Donnerstag, 21. Dezember 2017

Was für ein Jahr!



Zu Beginn dieses Jahres glaubte der damals amtierende Kanzler mit seinem sogenannten Plan A neue Maßstäbe zu setzen und seine Macht auszubauen, während sich der Koalitionspartner in einer tiefen Krise wand und vor dem Abrutschen in der Wählergunst auf weniger als 20 Prozent der Stimmen zitterte.

Zum Ende dieses Jahres schritt just ein Proponent dieser damaligen Oppositionspartei über den roten Teppich in der Hofburg zur Angelobung als Bundeskanzler. Seinem Vorgänger hingegen blieb nichts mehr anderes, als zu sagen, dass er es gut fände, "wenn diese Regierung auch Erfolg hat". Jetzt ist es seine Partei, die sich in Krisen windet und gegen die 20 Prozent-Grenze ankämpft.

Ist damit das Jahr 2017 das Jahr der Wende in Österreich? Ist das die Abkehr von der Politik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte? Das Verlassen der bekannten, mitunter ausgelatschten Wege? Ein Aufbruch in eine neue Richtung? Der Schnitt, auf den so viele in diesem Land warteten, und vor dem sich so viele in diesem Land fürchteten? Die kommenden Jahre werden es zeigen. Zumindest die Stammtische dürften fürs Erste befriedigt sein.

Jedenfalls war 2017 das Jahr, in dem sich die heimische Innenpolitik gehäutet hat. In dem vieles aufbrach und nach dem nur mehr wenig so ist wie vor einem Jahr. Gewichte haben sich verschoben, vieles wurde aufgegeben, woran man oft viel zu lange festhielt. Plötzlich scheint möglich, was vor gar nicht langer Zeit undenkbar war.

Das wird greifbar alleine daran, dass ein ehemaliger Proponent der Grünen als Bundespräsident einen christdemokratischen, gerade einmal 31 Jahre alten, unverheirateten Bundeskanzler, der mit seiner Freundin an der Hand zur Angelobung kommt, zum Regierungschef ernennt. Undenkbar noch vor kurzem, zumal in konservativen Kreisen. Und auch, dass es der neue Kanzler wagt, diese Aufgabe mit einem Kabinett anzugehen, in dem bis auf ihn selbst kein einziges Mitglied über Regierungserfahrung verfügt, in dem fünf davon sogar echte Quereinsteiger sind ohne jede politische Erfahrung. Das hat es in Österreich noch nicht gegeben.

Möglich machte das wohl auch der Generationenwechsel vor allem in der ÖVP. Landesfürsten wie Erwin Pröll und Josef Pühringer sind in diesem Jahr zurückgetreten, Christoph Leitl gibt seine Ämter in Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer ab, Bauernbundpräsident Jakob Auer zog sich zurück und auch Arbeiterkammer-Chef Rudolf Kaske hat seinen Abgang bereits angekündigt. Damit kam und kommt auch ein anderer politischer Stil. Damit wurden neue Wege frei. Mit einem Mal scheint möglich, was lange unmöglich schien.

Abgesehen davon hat sich auch die Parteienlandschaft tiefgreifend verändert. Das Team Stronach ist endgültig Geschichte. Die Grünen kannibalisierten sich und flogen aus dem Nationalrat. Schaffen sie den Weg zurück? Wird es ihnen gelingen, sich wieder zu konsolidieren? Was wird mit den Pilz-Leuten?

Spannend wird, wie es mit der ÖVP, die sich derzeit im Sieg suhlt, wirklich weitergeht. Böse Stimmen reden ja sogar davon, dass es die Bundes-ÖVP gar nicht mehr gibt. "Die ÖVP ist aus der Regierung geflogen", ätzt man und "Sebastian Kurz hat bei der Regierungsbildung einmal mehr auf die Partei gepfiffen". Nur mit Mühe unterdrückten manche VP-Granden in den Ländern in den vergangenen Tagen ihre Verärgerung.

Spannend wird auch, wie die FPÖ als klassische Oppositionspartei mit ihrer neuen Rolle fertig wird. Immerhin dreimal schon hat es die Partei dabei zerrissen, wenn sie in der Regierung war.

Und spannend wird auch, wie sich die SPÖ in ihrer neuen Rolle findet. Mit einem Mal werden überall die Baustellen sichtbar. Von Wien über Oberösterreich bis nach Salzburg und darüber hinaus. Und, was können die Neos aus ihrer neuen Position machen? Mehr als bitzeln? Oder schaffen sie es, doch zu einem ernst zu nehmenden Partner zu werden. Ansätze dazu gibt es. Immerhin.

In einem Jahr wird man mehr wissen. Dem Land und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern, "allen, die in Österreich leben", wie Bundespräsident Van der Bellen bei der Angelobung der neuen Regierung am Montag dieser Woche extra betonte, ist jedenfalls vor diesem Hintergrund ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Klar ist, es braucht Veränderung. Das freilich nicht nur in der Politik, sondern auch in den Köpfen und Herzen der Menschen. Denn das ist die allererste Voraussetzung dafür.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Dezember 2017

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Gelassenheit ist angebracht



Die Aufregung war eine große. Wieder einmal. Von "Lohnraub" war die Rede, von "moderner Sklaverei" und von vielem anderen mehr. Durch die sozialen Medien im Land fegte ein Shitstorm der Empörung. Man wollte und will kein gutes Haar lassen am Plan der nächsten Regierung, eine Ausweitung der Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden zu ermöglichen und an vielem anderen auch.

Wie aufgeregt darf man sein, wenn die Politik, zumal wenn Parteien, die die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hinter sich haben, etwas verändern wollen? Wenn sie nichts anderes tun, als deren Erwartungen gerecht zu werden und deren Wünsche umzusetzen versuchen? Rechtfertigt das in den untersten Schubladen herumzukramen und sich so im Ton zu vergreifen? Darf man die Augen so verschließen und darf man ausschließlich die eigenen Interessen verfolgen ohne jede Rücksichtnahme?

In Österreich ist gerade in den vergangenen Jahren in Sachen politischer Diskussionskultur viel aus dem Lot geraten. Selten nur wurde miteinander geredet und wurden Standpunkte aus getauscht und versucht daraus das Beste zu machen. Um die Lösung, die eine Sache weiterbringen könnte, ging es immer seltener. Es gab immer öfter nur schwarz-weiß. Immer nur gut oder böse. Kaum je aber etwas dazwischen. Und wenn, dann war es verächtliche Bosheit. Der Kompromiss, jahrzehntelang der Dämmstoff allen gesellschaftlichen Zusammenlebens, geriet in Verruf und auch der Respekt voreinander.

Der Kampf am Boulevard hat diese Entwicklung dramatisch befeuert, die sozialen Medien auch und auch die personelle Besetzung der politischen Schaltstellen. In Österreich hat man den politischen Diskurs verlernt. Und darüber ist viel aus den Fugen geraten. So viel, dass der Handlungsbedarf jetzt enorm groß geworden ist, dass viele Menschen genug haben davon, wie es läuft, dass sie sich immer öfter gegängelt fühlen, benutzt und auf der falschen Seite. Und dass sie einen immer dringenderen Handlungsbedarf sahen.

Es hat Jahre gedauert, bis dieser Ärger, diese Ängste und diese Sorgen mehrheitsfähig waren. Nun sind sie es geworden bei den letzten Wahlen. Das zu akzeptieren fällt freilich denen schwer, die selbst jahrzehntelang an den Schalthebeln der Macht in diesem Land waren. Sie haben es in der Hand gehabt, genau das zu verhindern, was ihnen jetzt solchen Schmerz bereitet, schafften es aber nicht und wurden wohl deswegen abgewählt. Ihre Verärgerung und ihr Schmerz sind verständlich, nicht verständlich aber ist, dass sie dabei jedes Augenmaß verlieren. Denn die Reaktionen heißen auch, dass sie keinen Respekt vor den Menschen haben, für die es in diesem Land aus den oben genannten Gründen unerträglich geworden ist.

Dabei ist das, was wir bei den Wahlen erlebten und was wir seither erleben, nur Demokratie und nichts anderes. So ist Demokratie und sie ist eben zuweilen schwierig, wenn man nicht auf der Seite der Mehrheit steht. Freilich steht jedem frei, die Politiker unsympathisch und unfähig zu finden, die sich nun anschicken, eine neue Regierung zu bilden und möglicherweise unangenehme Maßnahmen zu setzen. Die Mehrheit hält das jetzt für gut, was geplant wird. Ob es auch wirklich gut ist, steht auf einem anderen Blatt. Freilich, man kann und muss man sich auch kritisch mit dem auseinandersetzen, was jetzt gemacht und geplant wird. Aber es sind dennoch in jedem Fall Sachlichkeit einzumahnen und Respekt. Und auch Gelassenheit. Aber jetzt ist es einmal so wie es ist.

Schlimmer als all die Veränderungen, die jetzt so heftig diskutiert und kritisiert werden, wäre es, wenn es keine Veränderungen gäbe. Dass man das nun versucht, ist zu akzeptieren, auch wenn es weh tut und wenn man es für falsch und für rückschrittlich hält. Keine neuen Vorschläge und keinen neue Wege, die man zu gehen versucht. Von denen, die sich nun ans Regieren machen, ist allenfalls einzufordern, dass sie auf die Rücksicht nehmen, die sie nicht wählten.

Es kommen wohl auch wieder andere Zeiten. Das Pendel wird auch wieder in die andere Richtung ausschlagen. Auch die kommende Regierung, die nun so vielen Hoffnung macht und auch Angst, wird Fehler machen. Es wird Probleme geben und Abnützungserscheinungen. Und es wird eine neue Chance geben für all die, die jetzt meinen, die Welt gehe unter.

So wie es diese Chance für die gegeben hat, die jetzt am Ruder sind -und die bisher geglaubt haben, die Welt gehe unter.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Dezember 2017

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Agrarreform wird Bauern fordern



Die EU will Verantwortung abgeben. Die Länder geraten stärker in die Pflicht.

Hans Gmeiner

Salzburg. Soeben haben die Bauern mit der letzten EU-Agrarreform, die vor drei Jahren in Kraft getreten ist, umzugehen gelernt, da wirft schon die nächste ihre Schatten voraus. Kürzlich stellte EU-Agrarkommissar Phil Hogan die Eckpunkte der EU-Agrarpolitik nach 2020 vor. Er will den Mitgliedsstaaten mehr Spielraum und damit auch mehr Verantwortung bei der Gestaltung der Agrarpolitik geben. Nach dem Vorliegen des EU-Finanzplans für die nächste Budgetperiode will der Kommissar noch vor dem Sommer 2018 konkrete Gesetzesvorschläge präsentieren. Doch bei den heimischen Agrariern herrscht bereits jetzt Hochspannung.

Für die österreichischen Landwirte geht es nicht nur um die Vorgaben für ihre Arbeit, sondern vor allem auch ums Geld. Der Brexit liegt schon jetzt wie ein Schatten über allen Plänen. Man befürchtet, dass für die Gemeinsame Agrarpolitik weniger Geld zur Verfügung stehen wird, und macht sich Sorgen, weil dem gemeinsamen Markt Millionen an Kunden verloren gehen.

