen Aufwand zu minimieren, die aber vor den tatsächlichen Aufgaben der Integration die Augen verschließt.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. November 2017

Donnerstag, 23. November 2017

Leichtes Spiel für falsche Ansichten



Am vergangenen Samstag endete in Bonn die jährliche UN-Weltklimakonferenz. Es war die 23.  Das Ergebnis war bescheiden, das Echo auch. Seit Jahren kommt kaum etwas dabei heraus und kaum jemand hört noch hin. Seit Jahren steckt man im Klimaschutz, abgesehen von wenigen Erfolgen, wie dem Weltklimaabkommen im Vorjahr in Paris, vor allem in technischen Fragen fest. Inzwischen feiert man sogar, dass das Syrien des Schreckensherrschers Baschar al-Assad dem Weltklimaabkommen beitritt, während man keine Handhabe gegen die USA eines Donald Trump hat, die dabei sind, genau dieses Abkommen einseitig aufzukündigen.

Dabei ist die Lage ernster denn je. "Wenn wir so weitertun wie bisher, ist schon in zwölf Jahren die Erderwärmung um zwei Grad erreicht, die noch vor wenigen Jahren für das Ende dieses Jahrhunderts erwartet wurde", heißt es inzwischen.

Aber die Warnungen verfangen nicht mehr. Der Zeitgeist ist ein anderer geworden. Die Gefahren fürs Weltklima werden immer öfter ignoriert und die drohende Katastrophe verleugnet. Gehört werden nicht mehr die Warner, gehört werden immer öfter die, die den drohenden Klimawandel bestreiten und für ein leeres Gerede halten. Es wird in immer breiteren Kreisen nachgerade schick, den Klimawandel anzuzweifeln und gleich zu leugnen, die warnenden Erkenntnisse zu verteufeln und Klimaphänomene mit allem anderen zu erklären als mit der Umweltbelastung durch den Menschen.

Politiker wie Donald Trump, aber auch rechte europäische Parteien wie die FPÖ und andere, wissen diese allerorten zum Trend werdende Entwicklung zu befeuern und für sich zu nutzen. Geht es so weiter, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis ihre Einschätzungen zum Klimawandel zum Mainstream werden.

Sie haben freilich ein leichtes Spiel. Denn jene, denen der Umwelt-und Klimaschutz ein Anliegen ist, arbeiten ihnen seit Jahren und Jahrzehnten in die Hände. Nie ist es ihnen gelungen zu Partnern der Menschen zu werden. Im Gegenteil. Vieles der Umweltpolitik der vergangenen Jahre war für immer mehr Menschen nicht mehr nachvollziehbar, zumal auch eine positive Wirkung nicht erkennbar war. Immer mehr Menschen fühlten sich überfordert und gehänselt. Vor allem dort, wo die Menschen von Maßnahmen direkt tangiert werden, wurden sie zunehmend als weltfremde Quälgeister empfunden, als Besserwisser, ohne Ahnung vom Leben und seinen Anforderungen.

Der Umwelt-und Klimaschutz hat im Lauf der vergangenen Jahre einen Drall bekommen, der immer mehr Menschen sauer aufstieß und misstrauisch werden ließ. Der stets erhobene Zeigefinger und die ständigen, oft oberlehrerhaften Belehrungen stießen zunehmend auf Ablehnung. Und die rasant wachsende Geschäftstüchtigkeit der NGOs ließen die Skepsis wachsen.

Zu oft erschöpfte sich die Klima-und Umweltpolitik in einer hohlen Symbolik oder verrannte sich in ein unübersichtliches Maßnahmenwirrwarr, das sich alsbald als bedeutungslose Nebenfront zeigte, während die großen Probleme unangetastet blieben. Nur ein Beispiel: Obwohl die deutschen Autohersteller über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte mit ihren Dieselfahrzeugen die Kunden betrogen und auch die Klimapolitik getäuscht haben, werden sie nach wie vor hofiert, während die heimischen Bauern, die vor der Saat gezielt Glyphosat einsetzen wollen, um später mit weniger Pflanzenschutz auszukommen, seit Monaten als Umweltvergifter allerersten Ranges an den Pranger gestellt werden.

