Donnerstag, 29. Juni 2017

Ungenutzte Gunst der Stunde



Es geht wieder aufwärts mit der Wirtschaft, heißt es seit Monaten allerorten. Die Prognosen werden immer zuversichtlicher. Manche rechnen inzwischen gar mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als zwei Prozent pro Jahr. Da kann man durchaus aufatmen nach dem langen Dahinzittern der vergangenen Jahre. Zudem sind die Zinsen nach wie vor niedrig wie nie und die Stimmung ist gut wie seit Jahren nicht. Selten wäre also die Gelegenheit so günstig, wieder einmal zusammenzuräumen im Land. In den öffentlichen Budgets, in den Strukturen, in der Verwaltung, im Gesundheitswesen, im Sozialwesen und in den vielen anderen Bereichen, in denen die Dinge in den vergangenen Jahren aus dem Lot gerieten.

Die Bereitschaft, das zu tun, und auch die Überzeugung, dass das notwendig ist, ist freilich sehr überschaubar. Man ist kaum willens, die Gunst der Stunde zu nutzen. Nicht die niedrigen Zinsen und nicht die verbesserte Stimmung und die Zuversicht. Man macht schlicht nichts draus, als sich einer schier kindlichen Freude hinzugeben, dass nun auf einmal alles gut ausschaut, und beschränkt sich darauf, sich Schlagzeilen vom Rückgang von Arbeitslosenraten, von BIP-Zuwächsen und von guten Unternehmensbilanzen als "Erfolg" der eigenen Arbeit gutzuschreiben.

Dass selbst Einrichtungen, wie jüngst die OECD, auffordern, die aktuelle Situation für tiefgreifende Strukturreformen zu nutzen, scheint hingegen wenig Eindruck zu machen. Die Gründung von Unternehmen sollte erleichtert und Start-ups stärker gefördert werden, schlägt man vor. Und vieles andere auch. "Komplexe Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie Überschneidungen beeinträchtigen die Effizienz der öffentlichen Aufgaben und begrenzen den Spielraum für Zukunftsinvestitionen", heißt es.

Dabei schafft die politische Kultur des ewigen Hinausschiebens, die sich in unserem Land breitgemacht hat, längst nur Verlierer. Wie sehr, zeigen diese Zahlen: Seit dem Jahr 2000 steigen die Verbraucherpreise um 36,8 Prozent, die Tariflöhne um 46,6 Prozent, die Steuereinnahmen des Bundes aber um sagenhafte 65,7 Prozent -um fast doppelt so viel wie der Verbraucherpreisindex.

Dabei wäre jetzt auch die Zeit, all das nachzuholen und umzusetzen, was man in den vergangenen Jahren mit dem Hinweis auf die "schwierige wirtschaftliche Lage" aufgeschoben hat, die Weichen zu stellen, die man sich nicht zu stellen traute, die Einschnitte, die nötig wären und die Anpassung der Strukturen. Die Sanierung öffentlicher Budgets etwa, eine Durchforstung der Ausgaben der öffentlichen Hand, eine Sanierung des Sozialsystems. Die Liste der Bereiche, in denen dringender Handlungsbedarf besteht, ist lang, sehr lang. Man weiß es. Alle wissen es. Aber etwas tun? Jetzt? Die Gunst der Stunde nutzen? Die geänderten Voraussetzungen? Es schaut nicht danach aus.

Darum steht wohl zu befürchten, dass auch diese Phase der wirtschaftlichen Erholung wieder ungenutzt vorübergehen wird. Die Diskussion um diese Themen spielt sich in einschlägigen Zirkeln ab. Sie ist sehr überschaubar und beschränkt sich seit Jahren auf den Austausch einzementierter Positionen, ohne dass groß Fortschritte erkennbar wären. Schon gar nicht in Wahlkampfzeiten, die weit über den Wahltag Mitte Oktober hinaus das Land lähmen werden.

Es ist eher das Gegenteil zu befürchten. In Österreich scheint man, zumal in Vorwahlzeiten, den Spielraum viel eher für die Erfüllung zusätzlicher Wünsche nutzen zu wollen, als für langfristige Weichenstellungen. Strukturelle Vorschläge, Einschnitte gar, mutet man allenfalls der Klientel der gegnerischen Parteien zu, nie aber der eigenen.

Das politische Klima im Land ist immer noch kein Klima des Aufbruchs. Es ist immer noch eines der Vernaderung und des Neides. Da will niemand an einem Strang ziehen, schon gar nicht mit dem, was euphemistisch politischer Mitbewerb genannt wird.

Dabei könnte es auch ganz anders gehen. Finnland etwa, ein Land durchaus vergleichbar mit Österreich, machte es in den vergangenen Jahren vor. Bis vor kurzem gehörte es zu den wirtschaftlichen Schlusslichtern der EU. Neuerdings aber ist man ganz vorne dabei. Binnen Jahresfrist schaffte man die Umkehr. Mit Reformen, die man sich bei uns nicht anzugreifen traut -Senkung der Lohnstückkosten, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und vieles andere mehr. Und: Es zogen alle an einem Strang, inklusive der Gewerkschaften.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Juni 2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1