Donnerstag, 9. Februar 2017

Wehe, wenn sie losgelassen



Die Grundsätze, auf denen unsere Gesellschaft und unser gesellschaftliches Zusammenleben beruht, waren in den vergangenen Jahrzehnten für viele Menschen kein Thema. Es lief alles in allem gut. Es hatte alles einigermaßen seine Ordnung. Die Grundpfeiler standen außer Streit. So sehr sogar, dass ihre Bedeutung dem öffentlichen Bewusstsein und dem Bewusstsein der Menschen selbst entglitten. In Vergessenheit geriet, dass diese Grundpfeiler Werte sind, die oft in jahrzehnte-und jahrhundertelangen Kämpfen erstritten wurden, dass zahllose Menschen sehr viel dafür auf sich nahmen um sie durchzusetzen und dass viele sogar ihr Leben aufs Spiel setzten dafür, dass sie Wirklichkeit wurden. Man schätzte es kaum mehr, man nahm es als selbstverständlich hin.

Damit ist es nun allem Anschein nach vorbei. Die Sorgen wachsen. Spätestens seit dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus und seinen furiosen Anordnungen finden sich auch in unseren Medien Sätze wie "Es geht um die Grundprinzipien des Westens. Um Errungenschaften, die so abstrakte Namen tragen wie Gewaltenteilung, Rechtsstaat, Gleichheit vor dem Gesetz, demokratische Kontrolle." Es ist davon zu lesen, dass "immer seltener Kompromiss, Ausgleich und Integration die Prämissen der Politik sind, sondern Ausgrenzung, Unterwerfung und Recht des Stärkeren".

In den vergangenen Jahren sind Grenzen gefallen, von denen man längst glaubte, dass sie nie mehr Grenzen sein könnten. Es geht mit einem Mal um Themen, von denen man meinte, sie stünden außer Streit.

Die Erosion der Werte kam schleichend. Befeuert vom wachsenden wirtschaftlichem Druck, dem die Politik kaum Perspektiven entgegenzusetzen vermochte, und vom oft hetzerischen Stakkato rechter Parteien, die mit Schuldzuweisungen und einfachen Lösungen immer schnell zur Hand sind, kamen die Grundwerte der Demokratie und der Gesellschaft unter Druck.

Das Tempo der Erosion der politisch-gesellschaftlichen Werte ist mittlerweile bestürzend. Und bestürzend ist oft auch, wie sich die, die Kraft ihres Amtes oder ihrer gesellschaftlichen Position dagegen halten müssten, treiben lassen. Wie sie still bleiben und wie sie sich zurückziehen, wo sie Position halten müssten. Und wie schnell sie oft um eines Vorteils willen beigeben. Die Hemmschwellen fallen immer rasanter. Was noch vor wenigen Jahren allenfalls in Hasspostings stand oder an alkoholgeschwängerten Stammtischen gesagt wurde, ist heute oft Politik. Was manche Politiker heute sagen und fordern, wäre vor wenigen Jahren in ihrem Umfeld nicht möglich gewesen.

Innenminister Sobotka von der nach wie vor als bürgerlich geltenden ÖVP lieferte in den vergangenen Wochen eindrückliche Beispiele dafür, wie sich manche Politiker gar nicht mehr einkriegen, wenn sie sich denn einmal losgelassen fühlen. Die Nutzung und Vernetzung privater Überwachungskameras schlug er vor und schwärmte von der Möglichkeit, damit per Kennzeichenerfassung Bewegungsprofile erstellen zu können. Er brachte die Idee einer Fußfessel auf Verdacht für Gefährder in die Diskussion, neue Formen von Lauschangriffen und Vorratsdatenspeicherung und seit Tagen ventiliert er öffentlich seine Idee, das Demonstrationsrecht zu beschneiden.

Es sei dem Herrn zugestanden, dass viele Rechte, vor allem das Demonstrationsrecht, in der Vergangenheit allzu oft und allzu missliebig missbraucht wurden. Dennoch ist ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, den dieser Tage ein Kommentator so formulierte: "Es besteht der Verdacht, dass Sobotka nicht bloß die Randalierer des 'Schwarzen Blocks', sondern sämtliche Angehörige der Zivilgesellschaft als seine persönlichen Feinde betrachtet und dass ihm Zucht und Ordnung wichtiger als demokratische Grundrechte sind."

Was das so besorgniserregend macht, ist, dass der Innenminister mit diesen Absichten nicht alleine steht. Nicht in seiner Partei und auch nicht in der Bevölkerung.

Nur langsam indes beginnt man zu erkennen, was auf dem Spiel steht. Noch dominiert eher das Kalkül, bei den nächsten Wahlen mit einer Politik zum Erfolg zu kommen, die von ganz rechts vorgegeben wird.

Dass damit auch hierzulande die Gefahr für die Grundpfeiler der Gesellschaft immer größer wird, verkennt man.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Februar 2017

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