Da nimmt nicht wunder, dass sich wieder immer mehr Menschen dem Thema Umweltschutz gegenüber verschließen und lieber den Trumps und Straches und ihren Einschätzungen zu Klima und Umwelt folgen. Nicht ohne Grund tun sich Parteien wie die Grünen in diesem Umfeld viel schwerer, als sie sich schon einmal getan hatten -und das nicht nur wegen der selbstverschuldeten Querelen.

Für Umwelt und Klima freilich sind diese Entwicklungen wahrscheinlich fatal und für eine wirksame Umweltpolitik eine harte Prüfung. Darum führt kein Weg darum herum, neue Zugänge zu finden in der Vermittlung des Themas und in die Köpfe der Menschen respektive der Politiker. Vernunft und Augenmaß sind von allen Seiten einzufordern.

Zweifel sind freilich durchaus angebracht, dass das gelingt, denkt man nur an das Geschrei, wenn von höheren Flugpreisen oder höheren Preisen fürs Essen nur die Rede ist. Dabei macht beim Klimaschutz erst billig alles ganz schön teuer -und gefährlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. November 2017

Donnerstag, 16. November 2017

"Paradise" in uns



Auf der Rennstrecke bewundert man seine Schlitzohrigkeit. Als sein Name in den Paradise Papers auftauchte und ruchbar wurde, dass er mit einer simplen Zwischenlandung auf der Isle of Man beim Überstellungsflug von den USA nach Europa beim Kauf seines Privatjets mehr als vier Millionen Dollar an Mehrwertsteuer sparte, war das anders. Mit einem Mal fand sich der Formel 1 Champion Lewis Hamilton im Zentrum der internationalen Empörung über Superreiche, Politiker und Unternehmen, die sich auf das Nutzen von Steuerschlupflöchern verstehen, ihre Zahlungspflichten optimieren und ihr Geld in Steuerparadiesen vor dem Zugriff des Fiskus in ihren Heimatländern zu schützen wissen.

Die Aufregung ist wieder einmal groß. Und das Staunen auch. Die Namen von Leuten wie der britischen Queen finden sich auf den Listen, die in der Vorwoche veröffentlicht wurden, die von Künstlern wie dem U2-Sänger Bono oder der von Trumps Handelsminister Wilbur Ross. Gar nicht zu reden von den Namen der internationalen Konzerne, die bei den Recherchen gefunden wurden - Nike, Apple, Siemens, die Deutsche Bank oder die Deutsche Post.

Angesichts der Summen, die sie sich allesamt ersparten, sind die Aufregung, das Staunen und die Verärgerung verständlich. Aber, auch wenn die Relationen ganz andere sind, im Grund (einmal unterstellt, dass sie keine Gesetze verletzten, was bei den meisten, die in dem Zusammenhang genannt wurden, der Fall sein dürfte) taten sie nichts anderes, als alle tun -sie versuchten, möglichst wenig Steuern zu zahlen und gesetzliche Möglichkeiten, die ihnen das System bietet, zu nutzen.

Das ist auch bei uns üblich. Ganze Branchen leben davon. Wirtschaftstreuhänder, Steuerberater, Rechtsanwälte. Allerorten sucht man nach Möglichkeiten, die Steuerlasten möglichst gering zu halten.

Das ist bei den großen Unternehmen so, bei den Gewerbetreibenden und sogar bei den Bauern, die sich -ohne ein Gesetz zu verletzen -auf den steuerschonenden Umgang mit der Buchführungsgrenze verstehen. Und es ist auch bei vielen unselbständig Erwerbstätigen so. Denn wer sich den Jahresausgleich holt, tut im Kern nichts anderes. Und wer das nicht tut, ist selber schuld, wird dann gerne und ohne Mitleid denen entgegengehalten, die sich die Mühe nicht machen.

