Donnerstag, 16. Februar 2017

Ein Volk von Auskennern



Neulich im örtlichen Wirtshaus. Am Nebentisch, dem Stammtisch. Er war laut, er dominierte das Gespräch, er hatte Antworten auf alle Fragen und er wusste, warum es auf der Welt so schief läuft. Ganz genau. Er muss wohl einer von denen sein, die für sich keine politische Herausforderung für zu groß halten. Gemeinderat sowieso nicht. Landhauptmann? Wohl auch kein Problem. Bundeskanzler? Eh klar. Und sogar als Präsident der EU-Kommission würde er seiner Meinung nach wohl keine Fehler machen.

Er muss wohl einer von den vielen Österreichern sein, die sich einer Umfrage des market-Institutes im Auftrag der Tageszeitung "Der Standard" zufolge politisch sehr viel zutrauen. Einer von überraschend vielen. Demnach glauben 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher von sich, als Gemeinderat eine gute Figur zu machen. 35 Prozent glauben auch, keine Probleme mit einem Bürgermeisteramt zu haben und fast zwei Drittel trauen sich zu, ein Betriebsratsmandat zu übernehmen.

So weit das, was noch eher wenig staunen macht. Dass sich vier von zehn Befragten für ein Landtagsmandat qualifiziert fühlen, mag auch noch in diese Kategorie fallen. Bemerkenswert wird das Selbstvertrauen der Österreicherinnen und Österreicher in ihre politischen Fähigkeiten aber vollends, wenn es um höhere Ämter geht. 39 von 100 glauben für den Nationalrat geeignet zu sein und 31 von hundert, also ein knappes Drittel der Bevölkerung, glaubt laut Umfrage genug zu wissen und zu können, um der Bundesregierung anzugehören.

Sehr von sich überzeugt ist man auch, wenn es um echte Führungs-und Entscheidungsfunktionen geht. Landeshauptmann oder Bundespräsident? Diese Jobs auszufüllen trauen sich zwölf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher zu. Bundeskanzler am Ballhausplatz? Neun Prozent sähen darin kein Problem für sich. Und Präsident der EU-Kommission? "Sieben Prozent der Befragten glauben sogar, diesem Anforderungsprofil zu entsprechen", heißt es im "Standard".

Dass wir ein Volk von 8,5 Millionen Skitrainern und ebenso vielen Fußballtrainern sind, daran hat man sich gewöhnt. Aber dass so viele Politik-Experten zwischen Neusiedler- und Bodensee leben, überrascht dann doch.

Auch wenn die Umfrage wohl nicht in allen Details für bare Münze zu nehmen ist und man die Ergebnisse durchaus auch als Negativauslese werten kann, passt sie doch zu dem Bild, das man vom Land hat. Viele hier scheinen auf Wolke sieben zu leben, ziemlich weit weg von der Realität und von den Anforderungen, die sie stellt. Aus der Distanz mag man sich schon einiges zutrauen, zumal dann, wenn man ohnehin nicht im Entferntesten daran denkt, sich auch im richtigen Leben und nicht nur an den Stammtischen oder anderen Biotopen von Besserwissern politisch zu engagieren.

Denn wenn das anders wäre, würde man in vielen Gemeinden nicht händeringend nach Bürgermeisterkandidaten suchen und nach Männern und Frauen, die sich bereit erklären, ein Gemeinderatsmandat zu übernehmen. Gar nicht zu reden davon, dass dann die Auswahl für die Landtage, den Nationalrat und auch die Spitzenämter der Republik eine viel einfachere wäre. Denn dann gäbe es, hat ein findiger Kollege errechnet, alleine für die Ministerämter 2,697 Millionen Kandidaten, für den Job des Bundeskanzlers 783.000 Frauen und Männer, die nach eigenem Dafürhalten bestens geeignet wären. Und wir hätten bei der Bundespräsidentenwahl 1,044 Millionen Kandidaten haben können und dürften mit der Frage herumspielen, ob sich diese Wahl dann auch auf eine Entscheidung zwischen Van der Bellen und Hofer zugespitzt hätte.

Die Selbstüberschätzung, die sich in dieser Umfrage spiegelt, hat in Österreich Kultur. Und sie passt gut zur Besserwisserei, die sich allerorten breitmacht und die von populistischen Parteien nach Kräften gefördert wird, zumal sie für sie selbst Programm ist. Sie ist auch Beleg für den fortschreitenden Realitätsverlust, der in unserer Gesellschaft grassiert. Man verliert das Gefühl um die wirklichen Anforderungen, man verliert das Gefühl um Zusammenhänge und weiß immer seltener, von woher etwas kommt. Ganz abgesehen davon, dass man von einer eigenen Verantwortung immer weniger wissen will und man keine Scheu hat, die Ansprüche in immer neue Höhen zu schrauben.

Aber vielleicht ist das alles gut so, wie es bei uns ist. Denn wohin es führen kann, wenn einer von diesen Menschen ernst macht, erleben wir gerade in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Februar 2017

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