Donnerstag, 2. März 2017

Doch nur Bürgermeister - und nicht Gott



Wien und der Rest von Österreich - das ist eine eigene Geschichte. Eine lange. Man weiß es. Wenn man die letzten Wochen verfolgt, bekommt man auch eindrücklich vor Augen geführt, warum das so ist. In der Verwaltung der Bundeshauptstadt, von der aus man sonst so gerne geringschätzig auf die Provinzler blickt, tun sich ganz unglaubliche Abgründe auf.

Die Wiener Stadtpolitik zeigt ein Sittenbild, das man in Österreich längst überwunden glaubte. Es bieten sich in vielen Bereichen Zustände, die man nicht mehr vermutete in diesem Land. Was in diesen Wochen ruchbar wurde, ist, zumal, wenn es so dicht daherkommt, kaum mehr zu fassen und erfüllt jedes der Vorurteile, die man im Land gemeinhin gegen Wien hat. Von der den Wienern eigenen Überheblichkeit, über die Schlitzohrigkeit, die Schlampigkeit und den Schlendrian bis hin zum aufgeblasenen Selbstbewusstsein, das keine Grenzen kennt, wenn es darum geht, sich die Dinge zu richten.

"Die skandalträchtigsten Baustellen finden sich im Wohnbau, bei der Gesundheit und im Bildungsbereich", war dieser Tage in den Medien zu lesen. Und von Schludrigkeiten bei der Vergabe der Mindestsicherung und vielem anderen mehr.

So soll bei der stadteigenen Gesellschaft "Wiener Wohnen" bei Renovierungsarbeiten im Zusammenwirken mit Bediensteten der Gesellschaft in großem Stil betrogen worden sein. Die Rede ist von 65 Millionen Euro, um die es dabei gehen soll und von 93 Personen, die die Korruptionsstaatanwaltschaft als Beschuldigte führt. Rund ein Drittel von ihnen sollen Beamte und Vertragsbedienstete der Stadt Wien sein. Es geht dabei um ungustiöse Dinge wie Preisabsprachen, Verrechnung nie erbrachter Leistungen und überhöhte Rechnungen. "So seien Wohnungen nur ein Mal ausgemalt, aber sieben Anstriche verrechnet worden", merkt eine Zeitung an.

Missbrauchsfälle von Subventionen und Mängel bei der Kontrolle von Fördergeld brachte der Bericht des Stadtrechnungshofes auch bei den Kindergärten auf. Kassiert wurde etwa zuweilen da und dort für Kinder, die gar nicht betreut wurden. In schlechter Erinnerung sind noch die Pleite der "Alt-Wien"-Kindergärten im vergangenen Sommer und die freizügigen Vergaben von Fördermitteln und Konzessionen an vorwiegend türkische Kindergartenträger. Ins Bild passt auch, dass der Betreiber eines islamischen Bildungszentrums in Floridsdorf, das vor mehr als einem halben Jahr in Konkurs ging, mittlerweile in U-Haft sitzt. Ermittelt wird gegen ihn wegen Untreue, Förderungsmissbrauchs und betrügerischer Krida.

Und es stimmt offenbar wirklich, was man zunächst gar nicht glauben wollte. Bei der Überprüfung der Auszahlung der Mindestsicherung fand der Rechnungshof heraus, dass die zuständige Magistratsabteilung nur 63 Prozent der zur Kontrolle vorgeschriebenen Akten tatsächlich geprüft hat. "Akten seien auch 'verschollen'", wurde berichtet. Und "in vielen Fällen wurde nicht einmal nach einem Lichtbildausweis gefragt". Auch an Nicht-Österreicher, deren Aufenthaltsbewilligung abgelaufen war, sei noch monatelang Mindestsicherung ausbezahlt worden. Irgendwo weit hinten im Balkan kann es kaum anders sein.

"Ich bin ein lockerer Bursche", sagte der nie um einen Spruch verlegene Bürgermeister Michael Häupl einmal. Es ist ihm wohl recht zu geben, ein allzu lockerer Bursche. Seine Bilanz nimmt mittlerweile desaströse Ausmaße an. Die Finanzen der Stadt scheinen ihm längst völlig entglitten und mit ihm jede politische Gestaltungskraft. Der Schuldenstand der Bundeshauptstadt hat sich in den wenigen Jahren seit 2007 auf mittlerweile rund 5,4 Mrd. Euro fast vervierfacht. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Und nirgendwo sonst im Land geht es mit dem Wohlstand so schnell bergab wie in der Bundeshauptstadt. "Die Wiener werden ärmer und schwächer", schreiben die Zeitungen. Beim verfügbaren Einkommen pro Einwohner rangiert man ex aequo mit Kärnten inzwischen auf dem letzten Rang.

Da hat einer die Dinge ganz offensichtlich nicht mehr im Griff. Michael Häupl hat den Absprung verpasst. Nun ist er -eingezwängt in Flügelkämpfe in seiner Landespartei und weit entfernt davon, die Dinge noch selbst lenken zu können -dabei, zu einer tragischen Figur der heimischen Politik zu werden.

Er ist eben doch "nur Bürgermeister und nicht Gott", wie er einmal sagte, als er die Stadt noch im Griff hatte und sich richtig einzuschätzen wusste.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. März 2017

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