Dieses Muster ist aber auch in anderen Bereichen erkennbar. Wer sich hierzulande nicht drauf versteht, etwa all die angebotenen Förderungen, vom Wohnbau-bis zum ERP-Kredit, für sich zu nutzen, wird mitleidig belächelt, wenn nicht gleich für dumm gehalten. Unbesehen davon, ob er sie braucht oder nicht. Wer auf eine Förderung verzichtet und sich nicht darum kümmert, erntet meist nichts denn ungläubiges Kopfschütteln.

Und das Muster ist auch zu erkennen bei der Inanspruchnahme von Leistungen im Sozial-und Gesundheitsbereich. Der Bogen reicht von den einfachen Beihilfen bis hin zu ausgiebigen Kurbehandlungen. Wer nicht nimmt, was er bekommt und wer sich nicht darum kümmert, was er bekommen kann, erntet rundum Kopfschütteln und Unverständnis.

Das Verhalten ist ganz und gar nicht auf Superreiche irgendwo beschränkt. Es steckt auch in allen von uns. Und es steckt auch in denen, die sich jetzt so besonders aufplustern. Denn was war der unselige SP-Wahlkampfslogan sich zu "holen, was einem zusteht" anderes, als eine Variation dieses Verhaltens, das man den Superreichen und den Unternehmen vorhält?

Das alles ändert freilich nichts daran, dass der Handlungsbedarf groß ist. In der Schuld stehen aber nicht die Superreichen und die Konzerne. In der Schuld steht die Politik. Die in der EU, die in den USA und wohl auch die in Russland. Dort sitzen die Verantwortlichen, die dem Treiben mit oft allzu viel Wohlwollen zusehen. Die Isle of Man etwa gehört nicht zur EU, sondern untersteht direkt der britischen Krone, im US-Bundesstaat Delaware gibt es wegen der besonders günstigen Steuergesetzgebung hunderttausende Briefkastenfirmen und auch in der EU haben auch nach Jahren der Kritik immer noch viele Staaten nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Man kennt die Namen und man kennt die Steueroasen. Aber man schaut immer noch zu.

Auch Österreich. Gerade in den vergangenen Tagen geriet Finanzminister Schelling wegen seines Bremskurses in Brüssel wieder in die Kritik. Nicht nur von dritter Seite. Auch sein Parteikollege, der EU-Parlamentarier Othmar Karas, attackierte ihn scharf.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. November 2017

Donnerstag, 9. November 2017

Ein Land in der Umkleidekabine



85 der insgesamt 183 Mandatare des künftigen Nationalrates, die am Donnerstag dieser Woche angelobt werden, sind neu. Bei der ÖVP stellen die Neuen sogar die klare Mehrheit. Alleine diese Zahlen zeigen, dass die Wahlen am 15. Oktober in diesem Land ein tiefer Einschnitt waren -so wie auch die Verschiebung der Machtverhältnisse, der Wechsel von der ewigen großen Koalition, die den Menschen schon so auf die Nerven ging, zu einer, wie es aussieht, neuen Koalition, ein tiefer Einschnitt ist. Die Menschen hatten genug vom ewigen Herumnudeln, vom Aussitzen, vom Intrigieren und vom Blockieren. Sie wollten die Veränderung. Da nahmen und nehmen viele auch die FPÖ in Kauf. Hauptsache es wird anders, war die Devise. Nur nicht mehr das Alte.

Seither ist das Land freilich in einer eigentümlichen Stimmung. Die einen lecken die Wunden und haben Probleme die Realität irgendwie zu fassen. Die anderen spüren, dass sie die Stimmung nicht wie seinerzeit bei Schwarz-Blau I so sehr auf ihrer Seite haben, um damit eine Protestwelle im Land, aber auch auf internationaler Ebene auszulösen. Überall ist man damit beschäftigt, sich neu zu ordnen und sich zu sortieren. Es wirkt, als wäre das ganze Land in der Umkleidekabine, um sich auf das Neue vorzubereiten, das gewählt wurde.