Im Kern geht es EU-Kommissar Hogan darum, dass die Agrarpolitik besser auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Bauern und der Umwelt zwischen Lappland und Sizilien abgestimmt werden kann. In Bereichen wie Klima und Umwelt soll demnach die Kommission in Zukunft nur mehr die Ziele und Prioritäten vorgeben. Erreicht werden sollen sie auf Basis von Strategieplänen, die von Mitgliedsstaaten selbst erarbeitet werden. Kontrolliert werden soll nicht mehr die Einhaltung der Maßnahmen, sondern die Erreichung der Ziele. Das sogenannte Greening, mit dem die Landwirtschaft bisher Umweltzielen folgte, ist damit Geschichte. „Es war zu kompliziert und hat nicht funktioniert“, sagt Hogan.

Grundsätzlich beibehalten wird der Zwei-Säulen-Aufbau mit Direktzahlungen an die Bauern, die aus der ersten Säule kommen, und mit Abgeltungen für Maßnahmen im Bereich der Ländlichen Entwicklung aus der zweiten Säule. Sie sollen auch weiterhin von den Mitgliedsstaaten kofinanziert werden können. Dazu gehören Umwelt-und Bioprogramme, die Bergbauernförderung, aber auch die Unterstützung für die Jungbauern und die Investitionsförderung. Möglich werden sollen in Zukunft bei den Förderungen eine degressive Staffelung nach Betriebsgrößen und das Einziehen einer Obergrenze.

Mehr Bedeutung will die EU in Zukunft dem Einsatz neuer Technologien, der Stärkung der Zusammenarbeit mit Landwirten entlang der Lebensmittelkette vom Feld bis auf den Küchentisch und dem Schutz der Bauern vor Preisschwankungen, Marktkrisen und Wetterextremen geben.

Für Diskussionen sorgt insbesondere die Verlagerung der Verantwortung auf die Mitgliedsstaaten. Sie könnte zu einer Renationalisierung der EU-Agrarpolitik führen, wird befürchtet. Thema ist auch die Angleichung der Hektarprämien. Und umstritten ist die Obergrenze für die Förderungen. Während Länder wie Deutschland diese am liebsten verhindern würden, können sich österreichische Agrarier, wie der oberösterreichische Landwirtschaftskammerpräsident Franz Reisecker, eine Obergrenze von 100.000 Euro je Betrieb und eine Degression der Förderungen ab 50 Hektar Fläche vorstellen. Reisecker ist als Vizechef des europäischen Bauernverbandes Copa ranghöchster Bauernvertreter Österreichs in Brüssel.

Auch wenn Details noch offen sind, zeigt man sich in der Landwirtschaft insgesamt zufrieden. „Das ist keine Revolution, sondern eine Evolution mit guten Ansätzen“, sagen Reisecker und der oberösterreichische Agrarlandesrat Max Hiegelsberger. Auch Franz Sinabell, Agrarexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut, sieht den Vorschlag positiv. „Wesentliche Punkte wie das Verteilungsproblem, der Umweltbereich oder die Themen Innovation und Volatilität wurden direkt angesprochen.“ Skeptisch ist er freilich, dass sich die Bauern in Zukunft mit weniger Bürokratie herumschlagen müssen. „Das wird wohl eher noch komplizierter.“ Und auch wirtschaftlich werde es für die Bauern nicht einfacher. „Die Anforderungen werden nicht geringer, es wird zunehmend enger.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 13. Dezember 2017

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Problemfall Erfolg



Seit Monaten kommen aus der Wirtschaft Meldungen wie aus dem Bilderbuch. Die heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute, die Nationalbank und internationale Einrichtungen wie die OECD haben die Wirtschaftsprognosen für Österreich Schritt für Schritt angehoben. Auch für die Eurozone wird das stärkste Wirtschaftswachstum sein 2007 erwartet und die Weltwirtschaft wächst so schnell wie zuletzt vor acht Jahren. Die Konsumlaune hierzulande sei gar so gut, wie seit 15 Jahren nicht mehr, heißt es, der Fremdverkehr meldete eine Rekord-Sommersaison und der Chef des Arbeitsmarktservices befand jüngst sogar die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gegenüber dem Vorjahr als "wolkenlos". Viele Branchen können den Erfolg gar nicht mehr bedienen. Es wird von fehlenden Kapazitäten bei den Frächtern berichtet und von den Schwierigkeiten, im Fremdenverkehr genügend Arbeitskräfte aufzutreiben.

So viele Indikatoren wie selten zuvor stehen auf Rekord. Es läuft so gut wie schon lange nicht mehr. Freilich heißt das nicht, dass es nirgendwo Handlungsbedarf gibt, aber besser wird es wohl nicht mehr werden -und darum sollte man alles daran setzen, die Gunst der Situation zu nutzen, Versäumtes nachzuholen, die Stellschrauben nachzujustieren und die Weichen für die Zukunft zu stellen.

In der öffentlichen Meinung freilich dominieren dennoch immer noch die ewig negativen Schlagzeilen, der klagende und anklagende Ton, und die Nörgelei und Jammerei. Daran will sich in diesem Land offenbar nichts und unter keinen Umständen etwas ändern. Schon gar nicht mag man zugeben und zur Kenntnis nehmen, dass sich etwas verbessert hat oder gar gut läuft.

In Österreich, scheint es, kann man mit Erfolg nicht umgehen. Da macht man lieber schlecht, was man nur schlecht machen kann und suhlt sich in Problemen, anstatt sie anzugreifen und zu lösen. Nur in ganz wenigen Momenten ist davon zu hören, dass zu keiner Zeit in der Geschichte eine so große Anzahl von Bürgern auf einem derart hohen Wohlstandsniveau lebte wie heute. In der Regel aber will man das nicht zur Kenntnis nehmen. Und schon gar nicht will man zur Kenntnis nehmen, dass es in allen Bereichen vorderste Aufgabe sein sollte, die Dinge weiter zu entwickeln und die Weichen nachzujustieren, allein um den Status abzusichern.

Und man tut sich auch schwer damit in diesem Land, den Erfolg zu nutzen. Da schreibt man am liebsten alles fort aus der Vergangenheit. Nicht nur bis etwas nicht mehr zu halten ist, weil es vorne und hinten an Geld fehlt und sich das Umfeld und die Umstände längst verändert haben, sondern auch bis, und das ist wohl noch gravierender, aller Spielraum für die Weiterentwicklung aufgebraucht ist.

Wer sich gegen diese Stimmung und die Haltung sperrt, wer sie nicht akzeptieren will, und wer die Chancen und Möglichkeiten, die sich in einem Wirtschaftsumfeld wie dem derzeitigen bieten, nutzen will, hat es schwer in diesem Land. Rückenwind ist selten zu verspüren, die Skepsis überwiegt allemal. Der Apparat und seine Bürokratie zeigen sich zumeist beharrlich und hölzern. Der Unwillen ist es, der dominiert und die Feindseligkeit. Wer Neues will und Neues schaffen will, dem schlägt meist Reserviertheit entgegen und Skepsis. Da ist selten etwas von begeisterter Unterstützung zu hören und davon, dass man Steine möglichst rasch aus dem Weg räumen will. Da geht es viel zu oft immer noch um Unterschriften und Genehmigungen und das Einhalten auch von Vorschriften, die nicht nur längst überholt, sondern die auch in ihrer Rigidität oft nicht zu überbieten sind.

Schwer macht es auch, dass das Angebot von Ämtern, Behörden und Kammern immer öfter nicht zu den Bedürfnissen der Wirtschaft und all der anderen passt, die den Rückenwind nutzen wollen, die Neues schaffen und neue Wege gehen wollen. Vor allem zu diesen nicht. Auch wenn sich in vielen Bereichen dort in den vergangenen Jahren vieles zum Positiven geändert hat, erweist sich der Apparat oft als zu träge. Bis das Angebot an die aktuellen Bedürfnisse angepasst ist, sind die Anforderungen schon wieder längst andere.

Daran ist zu arbeiten. Und nicht nur daran. Österreich muss lernen die Zeit zu nutzen. Daran fehlt es freilich immer noch viel zu oft. Ganz so, als ob man auch für die Zukunft sichern wolle, was man vielerorts am besten kann - jammern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Dezember 2017

Samstag, 2. Dezember 2017

Verloren im Dickicht der Kammern



Es gibt Unternehmen, in denen die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern kuriose Blüten treibt. Die Saatbau Linz ist so eines.

Hans Gmeiner

Linz. In der intensiven Debatte über die Pflichtmitgliedschaft bei Kammern sind Gegner und Befürworter tief gespalten. Das Beispiel Saatbau Linz zeigt, warum das so ist. „Welche und vor allem wie unsere Interessen von all den Kammern vertreten werden, an die wir Pflichtbeiträge entrichten müssen, ist für uns nicht nachvollziehbar“, sagt deren Chef Karl Fischer. Kein Wunder, die Genossenschaft, die er leitet, muss Pflichtbeiträge an nicht weniger als vier Kammern abführen.

An die Wirtschaftskammer zahlt die Saatbau Linz, die rund 180 Millionen Euro Jahresumsatz im In- und vor allem im Ausland erzielt und 445 Mitarbeiter (davon 230 in Österreich) beschäftigt, jährlich rund 81.000 Euro. „Je Betriebsstätte zahlen wir eine Grundumlage, dazu kommen die Kammerumlage eins und ein Betrag, der sich aus unserem Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds ableitet“, sagt Fischer. An die Landarbeiterkammern in Oberösterreich und Niederösterreich, die für die Genossenschaftsmitarbeiter zuständig sind, hat die Saatbau jährlich knapp 50.000 Euro zu zahlen. Fischer: „Grundlage dafür sind die Sozialversicherungsbeiträge unserer Mitarbeiter.“ Weil es im Burgenland, wo die Saatbau auch Betriebsstätten hat, keine Landarbeiterkammer gibt, steht man dort bei der Arbeiterkammer in der Pflicht, mit knapp 6000 Euro pro Jahr. Und dann sind da noch die Landwirtschaftskammern der Länder, in denen die Saatbau landwirtschaftliche Betriebe hat, wo sie der Pflanzenzucht nachgeht, dem eigentlichen Geschäftszweck. Ausgehend vom steuerpflichtigen Umsatz gibt es einen Grundbetrag pro Betrieb und eine Umlage für leitende Angestellte, macht noch einmal knapp 4000 Euro. „In Summe zahlen wir pro Jahr also rund 140.000 Euro“, rechnet der Saatbau-Chef vor. „Das ist nicht wenig und für uns ein echter Wettbewerbsnachteil gegenüber der internationalen Konkurrenz, die keine solchen Beiträge kennt.“

Fischer versteht sich trotzdem nicht als Kammer-Gegner. Die derzeitige Form der gesetzlich festgeschriebenen Pflichtmitgliedschaft bei Kammern, für die der Staat über das Finanzamt, an das alle Kammerbeiträge überwiesen werden müssen, sogar das Inkasso macht, hält Fischer aber für „vollkommen überholt. Ich will mir selbst aussuchen können, wer mich vertritt.“ Das klingt angesichts seiner Erfahrungen verständlich. „Die einen kümmern sich mehr um uns und sind für unsere Arbeit auch wichtig, andere nehmen nur das Geld, ohne sich je anschauen zu lassen.“

Dazu kommt, dass die Konstellation der Saatbau nur schwer ins System passt, weil sich die Interessen aller Beteiligten überlagern und das oft gleich mehrfach. Weil die Mitarbeiter des Unternehmens über ein Beteiligungsmodell auch Miteigentümer sind, stehen sie mehrmals in der Pflicht – direkt bei der Landarbeiterkammer und indirekt als Miteigentümer auch bei der Wirtschaftskammer sowie bei der Landwirtschaftskammer.

