Donnerstag, 27. Juli 2017

Die selbsternannten Guten und die Wirklichkeit



Etwas zu fordern, zu verlangen und besser zu wissen, ist das eine, zumal dann, wenn es einen nicht selbst betrifft. Da ist nichts zu kompliziert, nichts zu teuer und ungerecht ist es sowieso nicht. Im Gegenteil, da ist immer alles richtig, verständlich, schlüssig und klar. Wehe aber, auch das weiß man, wenn es umgekehrt ist und es einen, meist wider Erwarten, selbst betrifft. Da ist dann alles sehr schnell ganz anders. Da gelten dann plötzlich ganz andere Maßstäbe, als die, die man zuvor bei anderen anlegte. Da scheint alles vergessen, was man forderte und nichts schlüssig, wie man es bei anderen verlangte.

Gefeit ist niemand davor, aber besonders ärgerlich und oft nachgerade unerträglich ist das bei Parteien, Einrichtungen und Bewegungen und ihren Vertretern, die glauben, alle Weisheit dieser Welt gepachtet zu haben und in aller Breite für sich in Anspruch nehmen zu können.
Gerade in den vergangenen Wochen häuften sich - in unterschiedlichen Ausprägungen -solche Beispiele, in denen sich selbsternannte Gute dieser Welt entlarvten und selbst vorführten. Freilich , das entspricht ihrem polit-genetischen Code, ohne Einsicht und Verständnis zu zeigen, präpotent oft, und weinerlich zuweilen.

Da sagte nach den Krawallen in Hamburg einer der Organisatoren der Proteste, zu denen unter der sinnigen Bezeichnung "Welcome to Hell" geladen wurde, doch allen Ernstes in einem Interview, als Sprecher der Autonomen habe er gewisse Sympathien für solche Aktionen, "aber doch nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen". Warum, fragte der Mann, ein Anwalt, warum wüteten sie nicht "in Pöseldorf oder Blankenese", beides Nobelstadtteile der Hansestadt, sondern bei ihm vor der Haustür.
Die Chuzpe dieses Herrn muss man erst haben. Die haben freilich auch andere. Nicht nur in Deutschland, auch in Österreich. Und nicht nur die im linken Spektrum der Politik, sondern auch die im rechten.

Da machte eine Gruppe der Kärntner Grünen, die der Parteichefin Übles wollten, Asylwerber unter der Hand unmittelbar vor der Landesversammlung zu Parteimitgliedern und hielt sie an, die Stimmen genehmeren Kandidaten zu geben. Die Aktion ging auf. Die Parteichefin kam nur auf einen aussichtslosen Platz auf der Liste für die Nationalratswahl. Und einer der Rädelsführer, selbst lange in führender Funktion in der Partei, die der Welt Transparenz, Sauberkeit und Lauterkeit beibringen will, hatte gar die Stirn, das Vorgehen als vorbildliches Beispiel für die Integration von Flüchtlingen zu verkaufen -wohl ohne sich irgendetwas zu denken. Denn das Denken können auch die in solchen Fällen immer ausschalten, die sonst immer wissen, was richtig ist.

Eindrückliche Beispiele lieferten in diesen Tagen auch zwei langjährige Nationalratsmitglieder ebendieser Partei, die Jahr und Tag Forderungen wie das Rotationsprinzip bei der Besetzung politischer Ämter vor sich her trug. Der Agrarexperte, der von den eigenen Leuten nicht mehr auf die Liste für den Nationalrat gewählt wurde, zeigte sich enttäuscht und mochte es nicht als Ergebnis der einst auch von ihm allerorten und bei allen Gelegenheiten verlangten Basisdemokratie sehen, sondern ausschließlich als Bosheit seines politischen Ziehsohnes. Nicht viel anders verhielt sich der andere. Der war, wiewohl nahe dem Pensionsalter, gar so frustriert, dass er nun mit einer eigenen Liste bei den Wahlen kandidieren und wohl damit seine ehemaligen Gesinnungsgenossen, wenn schon nicht in die Luft sprengen, so doch ordentlich beschädigen wird.

Ein anderes Beispiel ähnlichen Musters trug sich in den vergangenen Monaten im oberösterreichischen Wels in der rechten Hälfte des Politspektrums zu, im Reich der FPÖ, der selbsternannten Partei für Sauberkeit und Anstand in Österreich. Dort kassierte der blaue Bürgermeister zusätzlich zu seinem Politikergehalt Zahlungen für Aufsichtsratsmandate in städtischen Unternehmen. Er dachte sich nicht dabei, sondern zeigte sich erstaunt, dass das eigentlich ungesetzlich ist. Selbst wäre er freilich nie auf die Idee gekommen. Da hat es schon eines Rechnungshofberichtes bedurft.