Dass das Leuten wie Christian Kern schwer fällt, verwundert nicht. Sein Lamentieren über die verlorenen Wahlen will nicht enden. Der Schmerz und die Wut müssen ungeheuer tief sitzen. Von einem "Durchputzprozess" redet er und davon, dass die SPÖ "gute Chancen" habe "in fünf Jahren zurückzukehren". Nach wie vor ist keine Einsicht in die eigenen Fehler und die Fehler und auch Schwächen seiner Partei zu erkennen. Er scheint immer noch zu glauben, dass es die Wähler waren, die geirrt haben.

Wie verzweifelt die Stimmung sein muss, zeigt ein Tweet des Kern-Masterminds und Biographen Robert Misik, der nach dem Abtritt von Pilz allen Ernstes darüber jammerte, dass die SPÖ möglicherweise stärkste Partei geworden wäre, wäre Pilz bei den Grünen geblieben. "Hätte Pilz das Ergebnis des grünen Buko akzeptiert, wäre SPÖ möglicherweise stärkste Partei und Grüne mit wohl ca. 8 Prozent im NR", schrieb er in der Tat. Es war freilich bittere Häme, die er erntete. "Hätte meine Großmutter 4 Räder, wäre sie ein Autobus", wurde ihm entgegnet.

Der Seelenzustand der Grünen ist kaum ein anderer. Sie sind nicht nur geschlagen damit, mit einem plebiszitären und finanziellen Supergau fertig werden zu müssen. Dass just jener Peter Pilz, der sie mit seinem Wahlergebnis ins Out schickte, nun selbst stürzte, ist eine zusätzliche Ohrfeige, die in ihrer Bösartigkeit gar nicht zu beschreiben ist.

Nicht nur die beiden geschlagenen Parteien tun sich schwer, mit den neuen Verhältnissen zurechtzukommen. Selbst die Kommentatoren und Analysten im Land tun sich immer noch schwer, die Dinge neu einzuordnen. Und auch die, die sich jetzt als Opposition sehen. Die Angriffe wirken lau und meist halbherzig. Und werden doch Angriffe auf Strache oder auch Kurz versucht, verpuffen sie schnell und wirken hilflos und zuweilen weinerlich. Der Widerstand gegen eine schwarz-türkise Koalition mit den Blauen mag nicht in die Gänge kommen. Da hilft auch kein salopper Sager eines kanadischen Premierministers, der Kurz durch einen Vergleich mit Trump anpatzte.

Während rundherum also alle mit sich beschäftigt sind, scheinen einzig die Wahlsieger, Sebastian Kurz und HC Strache, zu arbeiten. "Mir ist es wichtig, dass wir rasch für Klarheit in Österreich sorgen", lässt Sebastian Kurz mediengerecht allerorten wissen und gibt den Takt vor. Bisher ist von einem Streit nichts zu hören. "Kuschelig" wird das inzwischen genannt. "Es hat so etwas noch nicht gegeben", zeigt sich selbst Professor Anton Pelinka überrascht.

Es wird möglicherweise freilich nicht so bleiben. Denn, mit dem Tsunami zurechtzukommen, mit dem Kurz die Partei durchschüttelte, fällt nicht wenigen in der ÖVP schwer. Das gilt für die Bünde genauso wie für die Landeshauptleute und Abgeordneten, die sich mit einem Mal in einer völlig anderen Umgebung finden. Das Grummeln wird lauter. Nicht nur die roten, auch die schwarzen Sozialpartner sind in hellem Aufruhr wegen der Veränderungen, die möglicherweise kommen. Und nicht allen sind Strache und die Freiheitlichen automatisch Freund.