Für die Nebenerwerbsbauern unter den Saatbau-Mitarbeitern gilt das in einer verschärften Version, sind sie doch neben den indirekten Beiträgen und dem Beitrag zur Landarbeiterkammer als Landwirte auch verpflichtet, den Landwirtschaftskammerbeitrag zu entrichten. Damit nicht genug. Sind die Nebenerwerbsbauern nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Mitglied der Saatbau-Genossenschaft, trifft sie die Beitragspflicht gleich noch einmal. Aber immerhin wieder nur indirekt. Dass sie dabei den Überblick verlieren, wer wo und wie welche Interessen vertritt, nimmt da nicht Wunder.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. Dezember 2017

Freitag, 1. Dezember 2017

Netzwerk Kulinarik ohne Lampert



Bündelung der landwirtschaftlichen Initiativen bei AMA Marketing.

Hans Gmeiner

Salzburg. Geplatzt ist die Zusammenarbeit der Landwirtschaft mit Bio-Pionier Werner Lampert im Netzwerk Kulinarik, in dem das Landwirtschaftsministerium die Initiativen der Landwirtschaft in der Direktvermarktung und in der Gastronomie bündeln will. Lampert ist bereits seit Ende August nicht mehr Partner des Projekts, wurde jetzt bekannt. Sein Unternehmen Fair und Gut zog sich aus der gemeinsamen Gesellschaft mit der AMA Marketing zurück. Landwirtschaftsminister Rupprechter holte Lampert als Aushängeschild für das Projekt und stellte mehr als zehn Millionen Euro bereit. Nicht mehr dabei ist auch Geschäftsführer Thomas Müller. Er firmiert bis Jahresende nur noch als Berater.

Das Netzwerk soll nun von der AMA Marketing allein weitergeführt werden. „Wir stehen in den Startlöchern und warten auf das Go“, sagte Michael Blass, Chef der AMA Marketing den SN. Auch aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es: „Der Umbau ist im Finale.“ Einen genauen Zeitpunkt freilich will vor dem Hintergrund der aktuellen Regierungsverhandlungen niemand nennen.

Blass hält das Konzept, das anfänglich vor allem bei den um ihr Geld fürchtenden Genussregionen auf große Skepsis stieß, nach wie vor für gut. „Es kommt an“, sagt er.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 1. Dezember 2017

Donnerstag, 30. November 2017

Neue Töne zwischen Verkitschung und Verachtung



Über Landwirtschaft zu reden ist schwierig. Da gibt es immer öfter nur schwarz und weiß, aber nichts dazwischen. Verkitschung und Verherrlichung oder Verachtung und Herabwürdigung. Mitte scheint es keine zu geben.

Es sind selten Fakten, die die Diskussion bestimmen, sondern immer öfter Emotionen. Die Bauern sind nicht glücklich damit. Und sie fahren auch nicht gut damit. Die Art und Weise, wie über die Landwirtschaft geredet wird, hat sie längst zum Spielball gemacht. Zum Spielball der Politik, des Handels, der Medien oder der NGO. Zum Spielball aber auch von Gruppen innerhalb der Bauernschaft. Von denen zuweilen sogar am ärgsten. Gerade da fehlt oft jedes gegenseitige Verständnis, sehr viel eher neigt man dazu, sich auf dem Rücken von Standeskollegen zu profilieren, um in der Öffentlichkeit besser da zu stehen. Da hat man keine Scheu, andere Produktionssparten oder Produktionsweisen schlecht zu machen, um selbst in besserem Licht zu erscheinen.  

Dabei ist gerade in den vergangenen Jahren die Sache der Landwirtschaft insgesamt unter die Räder gekommen. Diskussionen sind schwierig bis unmöglich geworden, Argumente werden nicht mehr gehört, vergessen wird, dass die Landwirtschaft ein Wirtschaftszweig mit wichtigen Aufgaben ist - und kein Schrebergarten. Das Bild, das sich die Gesellschaft von der Landwirtschaft macht, hat mittlerwiele kaum mehr etwas mit dem zu tun, wie die Bauern ihre Aufgabe und ihre Arbeit sehen.

Bemühungen, das zu ändern, gibt es. Ihr Erfolg ist aber bisher sehr überschaubar geblieben. Auch weil sich der landwirtschaftliche Apparat und die Verantwortlichen nicht von den eingefahrenen Geleisen zu lösen vermögen.

Wie das gehen könnte, zeigen neuerdings Einrichtungen, die nichts mit Kammern, Bauernbund oder Verbänden zu tun haben. Bemerkenswert und wohltuend frei von Verkitschung und Verächtlichmachung etwa ist die Arbeit des Vereins „Land schafft Leben“ hinter dem der Lebensmittelhandel und große Lebensmittelerzeuger wie die heimischen Molkereien stehen. Bemerkenswert  war zuletzt auch die Aufbereitung des Themas Boden und Bodenverbrauch durch die Rechercheplattform „Addendum“ von Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz. So, wie dort die Themen angegangen und aufbereitet werden, wünscht man sich das. Sachlich, ohne Pathos und ohne große Agitation in die eine oder die andere Richtung.

Daraus kann etwas entstehen, was den tatsächlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft entspricht. Ob man das aber auch erreichen wird, ist freilich noch offen. Zahlen etwa über Zugriffe im Internet oder Ähnliches, an dem sich die Wirkung messen ließe, gibt es nicht.

Das freilich gibt es auch im angestammten Bereich nicht. Von dort weiß man, dass die Wirkung überschaubar ist. Die „Klartext“-Veranstaltungen der Landwirtschaftskammern werden vorwiegend von Fachleuten aus dem eigenen Umfeld besucht. Und das „Netzwerk Kulinarik“, vor mehr als zwei Jahren vom Landwirtschaftsminister als das Zukunftsvehikel für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit groß angekündigt, hat immer noch wenig vorzuzeigen. Außer, dass inzwischen der Geschäftsführer, aber auch das Zugpferd Werner Lampert abhanden gekommen sind.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land Dezember/2017

Eine Gesellschaft verweigert Respekt



"Asylanten mehr gefürchtet als Keime" titelte dieser Tage die Gratiszeitung "heute", die der Frau Dichand gehört. In anderen Blättern waren Schlagzeilen zu finden wie "Zu wenig Abschiebungen","Asylanten sind neunmal krimineller als Inländer","Zu oft ins Bordell gegangen - warum bekam der Vergewaltigungs-Afghane unser Steuergeld?" oder "Skandal: Abgelehnte Asylwerber bekommen Taschengeld und Mietzuschuss". Oder man befindet schlicht und mit dem entsprechenden Unterton, dass es "kaum Kriegsflüchtlinge" gebe.

Aus Meldungen wie diesen wird seit Jahren in Österreich eine ausländerfeindliche Stimmung genährt, die man als gelernter Österreicher zwar immer für möglich gehalten hat, die aber inzwischen öfter in nackte Verachtung kippt. "Gefühllosigkeit den anderen gegenüber scheint sozial akzeptabel geworden zu sein -je herzloser, desto besser" schrieb kürzlich die Kommentatorin einer bürgerlichen Tageszeitung. Sie ortet eine Grundstimmung, "die immer mehr auf Gleichgültigkeit bis Bösartigkeit Ausländern/Flüchtlingen gegenüber abzielt -medial und politisch stark befördert."

Flüchtlinge werden inzwischen hierzulande oft ausschließlich als Gefahr und Bedrohung und als Sozialschmarotzer, Vergewaltiger, Gauner und Verbrecher wahrgenommen, die nichts wollen, als unser Geld und vor denen man sich fürchten muss. Und Respekt ist im Zusammenhang damit eine Kategorie, die es ohnehin nicht zu geben scheint.

Es mag ja viel schiefgelaufen sein in den vergangenen Jahren, es mag auch viele Flüchtlinge geben, die nicht von Not getrieben sind, sondern nur im Sinn haben, in unserer Sozialsystem einzuwandern, und der Umgang damit ist wohl in der Tat die größte politische Herausforderung unserer Zeit -aber rechtfertigt das, alle über einen Kamm zu scheren und alle nur mehr für Gauner und Schmarotzer zu halten und verächtlich und mit eindeutigem Unterton von ihnen zu reden?

Warum wird vergessen, dass die allermeisten gekommen sind, weil ihre Heimat zerbombt wurde, weil sie oft verfolgt wurden und weil sie keine Zukunft mehr sahen? Warum wird vergessen, was diese Menschen erlebt und gesehen haben und was sie oft Ungeheures durchgemacht haben?

Warum, so fragt man sich, redet davon niemand? Warum gibt es nur die Berichte von dem, was schief läuft, warum gibt es aber nicht die anderen Geschichten über die Flüchtlinge, die Geschichten, die zeigen und erklären, was sie mitgemacht haben, was sie antreibt und womit sie fertig werden wollen und müssen? Es kümmert sich niemand um die Geschichten der Flüchtlinge und niemand darum, sie und ihr Schicksal in ein anderes Licht zu setzen, als das, das Zeitungen wie "heute","Krone" und andere erzeugen? Nicht die Politik, nicht die Kirche und schon gar nicht die Medien.

Dabei gäbe es diese Geschichten. Da gibt es den Studenten aus Syrien, der vor zwei Jahren als Bootsflüchtling nach Österreich kam. Ein aufgeweckter junger Bursch mit lockigem Wuschelkopf und lebendigen Augen, der sich der Kunst verschrieben hat. Es hat schnell Deutsch gelernt, er hat es geschafft an der Kunstuni unterzukommen, er hat inzwischen seine eigene Wohnung, er kämpft seit Jahren. Er dreht jeden Euro dreimal um, spart über Tage zusammen, um sich ein paar Happen zum Essen leisten zu können und arbeitet an seinem Traum vom Leben als Künstler.

Es gibt wohl dutzende, hunderte, tausende wie ihn. Aber von ihnen hört man kaum etwas. Sondern immer nur von "Vergewaltigungs-Afghanen", "Drogen-Asylanten" und "Problem-Asylanten".

Es scheint so, als weigere sich die Gesellschaft, zu einem normalen und sachlichen Verhältnis zu den Flüchtlingen zu finden. Die Politik scheint sie dabei zu unterstützen. Schon wer alleine Augenmaß einmahnt im Umgang mit diesen Menschen und bei den Maßnahmen, die man setzen will, hat keine guten Karten. Es ist auch das Interesse daran, das fehlt.

Der Sache selbst erweist man wohl keinen guten Dienst. Viele eher scheint es, als schiebe man all die Probleme, die sich zunehmend auftürmen, lediglich vor sich her. Die Probleme selbst aber bleiben viel zu oft ungelöst.

Die Emotionen, wie sie allerorten geschürt werden, sind dabei alles andere als nützlich. Und die Untätigkeit, die damit einhergeht, auch. Auch die der Politik, die sich allein darauf zu beschränken scheint, die Grenzen dicht zu machen und den finanziellen Aufwand zu minimieren, die aber vor den tatsächlichen Aufgaben der Integration die Augen verschließt.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. November 2017

Donnerstag, 23. November 2017

Leichtes Spiel für falsche Ansichten



Am vergangenen Samstag endete in Bonn die jährliche UN-Weltklimakonferenz. Es war die 23.  Das Ergebnis war bescheiden, das Echo auch. Seit Jahren kommt kaum etwas dabei heraus und kaum jemand hört noch hin. Seit Jahren steckt man im Klimaschutz, abgesehen von wenigen Erfolgen, wie dem Weltklimaabkommen im Vorjahr in Paris, vor allem in technischen Fragen fest. Inzwischen feiert man sogar, dass das Syrien des Schreckensherrschers Baschar al-Assad dem Weltklimaabkommen beitritt, während man keine Handhabe gegen die USA eines Donald Trump hat, die dabei sind, genau dieses Abkommen einseitig aufzukündigen.

