Donnerstag, 13. April 2017

Grassierende Hässlichkeit



Zuerst sah man ein paar Autos und Menschen mit weißen Helmen. Ein paar Wochen später wurde betoniert. Im Dorf rätselte man. Niemand wusste etwas. Dann stand plötzlich ein blechernes Gehäuse da. Dann wurde eine vorübergehende Straßensperre angekündigt. Und seither ist es nicht zu übersehen. Ein Mast steht plötzlich da zwischen der Straße und der Bahn, geschätzte 20 Meter hoch, in der brettelebenen Landschaft. Und rot-weiß-rot gestrichen ist er - ein Mahnmal der Hässlichkeit und weitum zu sehen.

Wie in der Zeitung zu lesen war, ist der Mast nicht das einzige dieser Art entlang der Westbahn. "Mitten im Stadtgebiet zwischen einem Hotel und einem Gasthaus", ragt seit kurzem auch in der ältesten Stadt Österreichs, in Enns, so ein Mast in den Himmel. "Ein hässliches Trumm" empörten sich Anrainer dort. Man versteht es nicht, wird dort doch seit Jahrzehnten jede Baumaßnahme streng geprüft, um das alte Enns und seinen mittelalterlichen Charakter zu schützen.

Das Ziel, die lückenlose Handy-und Internetverbindung in den Zügen zwischen Salzburg und Wien, heiligt in diesem Fall allem Anschein nach jedes Mittel.

So wie es auch die Werbung tut in diesem Land. Im salzburgischen Straßwalchen sorgte kürzlich eine neue Werbetafel für einen Supermarkt am Ortsrand, kolossale siebzehn Meter hoch und vier Meter breit, für Aufregung, weil sie den Blick auf den Kirchturm verstellt. "Das ist genehmigt", ließ die Supermarktkette wissen. Und die Tafel entspreche der üblichen Beschilderung vergleichbarer Objekte.

Die Verschandelung des Landes ist längst kein punktuelles Thema mehr, an dem sich Bürgerinitiativen und Schöngeister abarbeiten. Sie ist zu einer Seuche geworden. Ganze Landstriche sind inzwischen devastiert. Über dutzende Kilometer ziehen sich oft die baulichen und raumplanerischen Beliebigkeiten. Wie krebsartige Geschwüre fressen sie sich in die Landschaft, breiten sich aus entlang großer Straßenzüge und mäandern weit hinein in die Landschaft, die noch vor ein paar Jahren unberührt war.

Über diese Entwicklung ernsthaft zu reden, ist längst ähnlich so wichtig wie die Diskussion über den Bodenverbrauch. Doch die Ansätze sind bescheiden. Tarek Leitner, als Moderator der "Zeit im Bild" bekannt, ist einer von wenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Er erklärt die Hässlichkeit, die sich allerorten breitmacht, mit einer "Ökonomisierung unserer Lebensbereiche", wie er es formuliert. Die Folge sei eine "Achtlosigkeit gegenüber der Ressource Grund und Boden und gegenüber der ästhetischen Anmutung der Landschaft". Die Fachmarktzentren auf den grünen Wiesen an den Ortsrändern, ohne die heute kaum mehr eine und sei es noch so kleine Stadt auszukommen scheint, sind für ihn "gebaute Wirklichkeit, wie sie passiert".

Längst hat die Nicht-Stilistik dieser Bauten in andere Bereiche ausgestrahlt. Viele der neuen Wohnsiedlungen, wie sie überall im Land entstehen, nehmen sich aus wie Fertighaus-Musterparks. Beliebig zusammengewürfelt, ein wilder Mix aus unterschiedlichen, aus aller Welt zusammengeklauten Baustilen, beliebig hineingestellt in die Landschaft. Dazu oft grelle Fassadenfarben, aufgetragen in zuweilen eigenartigen Musterungen.

Die Liste der Sünden in diesem Land ist lang. Mitunter scheint man jedes Gefühl verloren zu haben und jedes Maß. Wozu Bauordnungen da sind, ist oft nicht mehr zu erkennen und von einer umsichtigen Raumplanung gar nicht zu reden. Und die Architektur scheint die letzten Positionen geräumt zu haben. Da sind zumeist keine Linien mehr zu erkennen und keine gestalterischen Grundsätze. Von Ideen gar nicht zu reden. Zweckorientiert muss es allem Anschein nach sein und billig. Selbst vor Zelten als Lagerhallen, und nicht bloß als Notlösungen, scheut man inzwischen nicht mehr zurück. Und die Privathäuser, die heutzutage aufgestellt werden, heißen "Eco 161", "Square","Box" oder "Duplex" - von der Stange und schnell beziehbar.

Dabei sollte es ein Leichtes sein, einen anderen Weg zu gehen. Denn, was hässlich gemacht werden kann, kann mit dem gleichen Aufwand auch schön gemacht werden. Oft zumindest. Es kostet um nichts mehr, andere Farben zu wählen oder andere Bauformen. "Das Schiache ist ja das Absichtslose", sagte Tarek Leitner in einem Interview einmal. "Das ist das, was uns passiert, wo wir als Gesellschaft ausgelassen haben und Dinge geschehen haben lassen, die sich so darstellen - schiach nämlich".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. April 2017

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