Und das macht fraglich, ob denn auch alles so "kuschelig" bleibt, wie das derzeit von vielen empfunden wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. November 2017

Samstag, 4. November 2017

Warnung vor falschem Beifall



Manche reiben sich in froher Erwartung schon die Hände. Bei anderen hat das Zittern längst begonnen. Ein Bundeskanzler Kurz im Verein mit einem Koalitionspartner FPÖ und möglicherweise mit Unterstützung der Neos könnte das heimische Kammerwesen ordentlich aufmischen. „Der junge Sebastian Kurz kann mit dem Kammerstaat nicht viel anfangen, die FPÖ hat das rot-schwarz dominierte Sozialpartnerwesen ohnehin stets als feindseliges Gebilde empfunden, in dem sie nichts zu reden hat“, war kürzlich in den Medien zu lesen. „Gemeinsam mit den liberalen Neos hätten ÖVP und FPÖ nun eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern abzuschaffen.“

Dem wohnt zweifellos eine gewisse Logik inne. Die Frage ist aber, ob das auch Sinn machen würde. Vor allem für die Landwirtschaft und für die Bauern. Freilich ist Zwang nie gut zu heißen und freilich kann man die Ansicht vertreten, das Angebot müsse stimmen, dann gebe es auch keine Probleme mit einer freiwilligen Mitgliedschaft. Bloß – die Pflichtmitgliedschaft bei der Landwirtschaftskammer ist mehr als das Abliefern von mancherorts als unangenehm hoch empfundenen Mitgliedsbeiträgen. Den Pflichtbeitrag kann man durchaus auch als Beitrag zur Erhaltung Strukturen einer Solidaritätsgemeinschaft sehen. Gerade für die Bauern gilt das in besonderen Maße.

Kaum ein anderer Berufszweig profitiert von den Kammern und der Pflichtmitgliedschaft so stark, wie die Bauern, deren zahlenmäßiges Gewicht dramatisch geschrumpft ist. Selbst die kritischsten Geister müssen eingestehen, dass die Landwirtschaftskammern für die Bauern durch ihre Grundlagenarbeit, aber auch durch ihre Beratungstätigkeit, einen messbaren Mehrwert schafften, den es andernfalls nicht gäbe. Die Arbeit, die in den Kammern geleistet wird und das agrarische Know-how, das dort angesiedelt ist, wird viel zu oft unterschätzt. Man stelle sich nur vor, wenn die Beratung allein von Wien aus käme und allfällige Verhandlungen mit Gesetzgebern von irgend einer fern angesiedelten Stelle geführt würden. Oder, wenn es nur nach den Interessen jener ginge, die einen freiwilligen Beitrag leisten.

Und, auch das sei gesagt, natürlich ist Pflichtmitgliedschaft bequem für die Landwirtschaftskammern.  Aber das gilt auch anders herum: Die Landwirtschaftskammern sind auch für die Bauern bequem. Sie sind mit Beratung zur Stelle, wenn es um rechtliche Fragen geht oder um Bauprojekte, sie führen den Stift beim Ausfüllen der Förderanträge und passen auf, dass man nichts falsch macht und vieles andere mehr.

Freilich ist es nicht so, dass es in den Bauernkammern keine Verbesserungspotenzial gäbe. Viele Länder haben immer noch einen Nachholbedarf, ihre Strukturen und ihr Angebot anzupassen. Es gibt immer noch nicht die seit Jahren avisierte Bundes-Landwirtschaftskammer, die die Position der Bauern stärken und bündeln soll. Und in der Sozialpartnerschaft ist man längst nicht mehr, als ein Anhängsel.

Aber dabei sollte, davor ist zu warnen, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten. Auch wenn man noch so begeistert ist von der neuen Führung des Landes und ihren Ankündigungen - die Änderungen, die diskutiert werden, und denen auch aus der Landwirtschaft gerne applaudiert wird, können auch die Bauern treffen.

Das gilt gerade für einen Satz, den Sebastian Kurz in einem Interview sagt. „Bei der Landwirtschaft wird es auch Potenziale geben, in der Struktur sparsamer zu sein“.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land 11/17, 4. November 2017
 
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