Dabei ist die Lage ernster denn je. "Wenn wir so weitertun wie bisher, ist schon in zwölf Jahren die Erderwärmung um zwei Grad erreicht, die noch vor wenigen Jahren für das Ende dieses Jahrhunderts erwartet wurde", heißt es inzwischen.

Aber die Warnungen verfangen nicht mehr. Der Zeitgeist ist ein anderer geworden. Die Gefahren fürs Weltklima werden immer öfter ignoriert und die drohende Katastrophe verleugnet. Gehört werden nicht mehr die Warner, gehört werden immer öfter die, die den drohenden Klimawandel bestreiten und für ein leeres Gerede halten. Es wird in immer breiteren Kreisen nachgerade schick, den Klimawandel anzuzweifeln und gleich zu leugnen, die warnenden Erkenntnisse zu verteufeln und Klimaphänomene mit allem anderen zu erklären als mit der Umweltbelastung durch den Menschen.

Politiker wie Donald Trump, aber auch rechte europäische Parteien wie die FPÖ und andere, wissen diese allerorten zum Trend werdende Entwicklung zu befeuern und für sich zu nutzen. Geht es so weiter, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis ihre Einschätzungen zum Klimawandel zum Mainstream werden.

Sie haben freilich ein leichtes Spiel. Denn jene, denen der Umwelt-und Klimaschutz ein Anliegen ist, arbeiten ihnen seit Jahren und Jahrzehnten in die Hände. Nie ist es ihnen gelungen zu Partnern der Menschen zu werden. Im Gegenteil. Vieles der Umweltpolitik der vergangenen Jahre war für immer mehr Menschen nicht mehr nachvollziehbar, zumal auch eine positive Wirkung nicht erkennbar war. Immer mehr Menschen fühlten sich überfordert und gehänselt. Vor allem dort, wo die Menschen von Maßnahmen direkt tangiert werden, wurden sie zunehmend als weltfremde Quälgeister empfunden, als Besserwisser, ohne Ahnung vom Leben und seinen Anforderungen.

Der Umwelt-und Klimaschutz hat im Lauf der vergangenen Jahre einen Drall bekommen, der immer mehr Menschen sauer aufstieß und misstrauisch werden ließ. Der stets erhobene Zeigefinger und die ständigen, oft oberlehrerhaften Belehrungen stießen zunehmend auf Ablehnung. Und die rasant wachsende Geschäftstüchtigkeit der NGOs ließen die Skepsis wachsen.

Zu oft erschöpfte sich die Klima-und Umweltpolitik in einer hohlen Symbolik oder verrannte sich in ein unübersichtliches Maßnahmenwirrwarr, das sich alsbald als bedeutungslose Nebenfront zeigte, während die großen Probleme unangetastet blieben. Nur ein Beispiel: Obwohl die deutschen Autohersteller über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte mit ihren Dieselfahrzeugen die Kunden betrogen und auch die Klimapolitik getäuscht haben, werden sie nach wie vor hofiert, während die heimischen Bauern, die vor der Saat gezielt Glyphosat einsetzen wollen, um später mit weniger Pflanzenschutz auszukommen, seit Monaten als Umweltvergifter allerersten Ranges an den Pranger gestellt werden.

Da nimmt nicht wunder, dass sich wieder immer mehr Menschen dem Thema Umweltschutz gegenüber verschließen und lieber den Trumps und Straches und ihren Einschätzungen zu Klima und Umwelt folgen. Nicht ohne Grund tun sich Parteien wie die Grünen in diesem Umfeld viel schwerer, als sie sich schon einmal getan hatten -und das nicht nur wegen der selbstverschuldeten Querelen.

Für Umwelt und Klima freilich sind diese Entwicklungen wahrscheinlich fatal und für eine wirksame Umweltpolitik eine harte Prüfung. Darum führt kein Weg darum herum, neue Zugänge zu finden in der Vermittlung des Themas und in die Köpfe der Menschen respektive der Politiker. Vernunft und Augenmaß sind von allen Seiten einzufordern.

Zweifel sind freilich durchaus angebracht, dass das gelingt, denkt man nur an das Geschrei, wenn von höheren Flugpreisen oder höheren Preisen fürs Essen nur die Rede ist. Dabei macht beim Klimaschutz erst billig alles ganz schön teuer -und gefährlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. November 2017

Donnerstag, 16. November 2017

"Paradise" in uns



Auf der Rennstrecke bewundert man seine Schlitzohrigkeit. Als sein Name in den Paradise Papers auftauchte und ruchbar wurde, dass er mit einer simplen Zwischenlandung auf der Isle of Man beim Überstellungsflug von den USA nach Europa beim Kauf seines Privatjets mehr als vier Millionen Dollar an Mehrwertsteuer sparte, war das anders. Mit einem Mal fand sich der Formel 1 Champion Lewis Hamilton im Zentrum der internationalen Empörung über Superreiche, Politiker und Unternehmen, die sich auf das Nutzen von Steuerschlupflöchern verstehen, ihre Zahlungspflichten optimieren und ihr Geld in Steuerparadiesen vor dem Zugriff des Fiskus in ihren Heimatländern zu schützen wissen.

Die Aufregung ist wieder einmal groß. Und das Staunen auch. Die Namen von Leuten wie der britischen Queen finden sich auf den Listen, die in der Vorwoche veröffentlicht wurden, die von Künstlern wie dem U2-Sänger Bono oder der von Trumps Handelsminister Wilbur Ross. Gar nicht zu reden von den Namen der internationalen Konzerne, die bei den Recherchen gefunden wurden - Nike, Apple, Siemens, die Deutsche Bank oder die Deutsche Post.

Angesichts der Summen, die sie sich allesamt ersparten, sind die Aufregung, das Staunen und die Verärgerung verständlich. Aber, auch wenn die Relationen ganz andere sind, im Grund (einmal unterstellt, dass sie keine Gesetze verletzten, was bei den meisten, die in dem Zusammenhang genannt wurden, der Fall sein dürfte) taten sie nichts anderes, als alle tun -sie versuchten, möglichst wenig Steuern zu zahlen und gesetzliche Möglichkeiten, die ihnen das System bietet, zu nutzen.

Das ist auch bei uns üblich. Ganze Branchen leben davon. Wirtschaftstreuhänder, Steuerberater, Rechtsanwälte. Allerorten sucht man nach Möglichkeiten, die Steuerlasten möglichst gering zu halten.

Das ist bei den großen Unternehmen so, bei den Gewerbetreibenden und sogar bei den Bauern, die sich -ohne ein Gesetz zu verletzen -auf den steuerschonenden Umgang mit der Buchführungsgrenze verstehen. Und es ist auch bei vielen unselbständig Erwerbstätigen so. Denn wer sich den Jahresausgleich holt, tut im Kern nichts anderes. Und wer das nicht tut, ist selber schuld, wird dann gerne und ohne Mitleid denen entgegengehalten, die sich die Mühe nicht machen.

Dieses Muster ist aber auch in anderen Bereichen erkennbar. Wer sich hierzulande nicht drauf versteht, etwa all die angebotenen Förderungen, vom Wohnbau-bis zum ERP-Kredit, für sich zu nutzen, wird mitleidig belächelt, wenn nicht gleich für dumm gehalten. Unbesehen davon, ob er sie braucht oder nicht. Wer auf eine Förderung verzichtet und sich nicht darum kümmert, erntet meist nichts denn ungläubiges Kopfschütteln.

Und das Muster ist auch zu erkennen bei der Inanspruchnahme von Leistungen im Sozial-und Gesundheitsbereich. Der Bogen reicht von den einfachen Beihilfen bis hin zu ausgiebigen Kurbehandlungen. Wer nicht nimmt, was er bekommt und wer sich nicht darum kümmert, was er bekommen kann, erntet rundum Kopfschütteln und Unverständnis.

Das Verhalten ist ganz und gar nicht auf Superreiche irgendwo beschränkt. Es steckt auch in allen von uns. Und es steckt auch in denen, die sich jetzt so besonders aufplustern. Denn was war der unselige SP-Wahlkampfslogan sich zu "holen, was einem zusteht" anderes, als eine Variation dieses Verhaltens, das man den Superreichen und den Unternehmen vorhält?

Das alles ändert freilich nichts daran, dass der Handlungsbedarf groß ist. In der Schuld stehen aber nicht die Superreichen und die Konzerne. In der Schuld steht die Politik. Die in der EU, die in den USA und wohl auch die in Russland. Dort sitzen die Verantwortlichen, die dem Treiben mit oft allzu viel Wohlwollen zusehen. Die Isle of Man etwa gehört nicht zur EU, sondern untersteht direkt der britischen Krone, im US-Bundesstaat Delaware gibt es wegen der besonders günstigen Steuergesetzgebung hunderttausende Briefkastenfirmen und auch in der EU haben auch nach Jahren der Kritik immer noch viele Staaten nicht ihre Hausaufgaben gemacht. Man kennt die Namen und man kennt die Steueroasen. Aber man schaut immer noch zu.

Auch Österreich. Gerade in den vergangenen Tagen geriet Finanzminister Schelling wegen seines Bremskurses in Brüssel wieder in die Kritik. Nicht nur von dritter Seite. Auch sein Parteikollege, der EU-Parlamentarier Othmar Karas, attackierte ihn scharf.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. November 2017

Donnerstag, 9. November 2017

Ein Land in der Umkleidekabine



85 der insgesamt 183 Mandatare des künftigen Nationalrates, die am Donnerstag dieser Woche angelobt werden, sind neu. Bei der ÖVP stellen die Neuen sogar die klare Mehrheit. Alleine diese Zahlen zeigen, dass die Wahlen am 15. Oktober in diesem Land ein tiefer Einschnitt waren -so wie auch die Verschiebung der Machtverhältnisse, der Wechsel von der ewigen großen Koalition, die den Menschen schon so auf die Nerven ging, zu einer, wie es aussieht, neuen Koalition, ein tiefer Einschnitt ist. Die Menschen hatten genug vom ewigen Herumnudeln, vom Aussitzen, vom Intrigieren und vom Blockieren. Sie wollten die Veränderung. Da nahmen und nehmen viele auch die FPÖ in Kauf. Hauptsache es wird anders, war die Devise. Nur nicht mehr das Alte.

Seither ist das Land freilich in einer eigentümlichen Stimmung. Die einen lecken die Wunden und haben Probleme die Realität irgendwie zu fassen. Die anderen spüren, dass sie die Stimmung nicht wie seinerzeit bei Schwarz-Blau I so sehr auf ihrer Seite haben, um damit eine Protestwelle im Land, aber auch auf internationaler Ebene auszulösen. Überall ist man damit beschäftigt, sich neu zu ordnen und sich zu sortieren. Es wirkt, als wäre das ganze Land in der Umkleidekabine, um sich auf das Neue vorzubereiten, das gewählt wurde.