Verwundert reibt man sich da oft die Augen. Und auch wenn der Ärger hochsteigt -gegen diese Doppelbödigkeit scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Konsequenzen gibt es keine. Außer der, dass gut beraten ist, wer auch den selbsternannten Guten nicht alles abnimmt. Schon gar nicht, dass sie frank und frei die Besseren sind.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Juli 2017

Donnerstag, 13. Juli 2017

Ein verfahrener Karren



In einem kleinen Dorf in Oberösterreich wollte der Bäcker nicht mehr länger zuschauen. Zuerst gab der Kaufmann auf. Dann macht der von Bewohnern selbst organisierte "Dorfladen" pleite. Nun will er sich um die Nahversorgung nicht nur mit Brot kümmern, sondern auch das kleine Geschäft übernehmen. "Es war keine leichte Entscheidung", wird er in der lokalen Wochenzeitung zitiert. "Aber es ist einfach zu traurig, ich kann es nicht mit ansehen, wenn sich nichts tut."

Man kann dem Mann nur das Beste wünschen. Denn leicht wird es, so viel kann man schon jetzt sagen, nicht werden. Das Leben am Land am Leben zu halten und den Menschen auch abseits von Städten und Ballungsgebieten ein attraktives Umfeld zu bieten, ist Bohren in harten Brettern.

Kern des Problems ist wohl, dass das Angebot für die Menschen und deren Bedürfnisse heute schlicht allzu oft nicht mehr zusammenpassen.

Dass die Menschen auf dem Land nicht auf das verzichten wollen, was die Leute in den Städten haben. Vom Angebot beim Greißler und beim Fleischhauer, bei den Handwerkern, bei den Schulen, den Ärzten, den Banken und natürlich bei den Arbeitsplätzen. Man will zumindest ein ähnliches Angebot haben und ähnliche Preise. Und dafür nimmt man, anders als früher, viel in Kauf, auch die Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Längst ist das für das gesamte Land, vor allem aber für jene, die auf dem Land bleiben, zum Problem geworden.

Man ist in vielen Dörfern nicht mit den Veränderungen zurande gekommen, hat sie übersehen oder falsch verstanden. Die Attraktivität des Lebens auf dem Land ist verloren gegangen. Die Dorfgemeinschaft, von vielen einer Monstranz gleich hochgehalten, ist dabei oft zerborsten. Aus Mangel an richtigen Antworten.

Längst ist der Karren verfahren. Umso größer ist die Aufgabe, möglichst rasch tragfähige Lösungen zu finden, die den heutigen Anforderungen und Wünschen entsprechen. An Bemühungen fehlt es nicht. Jeder Bürgermeister kämpft für sein Dorf, in den Ländern ist die Landflucht längst ein wichtiges Thema geworden und seit Monaten hat sich selbst die Bundesregierung das Thema auf die Fahnen geheftet. Landwirtschaftsminister Rupprechter zieht mit einem Masterplan durchs Land, "Gegen die Verödung der Dörfer" wird allerorten geschrieben, man dürfe "nicht hinnehmen, dass über tausend Jahre gewachsene ländliche Strukturen in einer Generation, nämlich der unsrigen, zugrunde gerichtet werden", heißt es.

Oft freilich hakt es daran, dass die eigentlichen Probleme nicht angegriffen werden. Viel zu oft noch orientieren sich viele Bemühungen daran, alte Strukturen aufrechtzuerhalten. In neuem Kleid allenfalls, aber selten mit neuen Inhalten, die den heutigen Anforderungen gerecht werden. Viele Bemühungen sind darauf ausgerichtet, Vergangenes und von der Wirklichkeit Überholtes ohne Rücksicht auf den Aufwand zu erhalten. Dass die Bedürfnisse andere geworden sind, dass die jungen Leute von heute anders einkaufen und auf andere Dinge Wert legen als noch ihre Elterngeneration, will man allzu oft nicht zur Kenntnis nehmen. Zumeist versucht man, Vertrautem neues Leben einzuhauchen und tut nichts anderes, als zu wiederholen, womit man schon einmal gescheitert ist.

Das Thema ist äußerst vielschichtig. Es ist nicht alleine die Politik, die verantwortlich ist, es ist die gesamte Gesellschaft, inklusive und oft auch vor allem jener, die jetzt unter dieser Entwicklung zu leiden haben. Gastwirte, Greißler, Fleischer, Ärzte, Schulen, Ämter, Banken. Es sind aber auch die Landbewohner selbst, die lieber jedem Cent in die nächste Stadt nachfahren, als dem örtlichen Fleischer ein paar Euro mehr zu gönnen. Denen das Bildungsangebot vor Ort zu minder ist, und der Job zu gering. Und die lieber im Internet einkaufen oder durch die nächste Shopping-Mall flanieren, als dem örtlichen Händler eine Chance zu geben. Zu stark war die Anziehungskraft, zu groß die Versuchung, zu gering das Gefühl für Verantwortung und zu gering die Geduld, all denen, deren Fehlen heute man beklagt, die Möglichkeit zu geben, sich anzupassen.

Nicht nur Engagement, sondern auch Kreativität sind gefordert, wenn man diese Entwicklung stoppen will. Denn da ist Luft nach oben.

Dem Bäcker, der auch Greißler wird, ist das zuzutrauen. Glück ist ihm dennoch zu wünschen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juli 2017
 
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