Donnerstag, 14. September 2017

Österreichs Betonklötze



Anfang August. Der Bundeskanzler eilt, die Ärmel aufgekrempelt, von seinem Schreibtisch hinunter auf den Ballhausplatz, um Wurstsemmeln und Mineralwasser an die hitzegeplagten Bauarbeiter zu verteilen. Macht sich ja gut vor Wahlen, zumal für einen sozialdemokratischen Spitzenkandidaten. Die Krone schrieb noch von Arbeiten an einer neuen Straßenführung und an neuen Gehsteigen. "Die Überraschung ist ihm gelungen", stand tags darauf in der Zeitung, "Danke für Euren Einsatz!" auf Kerns Facebook-Seite. Da war die Welt noch in Ordnung.

Wenige Wochen später war sie es nicht mehr. Da tobte mit einem Mal der Boulevard, als ruchbar wurde, dass "die Arbeiten an einer neuen Straßenführung und an neuen Gehsteigen" nichts anderes waren als die Arbeiten an einer Schutzmauer rund um den Regierungssitz in der Wiener Innenstadt. Im Handumdrehen fand sich das Land mit einem Mal inmitten einer Posse, die österreichischer und wienerischer nicht hätte sein können.

Die Fakten sind bekannt. Das Regierungsviertel sollte geschützt werden mit einer Mauer. Das verleitet natürlich zu Plattheiten, in denen man sich ergehen könnte. "Bunkerstimmung am Ballhausplatz","Angst vor dem eigenen Volk wegen der Politik, die man macht" und so. Darum Beton. Hoch und dick. Niemand wusste von nichts, große Aufregung, dann die Notbremsung von oberster Stelle.

So weit, so billig die Empörung. Verblüffend hingegen sind die Parallelen zwischen der Geschichte dieses Baustellenprojektes und der heimischen Politik. Ein Spiegelbild nachgerade. Sozusagen der Betonstein-Baustelle gewordene Zustand des Landes.

"Bereits 2014 wurde ein Sicherheitskonzept ausgearbeitet", heißt es in einer Chronologie, die der Kurier veröffentlicht hat. Im Frühjahr 2015 dann seien Innenministerium, Verfassungsschutz und die Wiener MA 48 konkreter geworden. "Granitelemente waren geplant." Man kennt das, zahlreiche Projekte in diesem Land beginnen so. Viele Stellen, die mitreden, einigermaßen schnelle Einigung, aber wenig konkrete Termine. Hauptsache, man kann etwas herzeigen. Und dann einmal Pause. Österreich halt.

"Im Oktober 2016" war dann von Granitmauern in der Höhe von 60 Zentimetern die Rede. Auch das ist Österreich. Fast eineinhalb Jahre Pause und dann immer neue Vorschläge. Ohne dass freilich etwas geschieht. Aber immer neue Stellen, die mitreden. Längst ist der Frühling 2017 ins Land gezogen. Von "fünf Mauer-Teilen mit jeweils acht Metern Länge" ist mittlerweile die Rede, bis zu 50 verschiedene Stellen sitzen zeitweise am Tisch. Magistratsabteilungen, Kammern, Firmen, Bundsimmobiliengesellschaft, Innenministerium, Kanzleramt. Wer je in Österreich mit Straßenverhandlungen oder Ähnlichem zu tun hatte, weiß, dass das nichts Besonderes ist. Dutzendschaften von Beamten und Interessenten rücken schnell einmal an in diesem Land, um mitzureden.

Und, auch das ist Österreich, wenn es schief geht, will's dennoch keiner gewesen sein. Und wenn's ganz schief geht, gelten dann auch keine Vorschriften mehr. Man weiß dann von nichts. Schon gar nichts von Verantwortlichkeiten. Mantel drüber, Drüberfahren, Aussitzen. Und aus. Je nach Möglichkeit und Position.

Im konkreten Fall verfügten der Bundeskanzler und sein Kanzleramtsminister die Einstellung der Arbeiten. Ganz so, als ob sie in Wien die oberste Baubehörde wären. Man wünscht sich, man könnte sich das selbst herausnehmen, weil einem nicht passt, was da vor der Haustür gebaut wird.

Alles ganz österreichisch. Kakanisch. Undurchsichtig. Aufgeblasen. Voller Bürokratie. Voller Pannen. Oft am Rande von Vorschriften oder gleich jenseits. Und langsam vor allem. Sehr langsam. Nicht nur, wenn es um eine prominente Baustelle geht, sondern überall in diesem Land ist es so. Und nicht nur in der Bürokratie. Vor allem auch in der Politik. Auch da gibt es überall diese Baustellen. Pensionsreform, Sozialwesen, Bildung, Steuersystem. Man weiß um die Liste. Betonklötze für die Entwicklung des Landes allesamt.

Aber jetzt wird ohnehin alles anders. Ist ja Wahlkampf, in dem alle versprechen alles besser zu machen. Und dann braucht man ohnehin keine Mauern mehr. Wenn man niemand mehr nach Österreich hereinlässt, braucht man sich nicht mehr vor dem Terror zu fürchten. Und wenn die Politik so gut wird, wie man verspricht, auch nicht mehr vor den eigenen Landsleuten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. September 2017

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