Dass das Leuten wie Christian Kern schwer fällt, verwundert nicht. Sein Lamentieren über die verlorenen Wahlen will nicht enden. Der Schmerz und die Wut müssen ungeheuer tief sitzen. Von einem "Durchputzprozess" redet er und davon, dass die SPÖ "gute Chancen" habe "in fünf Jahren zurückzukehren". Nach wie vor ist keine Einsicht in die eigenen Fehler und die Fehler und auch Schwächen seiner Partei zu erkennen. Er scheint immer noch zu glauben, dass es die Wähler waren, die geirrt haben.

Wie verzweifelt die Stimmung sein muss, zeigt ein Tweet des Kern-Masterminds und Biographen Robert Misik, der nach dem Abtritt von Pilz allen Ernstes darüber jammerte, dass die SPÖ möglicherweise stärkste Partei geworden wäre, wäre Pilz bei den Grünen geblieben. "Hätte Pilz das Ergebnis des grünen Buko akzeptiert, wäre SPÖ möglicherweise stärkste Partei und Grüne mit wohl ca. 8 Prozent im NR", schrieb er in der Tat. Es war freilich bittere Häme, die er erntete. "Hätte meine Großmutter 4 Räder, wäre sie ein Autobus", wurde ihm entgegnet.

Der Seelenzustand der Grünen ist kaum ein anderer. Sie sind nicht nur geschlagen damit, mit einem plebiszitären und finanziellen Supergau fertig werden zu müssen. Dass just jener Peter Pilz, der sie mit seinem Wahlergebnis ins Out schickte, nun selbst stürzte, ist eine zusätzliche Ohrfeige, die in ihrer Bösartigkeit gar nicht zu beschreiben ist.

Nicht nur die beiden geschlagenen Parteien tun sich schwer, mit den neuen Verhältnissen zurechtzukommen. Selbst die Kommentatoren und Analysten im Land tun sich immer noch schwer, die Dinge neu einzuordnen. Und auch die, die sich jetzt als Opposition sehen. Die Angriffe wirken lau und meist halbherzig. Und werden doch Angriffe auf Strache oder auch Kurz versucht, verpuffen sie schnell und wirken hilflos und zuweilen weinerlich. Der Widerstand gegen eine schwarz-türkise Koalition mit den Blauen mag nicht in die Gänge kommen. Da hilft auch kein salopper Sager eines kanadischen Premierministers, der Kurz durch einen Vergleich mit Trump anpatzte.

Während rundherum also alle mit sich beschäftigt sind, scheinen einzig die Wahlsieger, Sebastian Kurz und HC Strache, zu arbeiten. "Mir ist es wichtig, dass wir rasch für Klarheit in Österreich sorgen", lässt Sebastian Kurz mediengerecht allerorten wissen und gibt den Takt vor. Bisher ist von einem Streit nichts zu hören. "Kuschelig" wird das inzwischen genannt. "Es hat so etwas noch nicht gegeben", zeigt sich selbst Professor Anton Pelinka überrascht.

Es wird möglicherweise freilich nicht so bleiben. Denn, mit dem Tsunami zurechtzukommen, mit dem Kurz die Partei durchschüttelte, fällt nicht wenigen in der ÖVP schwer. Das gilt für die Bünde genauso wie für die Landeshauptleute und Abgeordneten, die sich mit einem Mal in einer völlig anderen Umgebung finden. Das Grummeln wird lauter. Nicht nur die roten, auch die schwarzen Sozialpartner sind in hellem Aufruhr wegen der Veränderungen, die möglicherweise kommen. Und nicht allen sind Strache und die Freiheitlichen automatisch Freund.

Und das macht fraglich, ob denn auch alles so "kuschelig" bleibt, wie das derzeit von vielen empfunden wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. November 2017

Samstag, 4. November 2017

Warnung vor falschem Beifall



Manche reiben sich in froher Erwartung schon die Hände. Bei anderen hat das Zittern längst begonnen. Ein Bundeskanzler Kurz im Verein mit einem Koalitionspartner FPÖ und möglicherweise mit Unterstützung der Neos könnte das heimische Kammerwesen ordentlich aufmischen. „Der junge Sebastian Kurz kann mit dem Kammerstaat nicht viel anfangen, die FPÖ hat das rot-schwarz dominierte Sozialpartnerwesen ohnehin stets als feindseliges Gebilde empfunden, in dem sie nichts zu reden hat“, war kürzlich in den Medien zu lesen. „Gemeinsam mit den liberalen Neos hätten ÖVP und FPÖ nun eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern abzuschaffen.“

Dem wohnt zweifellos eine gewisse Logik inne. Die Frage ist aber, ob das auch Sinn machen würde. Vor allem für die Landwirtschaft und für die Bauern. Freilich ist Zwang nie gut zu heißen und freilich kann man die Ansicht vertreten, das Angebot müsse stimmen, dann gebe es auch keine Probleme mit einer freiwilligen Mitgliedschaft. Bloß – die Pflichtmitgliedschaft bei der Landwirtschaftskammer ist mehr als das Abliefern von mancherorts als unangenehm hoch empfundenen Mitgliedsbeiträgen. Den Pflichtbeitrag kann man durchaus auch als Beitrag zur Erhaltung Strukturen einer Solidaritätsgemeinschaft sehen. Gerade für die Bauern gilt das in besonderen Maße.

Kaum ein anderer Berufszweig profitiert von den Kammern und der Pflichtmitgliedschaft so stark, wie die Bauern, deren zahlenmäßiges Gewicht dramatisch geschrumpft ist. Selbst die kritischsten Geister müssen eingestehen, dass die Landwirtschaftskammern für die Bauern durch ihre Grundlagenarbeit, aber auch durch ihre Beratungstätigkeit, einen messbaren Mehrwert schafften, den es andernfalls nicht gäbe. Die Arbeit, die in den Kammern geleistet wird und das agrarische Know-how, das dort angesiedelt ist, wird viel zu oft unterschätzt. Man stelle sich nur vor, wenn die Beratung allein von Wien aus käme und allfällige Verhandlungen mit Gesetzgebern von irgend einer fern angesiedelten Stelle geführt würden. Oder, wenn es nur nach den Interessen jener ginge, die einen freiwilligen Beitrag leisten.

Und, auch das sei gesagt, natürlich ist Pflichtmitgliedschaft bequem für die Landwirtschaftskammern.  Aber das gilt auch anders herum: Die Landwirtschaftskammern sind auch für die Bauern bequem. Sie sind mit Beratung zur Stelle, wenn es um rechtliche Fragen geht oder um Bauprojekte, sie führen den Stift beim Ausfüllen der Förderanträge und passen auf, dass man nichts falsch macht und vieles andere mehr.

Freilich ist es nicht so, dass es in den Bauernkammern keine Verbesserungspotenzial gäbe. Viele Länder haben immer noch einen Nachholbedarf, ihre Strukturen und ihr Angebot anzupassen. Es gibt immer noch nicht die seit Jahren avisierte Bundes-Landwirtschaftskammer, die die Position der Bauern stärken und bündeln soll. Und in der Sozialpartnerschaft ist man längst nicht mehr, als ein Anhängsel.

Aber dabei sollte, davor ist zu warnen, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten. Auch wenn man noch so begeistert ist von der neuen Führung des Landes und ihren Ankündigungen - die Änderungen, die diskutiert werden, und denen auch aus der Landwirtschaft gerne applaudiert wird, können auch die Bauern treffen.

Das gilt gerade für einen Satz, den Sebastian Kurz in einem Interview sagt. „Bei der Landwirtschaft wird es auch Potenziale geben, in der Struktur sparsamer zu sein“.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land 11/17, 4. November 2017

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Die Grünen sind auch nur Menschen - ganz gewöhnliche



"Wir haben 's vernudelt", twitterte der neue Grünen-Chef Werner Kogler zerknirscht. Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou musste in den sozialen Medien wahre Schimpfkanonaden über sich ergehen lassen. Manche Zeitungen berichteten von Schreiduellen in der Grünen-Zentrale. Und Peter Pilz richtete via Zeitungsinterviews aus, dass ihm die grüne Partei "mittlerweile wurscht" ist.

Die Grünen sind also doch auch nur Menschen. Ganz gewöhnliche sogar, wie sich in den vergangenen Tagen zeigte. Da ist nichts von den hehren Werten in Umgang und Diskussion miteinander, die sie von anderen immer ohne Abstriche verlangten. Auch sie und ihre Parteigänger ticken nach den gleichen Mustern, wie all die anderen, die sie in besseren Tagen immer meinten kritisieren zu müssen. Bosheit ist ihnen nicht fremd. Auch nicht List und Tücke, Hinterhältigkeit und all das andere, was sie immer so gerne kritisierten. Mit der Solidarität ist das auch so eine Sache. Und auch mit dem Verhalten, das ansonsten nur die stets und so gerne an den Pranger gestellten Wirtschaftsbosse und andere Vertreter des immer so heftig kritisierten Establishments an den Tag legten. Man traute seinen Ohren nicht, als man hörte, dass Peter Pilz, über Jahrzehnte Mastermind der Grünen, nonchalant in übelster neoliberaler Boss-Manier in die Mikrofone sagte, dass er nicht daran denke, jemanden von den gekündigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Grünen Klub zu übernehmen, sondern alle Posten, die er zu vergeben hat, ausschreiben und "nur die besten aussuchen will".

Solidarität, wie sie so oft auch von ihm eingefordert wurde, schaut wohl in den Vorstellungen der meisten Menschen anders aus. Man stelle sich nur vor, wie die Grünen über ein Unternehmen geschimpft hätten, das es so gemacht hätte wie Pilz. Und wie er selbst noch vor gar nicht langer Zeit auf die Barrikaden gegangen wäre.

Die Grünen sind nicht die Ersten, bei denen das zu beobachten ist. Man kennt das auch von vielen anderen -gleich ob es einzelne Menschen sind, Organisationen oder Einrichtungen, die gerne besondere hohe moralische und ethische Ansprüche bemühen und gerne mit dem Finger auf andere zeigen. Wenn diese Ansprüche auf die Wirklichkeit treffen, tun sich schnell Abgründe auf, zumal dann, wenn die Dinge nicht rund laufen. Da sind die Prinzipien und die Grundsätze oft im Nu über Bord geworfen, da wird alles ganz schnell ganz gewöhnlich, da unterscheidet man sich mit einem Mal um keinen Deut von denen, auf die man mit dem Finger zeigte. Und da bleiben oft auch viele staunend und enttäuscht, die ihnen geglaubt und versucht haben, deren Grundsätze zu leben und dafür sogar kämpften.

Die Grünen haben nicht nur die Wahlen verloren, sie haben sich auch selbst entzaubert. Zerschellt an der Wirklichkeit, müssen sie sich von allen Seiten vorhalten lassen, "persönliche Befindlichkeiten über die Befindlichkeit ihrer Wählerschaft gestellt zu haben, "wichtige Wertekonflikte nicht aufgelöst und "um Antworten herumgedruckst" zu haben, wie in den vielen Analysen des Desasters zu lesen ist. "Irgendwann hat es sich durchgesetzt, mit anderen nicht mehr respektvoll zu streiten, sondern sie als moralisch minder zurechtzuweisen."

"Die haben irgendwie den erhobenen Zeigefinger eingebaut", ätzte etwa der zum grünen Urgestein gehörende Christoph Chorherr.

Im Land freuen sich viele über die Kalamitäten, in denen die Grünen jetzt stecken. Schenkelklopfend zuweilen. Der "eingebaute Zeigefinger" nervte viele. Oft bis aufs Blut. Da ist die Häme verständlich. Dennoch sollte man den Stab über die Grünen nicht brechen. Sie werden fehlen. Auch wenn man oft Schwierigkeiten mit ihnen hatte und ihre Ansichten sperrig waren. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie sich wieder finden. Nicht als die Partei, die sie zuletzt waren, als Partei, die sich nicht einmal mehr richtig als Umweltpartei, sondern meistens sehr viel mehr als Kontrollpartei verstand, sondern als Partei, die den gesellschaftlichen Diskurs belebt, die neue Sichtweisen in die öffentliche Diskussion bringt und die versteht, sie auch umzusetzen. Und die auch das nötige Augenmaß hat und Verständnis für andere Ansichten und Bedürfnisse.

Gerade in einer Zeit, wie wir sie derzeit in der Politik und in der Gesellschaft erleben, ist das von ganz besonders großer Wichtigkeit.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Oktober 2017

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Die Leiden von Verlierern



Christian Kern, als smarter ÖBB-Chef einer der bestverdienenden Manager des Landes mit einem Jahreseinkommen weit jenseits jener 500.000 Euro-Grenze, die er zuletzt in den öffentlichen Betrieben einführen wollte, redete sich in seiner Not in den vergangenen Wochen in einen klassenkämpferischen Furor hinein. Selbst nach der Wahl am Sonntag postete er noch auf Facebook, die SPÖ lasse sich "nicht von Konzernen, Superreichen und ihren Medienfreunden in die Knie zwingen".

Verlieren will gelernt sein. Viele tun sich schwer damit, das Wahlergebnis zu akzeptieren und damit umzugehen. Nicht nur der abgewählte Kanzler. Da werden schnell Bilder gezeichnet, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Da wird gnadenlos überzogen und da werden Ängste geschürt, die nichts mit der Realität zu tun haben. Schon ist man sogar dabei, Demos zu organisieren und die Stimmung aufzuheizen. Pikanterweise freilich nur für den Fall, dass die schwarz-türkisen mit Strache eine Koalition eingehen sollten. Wohl nicht aber, wenn Kerns SP das täte, die seit Tagen dabei ist, sich die FPÖ schönzureden, um vielleicht doch nicht von der Macht lassen zu müssen.

Man tut sich schwer damit, zu akzeptieren, dass es für politische Fragen auch andere Ziele und Lösungsansätze gibt, die von den Wählern für sinnvoller erachtet werden und dass es auch eine andere Sicht von Gerechtigkeit gibt.

Natürlich ergeht man sich jetzt in und rund um die SPÖ darin, einen Rechtsruck zu beklagen und ihn zu einer Gefahr zu stilisieren. Ganz so, als ob Österreich je ein linkes Land gewesen wäre. Das war es nie. Auch ist die SPÖ längst keine linke Partei mehr, sondern viel eher -und dort sollte sie die Fehler suchen -zu einer Verteilungsund Selbstbedienungsmaschine geworden, freilich längst oft weitab von dem, was die Leute wollen und brauchen. Sie hat es selbst vermasselt, und nicht nur wegen Silberstein. Aber davon will man nichts wissen.

Diesmal ist es die SPÖ, die die Fehler macht, die man bisher vor allem von der ÖVP kannte, wenn für sie Wahlen schiefgingen. Man hält sich für moralisch überlegen und die Wählerinnen und Wähler für zu blöd, das zu erkennen -frei nach dem Motto "Der Irrtum geht vom Volk aus".

Es ist nur zu wünschen, dass die Vernunft Oberhand behält und man möglichst rasch lernt, das Wahlergebnis zu akzeptieren und damit umzugehen. Auch wenn es noch so schwer fällt. Runter vom Gas kann man nur verlangen. Es waren Wahlen und es hat das Volk entschieden. Herzstück einer Demokratie ist doch, dass die Menschen die Möglichkeit haben, auf dem Weg von regelmäßigen Wahlen in die politische Führung ihres Landes einzugreifen. Jeder und jede Einzelne.

Daher ist es ein ganz normaler demokratischer Vorgang, dass Wahlen nicht die Bestätigung herrschender Verhältnisse sind, sondern vor allem auch Veränderung ermöglichen, weil man mit der Regierung unzufrieden ist. Nichts anders ist am vergangenen Sonntag geschehen. Da war nichts getürkt, da wurde nicht geputscht, da hat niemand die Macht mit unlauteren Mitteln an sich gerissen. Die Sehnsucht nach Veränderung war stärker als alles andere. Das war es. Und das hat zu neuen Machtverhältnissen geführt.

Jetzt gibt es aller Voraussicht nach eine andere Regierungskonstellation. Was denn sonst, ist zu fragen. Neue Koalitionen müssen möglich sein. Die beiden Parteien, die das Land in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten regiert haben, haben gezeigt, dass sie nicht mehr miteinander können und wollen. Also ist die Veränderung nur zu logisch. Damit muss man leben lernen.

Verlieren ist schwer, aber das Land stürzt, wie man im Umfeld der Sozialdemokraten glaubt, in keine Katastrophe. Im Gegenteil -es ist die Chance, all den Ballast endlich abzuwerfen, der sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten angesammelt hat und neu zu beginnen. Übertriebene Erwartungen sind freilich nicht angebracht. Die ÖVP ist auch im türkisen Kleid die ÖVP, und die Freiheitlichen sind, auch wenn sie sich in den vergangenen Monaten ausschließlich von Kreide ernährt zu haben scheinen, die Freiheitlichen.

Das ist vor allem für Sebastian Kurz die große Herausforderung. Die Erwartungen, die er geweckt hat, sind hoch, die Gefahr zu scheitern auch. Er trägt jetzt die Verantwortung nicht nur dafür, dass wirklich das kommt, was er angekündigt hat, er trägt auch die Verantwortung dafür, dass das nicht kommt, was die Wahlverlierer in ihrer Verzweiflung an Gefahren an die Wände malen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Oktober 2017

Donnerstag, 12. Oktober 2017

Verlierer - hausgemacht



Im Land, das am kommenden Sonntag wählt, läuft vieles falsch. Das kann man an Vielerlei festmachen. Sei es an der von manchen als ungerecht empfundenen Verteilung der Vermögen, an der von vielen als nicht weniger ungerecht empfundenen Verteilung der Steuerlast, an der Bürokratie, die jede Österreicherin und jeden Österreicher schon in irgendeiner Form gequält hat, oder am Zustand der Staatsfinanzen.

An Themen wie diesen fehlt es wahrlich nicht. Aber kaum wo lässt sich besser und eindrücklicher festmachen und zeigen, wie stark die Dinge im Land aus dem Lot geraten sind, als an einem Beispiel, das Sebastian Kurz in seiner Antrittsrede als ÖVP-Obmann brachte. "Wir haben heute eine Situation in Österreich", sagte er, "dass ein Automechaniker fast neun Stunden arbeiten muss, bis er sich von seinem Gehalt eine Stunde eines Installateurs leisten kann." Und umgekehrt sei es nicht anders, fügt Kurz an. "Der Installateur muss sogar 13 Stunden arbeiten, bis er sich eine Stunde bei einem Automechaniker verdient hat."

Freilich wurde dann an dem Vergleich herumgemäkelt und wurden die Zahlen in Zweifel gezogen. Widerlegen konnte man sie in ihrer Gesamtheit aber nicht und letztendlich bestätigten alle Berechnungen die Feststellung von Sebastian Kurz im Grundsätzlichen.

Am Beispiel von Kurz ist greifbar, wie dieses System, das Österreich jahrzehntelang bestimmte, inzwischen versagt, wie sehr es überholt ist und wie dringlich der Bedarf an Abänderungen und Anpassungen ist. Es hat viel zu viele zu Verlierern gemacht. Den Handwerker, weil er sich eine Arbeit, die seiner eigenen entspricht, kaum leisten kann, der Kunde, weil Handwerksarbeit oft unerschwinglich teuer ist, und der Handwerksbetrieb, weil ihm trotz der hohen Preise, die er verrechnen muss, oft dennoch nichts bleibt. Kaum sonstwo ist Ungleichheit greifbarer.

Vor allem unglaublich hohe Lohnebenkosten, aufgeladen mit Bürokratie, Steuern und Abgaben und Sozialtarifen, die sich auftürmen, sind der Grund dafür. In kaum einem anderen Land sind die Kosten so hoch, die auf die Löhne draufgepackt werden und in kaum einem anderen Land die Kosten, die für die Arbeit verrechnet werden müssen, um zumindest über die Runden zu kommen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Land mit all dem politischen Flickwerk, mit den halbherzigen Steuerreformen, und allem Hin-und Rücksichtl der Verantwortlichen in Politik und Gewerkschaften im Verein mit all den anderen Interessenvertretungen, und wer alles noch meint, mitreden zu müssen, in eine Situation hineinmanövriert, die nichts ist denn kafkaesk und absurd. Und die nichts mehr mit den ursprünglichen Zielen zu tun, sondern oft längst das genaue Gegenteil dessen bewirkt hat. Nicht nur einmal hat man auf diese Weise sehr viel mehr Verlierer geschaffen als Gewinner. Und schon gar nicht hat man das Land weitergebracht, sondern sehr viel öfter vielen Chancen verbaut und das Geld aus der Tasche gezogen, ohne dass irgendjemand davon profitiert hätte -außer der Staat.

Da hat sich ein System, das allen Gutes tun wollte und dessen Trachten es war, möglichst gerecht zu sein, längst gegen sich selbst gewendet und oft und oft ad absurdum geführt. Eindrücklich wie kaum anderswo zeigt sich, wie notwendig ein frischer Wind ist. Wie notwendig es ist, überkommene Einstellungen und Strukturen zu brechen und Alteingefahrenes zu überwinden und hinter sich zu lassen.

Allen wäre damit geholfen. Man stelle sich vor, der von Kurz zitierte Automechaniker müsste nur drei, vier Stunden arbeiten, um sich eine Stunde eines Installateurs leisten zu können, der den Rohrbruch in seiner Küche repariert. Oder der Installateur müsste nur fünf Stunden arbeiten, um den Blechschaden an seinem Auto in einer Werkstatt ausbiegen zu lassen. Das schafft keine noch so große steuerliche Umverteilung oder Ähnliches. Jedem bliebe mehr Geld in der Brieftasche, jeder könnte sich mehr leisten, es müsste weniger gepfuscht werden, die Unternehmen hätten mehr davon, allen ginge es besser. Jedem Einzelnen, der Wirtschaft, der ganzen Gesellschaft, dem ganzen Land.

Die Hoffnung, dass es so kommt, ist freilich gering. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es ja. Und sich an solche Sprüche zu klammern, erscheint nach der Wahl-Schlammschlacht der vergangenen Woche ohnehin als die einzige Möglichkeit.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Oktober 2017

Agrana mausert sich zu Stärke-Imperium



Mit Investitionen von rund 200 Mill. Euro werden Kapazitäten stark ausgebaut.

Aschach. Die Agrana arbeitet weiter intensiv am Ausbau der Geschäftsfelder abseits der Zuckerproduktion, die nicht zuletzt wegen des Wegfalls der Produktionsquoten in der EU immer weniger Freude bereitet. Im Fokus steht dabei derzeit der Ausbau der Stärkeproduktion, die in den vergangenen Jahren hinter der Fruchtbe-und -verarbeitung zum wichtigsten Standbein geworden ist. In der Stärkefabrik in Aschach (OÖ) wurde Mittwoch der neueste Zubau eröffnet, mit dem an diesem Standort die Verarbeitungskapazitäten um ein Drittel auf 540.000 Tonnen Mais pro Jahr erhöht werden. „Der Stärkemarkt bietet vor allem bei Spezialprodukten für die Papier-, Textil-, Kosmetik-, Pharma- und Baustoffindustrie interessante Möglichkeiten“, sagt Agrana-Chef Johann Marihart.

Bis Anfang 2020 sollen auch die Kapazitäten der Weizenstärkefabrik in Pischelsdorf (NÖ) verdoppelt werden. Geplant ist auch, die Kapazitäten der Kartoffelstärkefabrik in Gmünd (NÖ) um 30 Prozent zu erhöhen. „Insgesamt investieren wir im Stärkebereich, zu dem auch Werke in Ungarn und Rumänien gehören, rund 200 Millionen Euro“, sagt Marihart. Die Agrana verarbeitet in dieser Sparte jährlich 2,5 Mill. Tonnen Weizen und Mais sowie 250.000 Tonnen Kartoffeln und ist bereits unter den Top 5 in Europa.  gm

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 12. Oktober 2017

Freitag, 6. Oktober 2017

Geben sich die Bauernvertreter auf?



Österreichs Bauern machen nach Jahren des Niedergangs keine zwei Prozent der Bevölkerung aus. Ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung des Landes ist, in offiziellen Zahlen gemessen, noch geringer. Zynisch könnte man da sagen, dass Elisabeth Köstinger doch nur recht hat, dass sie nach dem Rückzug aus dem Europäischen Parlament und der Rückkehr nach Wien nach den NR-Wahlen gleich einen Südtiroler EU-Abgeordneten quasi als ihren "Nachfolger" nominiert und damit die Bauernvertretung in Ausland auslagert.

Bei Licht betrachtet ist das freilich nichts anderes, als so etwas wie eine Selbstaufgabe der heimischen Bauernvertretung. Von Umsicht und Stärke zeugt das nicht, sehr viel eher wohl von einem sehr saloppen Umgang mit der Verantwortung.

Dass die Umstände des Wechsels schwierig sind, und der nächste mögliche Bauernvertreter auf der Wahlliste zu weit hinten rangiert, um Köstinger zu folgen, darf keine Entschuldigung sein. Zumal es inmitten einer Phase geschieht, in der es für die heimische Landwirtschaft vor der nächsten Agrarreform in Brüssel um sehr viel geht. Und zumal sich viele Landwirte auf Köstinger und ihr Fachwissen und ihre Versprechen, sich für die heimische Landwirtschaft in Brüssel einzusetzen, verlassen haben. Das alles klingt nun freilich im Nachhinein ziemlich hohl - es sei denn, sie wird doch noch Landwirtschaftministerin.

Die ehemalige und auch die neue Bauernbundführung sehen in der Köstinger-Nachfolge jedenfalls ziemlich alt und überfordert aus. Sichtbares Indiz dafür ist, dass die einschlägigen Bauernbund- und Parteimedien die Rückzugsankündigung Köstingers auf der Rieder Messe bisher mit keinem Wort erwähnten und schon gar nicht, welchen Ausweg man zu finden erwägt, um Österreichs Bauern im Brüsseler EU-Parlament wieder ordentlich und nicht durch einen Südtiroler zu vertreten.

Der Abgang der Vorzeige-Agrarpolitikerin wirft ein bezeichnendes Licht auf die Personal-Probleme der heimischen Bauernvertretung, zumal im Bauernbund. Es geht ja nicht um Köstinger alleine. Mit dem Rückzug von Jakob Auer und Hermann Schultes aus dem Nationalrat, gehen den Bauern in einer überaus heiklen politischen Phase gleich zwei Schwergewichte verloren. Wenn man sich Gewicht und Bedeutung der Bauern, respektive des einst in der ÖVP so mächtigen Bauernbundes und der Landwirtschaft, im Umfeld der  türkisen Kurz-Bewegung und deren Programmen anschaut, sind Sorgen um die künftige Vertretung der bäuerlichen Interessen durchaus angebracht. Landwirtschaft kommt da kaum vor.

Für den neuen Bauernbundpräsidenten Georg Strasser sind das enorme Herausforderungen, die er erst einmal meistern muss. Die Stärke der Bauern in der ÖVP und die zahlenmäßige Stärke der Bauern in der VP-Fraktion im Parlament werden wohl nicht mehr zu seinen Atouts gehören, wenn es gilt, Bauernanliegen durchzusetzen.

Aber damit kämpft nicht nur der VP-Bauernbund. Auch in anderen Fraktionen ist die Landwirtschaft dabei, Gewicht zu verlieren. Wolfgang Pirklhuber wurde von seinen eigenen Leuten abgewählt und Leo Steinbichler von seinen Wählern. Wie immer man zu diesen Leuten stand, mit ihnen gehen Leute, denen die Landwirtschaft ein Anliegen war. Sie werden, und das ist die Krux, unter der Landwirtschaft leidet, wohl von Abgeordneten ersetzt, die damit nichts am Hut haben - für die Landwirtschaft nicht viel mehr ist, als weniger als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung und die Bauern nicht mehr als 1,4 Prozent der Bevölkerung.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land, Oktober 2017/5.10.17

Bauern tappen ins digitale Zeitalter



Österreichs Landwirte wissen, dass man sich der Digitalisierung stellen muss. Aber sie gehen es langsam an.

Hans Gmeiner

Salzburg. „Wie die Mechanisierung wird auch die Digitalisierung die Landwirtschaft tiefgreifend verändern“, sagt Oberösterreichs Bauernkammerpräsident Franz Reisecker. „Wir stehen am Anfang einer Welle.“ Auf den Höfen erkennt man zunehmend, dass Dinge wie satellitengesteuerte Maschinen, GPS-Überwachung, Elektronik und das Internet of Things, das all die Geräte und Tätigkeiten miteinander verknüpfen kann, auf den Feldern und in den Ställen in Zukunft entscheidende Faktoren werden. Und nötig sind, wenn man auf den Märkten mithalten und der Forderung nach möglichst umweltgerechter und ressourcenschonender Produktion nachkommen will. „Ohne Digitalisierung wird unsere Landwirtschaft von der internationalen Entwicklung abgekoppelt“, sagt Reisecker.

Eine Strategie, wie man die Bauern an diese neue Welt heranführen kann, gibt es freilich noch nicht, die Bauern tappen eher ins digitale Zeitalter. Unternehmen, die damit Geld verdienen wollen, bieten unkoordiniert Lösungen und Produkte an. Typisch ist das Bereitstellen sogenannter RTK-Netze, über die Bauern gegen Gebühren von mehreren Hundert Euro im Jahr Zugang zu Satellitensignalen erhalten, die zentimetergenaues Fahren auf den Äckern ermöglichen. Der Maschinenring Oberösterreich deckt mit vier Stationen das gesamte Bundesland ab. In Salzburg betreibt der Maschinenring zwei solche Stationen, die hochpräzise Landwirtschaft ermöglichen, in Niederösterreich sind es sieben. Parallel dazu bieten manche Traktorenhersteller über ihre Händler eigene Netze an.

Auch andere Unternehmen tasten sich in die Welt der neuen Technologien vor. In der Lagerhaus-Gruppe treibt eine Abteilung in der Raiffeisen Waren Austria (RWA) das Thema voran. Ein Beispiel: In der Steiermark, in Nieder- und Oberösterreich hat man heuer zur Bekämpfung des Maiszünslers auf einer Fläche von 1000 Hektar mit einer Drohne Schlupfwespen ausgebracht. Kunden sind konventionelle Landwirte genauso wie Biobauern. „Wir sind heuer drei Mal so viel geflogen wie 2016“, sagt Claudia Mittermayr, die für die RWA Drohnen pilotiert. In manchen Lagerhäusern können Bauern auch GPS-gesteuerte Geräte zur Entnahme von Bodenproben oder Messbalken ausleihen, die über Lichtwellen den Düngerbedarf von Pflanzen exakt feststellen.

Einige österreichische Unternehmen haben die Digitalisierung der Agrarbranche als zukunftsträchtigen Geschäftszweig entdeckt. Pessl Instruments oder Smaxtec in der Steiermark sind bereits weltweit tätig. Pessl wurde mit Wetterstationen für die Apfelbauern groß und ist heute in Geschäftsbereichen wie der Überwachung des Insektenbefalls erfolgreich. Smaxtec ist eine international gefragte Adresse, wenn es um Themen wie Gesundheitsüberwachung oder Brunstverhalten bei Rindern geht. Im oberösterreichischen Weibern wuchs das Unternehmen Smartbow mit einer Ohrmarke, die die Aktivität von Tieren überwacht, binnen weniger Jahre auf 50 Mitarbeiter. Und in Niederösterreich entwickelten Techniker die App farmdok, die den Landwirten die bürokratische Arbeit bei Planung der Aufzeichnung der Feldarbeiten erleichtern soll.

Die Bauern selbst hingegen nähern sich den neuen Technologien nur vorsichtig. „Viel Technik ist zwar schon da, aber wir stehen erst am Anfang“, sagen Reisecker und Gerhard Rieß vom Maschinenring Oberösterreich. Beide schätzen, dass das RTK-Signal bis jetzt von nicht mehr als 400 Traktoren genutzt wird, in ganz Österreich dürften es nicht viel mehr als 1000 sein.

Weiter als auf den Äckern ist man in den Ställen. Österreichweit gibt es immerhin 650 Melkroboter. Verbreitet zum Einsatz kommen die neuen Technologien auch bei der Leistungskontrolle und Qualitätsüberwachung in der Milchproduktion, in der Fütterung von Schweinen oder zur Früherkennung von Erkrankungen. Zu einer echten Erfolgsstory ist die Einrichtung des Pflanzenschutz-Warndienstes der Landwirtschaftskammer geworden. Dort informieren sich mittlerweile Tausende Bauern darüber, welche Pflanzenschutzmaßnahmen nötig sind und auf welche man verzichten kann, weil der Krankheits- oder Schädlingsbefall unter der Schadschwelle liegt.

„Wir müssen den Betrieben die Angst nehmen“, sagt Reisecker, warnt aber davor, dass Technik „ein Spielzeug ist, das schnell ins Geld geht“. Sorgen macht er sich auch um die Datensicherheit. „Da ist auch auf europäischer Ebene noch gar nichts geregelt.“ Seine Forderung ist indes klar: „Die Hoheit über die Daten muss bei der Landwirtschaft bleiben und nicht bei den Unternehmen, die mit der neuen Technik das Geschäft machen.“

Nicht so klar ist hingegen, wie die vielen kleinen Bauern die Vorteile der neuen Technologien nutzen können. Mehr als ein „das ist eine besonders große Herausforderung“ ist bisher von Interessenvertretern nicht zu hören. Immerhin gibt es seit Anfang September für das Aufrüsten von Traktoren auf Satellitennavigation 40 Prozent Förderung.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 6. Oktober 2017

Donnerstag, 5. Oktober 2017

"Alle durchgeknallt oder was?"



Das Land schüttelt den Kopf. Ob der Dreistigkeit, ob der Chuzpe und ob der der Unfähigkeit der Sozialdemokraten und ihrer Führung. Was in den vergangenen Tagen rund um die Fake-Seiten auf Facebook zu Tage kam, rund um den einstigen Kern-Berater Tal Silberstein und seine Rolle im Wahlkampf und rund um die Zustände, die in der SPÖ herrschen müssen, mag viele diebisch freuen und für viele Bestätigung ihrer Meinung sein. In erster Linie aber ist es eine Katastrophe für die Demokratie und für die Politik in diesem Land. "Die haben es geschafft, in wenigen Wochen  die wichtigste politische Bewegung seit dem 19. Jahrhundert zur Lachnummer zu machen" war auf Twitter zu lesen. Auch wenn man die Einschätzung von der "wichtigsten politischen Bewegung" vielleicht nicht teilen mag, trifft sie doch sehr genau.

Der Schaden ist beträchtlich. Man muss gar nicht von den vielen von der Politik ohnehin Frustrierten reden, man denke sich nur in junge Leute hinein, die diese Wahlen und den Wahlkampf zum ersten Mal bewusst wahrnehmen, für die er vielleicht die erste Begegnung mit Politik ist, die zum ersten Mal wählen gehen dürfen. Wie sich für sie Politik darstellt, wie sie den Wahlkampf erleben, wie sie Politik, Politikerinnen und Politiker kennenlernen und welche Seiten von ihnen. Man stelle sich vor, was in diesem Umfeld und angesichts dessen, was sie sie erleben, ihr Politikbewusstsein beeinflusst, wie sie in Zukunft und in ihrem späteren Leben zur Politik stehen werden.

Es kann kaum anderes, als eine schwere Hypothek sein, die ihr politisches Bewusstsein prägt. Es nähme nicht Wunder, wenn die Politikverdrossenheit unter den jungen, die schon in der Vergangenheit heftig beklagt wurde, noch deutlich größer würde, sie sich mit Grauen abwenden und dem politischen Geschehen mit noch mehr Desinteresse begegnen würden.

Dafür freilich ist nicht allein der jüngste Skandal der Sozialdemokraten verantwortlich. Da sind auch viele andere, die sich in der Politik und im aktuellen Wahlkampf umtun, in die Verantwortung zu nehmen. Denn Wahlkampf ist nicht nur die Zeit "fokussierter Unintelligenz", wie der Wiener Bürgermeister das zu nennen pflegt. Wahlkampf ist, wir erleben es zuweilen schmerzhaft und hautnah, auch die Zeit fokussierter Lächerlichkeit und fokussierter Zumutungen. All diese Streiterien, all die lächerlichen Posen, all diese Künstlichkeit und diese Aufgedrehtheit. Wie sollen sie junge Leute gewinnen, sich für Politik, ihre Aufgaben und ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen zu interessieren? Die sie meist sehr viel eher als Dauerstreit erleben, denn als gestaltende Kraft, die das beste fürs Land und seine Bürgerinnen und Bürger will, die getragen ist vom gegenseitigen Respekt und vom Willen gemeinsam etwas voranzubringen. Wie sollen da Verständnis entwickelt werden und Verantwortungsbewusstsein?

Was den jungen Leuten geboten wird, ist durch die Bank erbärmlich. Kanzlerbilder im Sportdress und mit Kindern am Arm und ein Kanzler in Lederhose, wo doch alle im Land wissen, dass das für den ehemaligen Manager nichts ist, denn Pose. Was sollen junge von dröhnenden und schunkelnden Wahlkampfveranstaltungen halten, mit Einpeitschern und geifernden Rednern an den Pulten? Was von untergriffigen Fernsehdiskussionen? Was müssen sie sich von der Politik denken, wenn mit einem Mal gestandene Leute und Politiker mit türkisen Sonnenbrillen herumlaufen, türkisfarbene Trachtenanzüge tragen und Wahlveranstaltungen zuweilen an Faschingssitzungen gemahnen? Oder wenn sie zu einer Strache-Homestory wenige Woche vor der Wahl den Titel "Im Bett bin ich der Linke" samt Schmusefoto des rechten Reckens aufgetischt bekommen? Oder einen bitzelnden Strolz oder eine sekkant-süffisante Lunacek?

Will man wirklich, dass sie "Alle durchgeknallt oder was?" denken. Zu verdenken wäre es wäre ihnen nicht. Haben es die jungen wirklich verdient, die Politik so kennenlernen zu müssen, wie es ihnen in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten zugemutet worden ist. Die Verantwortlichen sollten sich diese Frage stellen. Ernsthaft.

Denn so einen Wahlkampf, wie vor diesen Nationalratswahlen, sollte es nicht mehr geben. So einer ist nichts denn ein Nährboden für die Politikverdrossenheit, zumal jener der jungen Generation, die auf eine Art und Weise Politik kennen lernen muss, die ganz sicher nicht geeignet ist, Interesse zu erwecken.

Und das nicht nur wegen der Kabalen der Sozialdemokraten.
 
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. Oktober 2017

Donnerstag, 28. September 2017

Wahlkampf und Wirklichkeit



Wahlkampf ist auch, manche meinen sogar vor allem, Blendwerk. Wortreich wird viel versprochen, was - die Erfahrung lehrt es - nach Wahlen in der Realität nicht hält. Das sollte man gerade in der jetzigen Phase des Wahlkampfes nicht vergessen. Vor allem dann nicht, wenn -und das tun alle Parteien in seltener Eintracht -von der Meinung der Menschen die Rede ist, die man so sehr schätze, davon, dass man nichts als die Interessen der Bürger im Auge habe und von Ähnlichem, mit dem man sich gerne beim Wahlvolk anbiedert.

Denn gerade bei solchen Themen zeigt sich, dass sich im richtigen Leben die Begegnung mit der Politik meist ganz anders darstellt als das Wunschkonzert, wie jenes, das in diesen Tagen alle versprechen zu erfüllen. Denn, wenn man in diesem Land wirklich etwas will, oder wenn man wirklich gehört werden will, mit einem Anliegen, mit einer Meinung, mit einem Wunsch - dann ist alles meist ganz anders. Zumal dann, wenn sie nicht ins Konzept passen. Dann lernt man als Bürger respektive als Bürgerin sehr schnell den Unterschied kennen zwischen Ankündigung und Wirklichkeit. Da erweist sich oft schnell als Makulatur, was versprochen wurde.

Da wird man am Telefon endlos im Kreis geschickt, da ist plötzlich niemand zu erreichen, da wird man mit dürren Statements abgespeist, mit einem Achselzucken und mit einem schmallippigen "das müssen sie verstehen". Gerade Bürgerinformation, Bürgerbeteiligung und angekündigte Mitsprache dienen der Politik und ihren Vertretern oft zu nichts anderem, als vor allem dazu, die eigenen Pläne möglichst rasch, möglichst friktionsfrei, ohne großes Aufsehen und vor allem möglichst ohne Änderungen über die Bühne zu bringen.

Der vierspurige Ausbau der Westbahn und die Anbindung des Linzer Flughafens im Oberösterreichischen ist ein Musterbeispiel dafür. Dort werden Bauern, die den Neubau der ÖBB-Trasse quer durch wertvolles Ackerland verhindern wollen, seit Jahren zwischen Landesregierung, Bundesregierung, Ämtern, Behörden und ÖBB im Kreis geschickt. Von Bürgernähe, vom Einsetzen für sie und ihre Anliegen gar, spüren sie nichts. Und das, obwohl sich die Voraussetzungen für das Projekt in den 15 Jahren, in denen geplant wird, grundlegend geändert haben. Obwohl sich die Flughafen-Passagierzahlen in keiner Weise so entwickelt haben, wie seinerzeit berechnet, obwohl kein Schnellzug am Flughafen stehen bleiben wird, obwohl es deutlich billigere Lösungen gäbe und obwohl inzwischen tausende Bürger gegen die Pläne unterschrieben haben, weil sie um Nahverkehr und Landschaft fürchten.

Und weil wir schon im Land ob der Enns sind - bei anderen Projekten sind die Muster (wohl nicht nur in Oberösterreich sei angemerkt) ähnlich . Die allerorten herbeigesehnte Breitbandoffensive etwa ist so etwas. Dieser Tage klagte erst die Wirtschaft wieder darüber, dass nichts weitergehe. Wer sich für so einen Anschluss ans schnelle Internet interessiert, weiß, warum das so ist. Im Land ob der Enns etwa scheint es mancherorts Bürgermeistern und Breitband-Anbietern, wie einer Tochtergesellschaft des landeseigenen Energieunternehmens, das sich sinnigerweise "Powerspeed" nennt, nachgerade Vergnügen zu bereiten, Interessenten hin-und herzuschicken. Da verspricht der Bürgermeister in einer Landgemeinde auf Nachfrage in einer öffentlichen Versammlung, weil doch gerade wegen des Ausbaues der öffentlichen Wasserversorgung ohnehin die Straßen aufgerissen werden sollen, sich für die Verlegung eines Glasfaserkabels einzusetzen. "Mach ich", sagt er generös. Wohl um Ruhe zu haben und sich lästiges Nachbohren zu ersparen -und tut, erraten, nichts. Zwei Monate lang. Nach einem weiteren Monat heißt es dann, es werde geprüft. Vom Anbieter indes erhält der Interessent die Nachricht, dass just in seiner Ortschaft als eine von ganz wenigen in der Umgebung noch gar nichts geplant ist. Und dazu die Aufforderung, doch schriftlich sein Interesse per angefügtem Formular schriftlich zu bekunden. Dass er das bereits dreimal über das auf der Homepage angebotene Formular getan hat, und auf Grund dessen er auch die wenig befriedigende Antwort bekommen hat, scheint dem Unternehmen völlig egal zu sein, passt aber ins Bild.

Es sind die schönen Worte die zählen, und nicht die Taten. So wie jetzt im Wahlkampf. Nicht zuletzt darum tut man gut daran, das gerade in diesen Wochen nicht zu vergessen. Auch wenn noch so viel versprochen wird. Denn die Versprechen sind nicht das Problem. Das Problem ist die Wirklichkeit.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. September 2017

Donnerstag, 21. September 2017

Der ganz normale Wahnsinn und eine fromme Hoffnung



Kurz? Kern? Wahlkampf? Das ist alles nichts - der Butterpreis ist zu hoch, das ist der wahre Aufreger in diesem Land. "Alles in Butter bei der Butter?" fragt der Boulevard und weiß wie immer die Antwort "Von wegen! Butter ist so teuer wie nie". Man tut, als ginge die Welt unter und breche deswegen in Österreichs Haushalten die Armut aus.

Man kennt das. Immer wenn sich die Bauern gerade ein bisserl erholen und die Preise anziehen, geht das Geschrei los.

Die Bauern kennen dieses Spiel inzwischen. Sie wissen, dass es ein Kampf gegen Windmühlen ist, sich zu wehren. Dass niemand hören will, wenn sie zu erklären versuchen, dass der aktuelle Anstieg der Butterpreise bei einem durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von gut fünf Kilogramm keinen Euro pro Monat ausmacht. Ihnen bleibt nur trockener Sarkasmus. Facebook-Postings wie "Das neue iPhone kostet fast 1200 Euro, aber die Welt geht unter, weil ein Viertel Butter mehr als zwei Euro kostet. Und wenn die Milch um fünf Cent mehr kostet, rasten alle aus", werden geteilt, wo immer es geht, um dem Wahnsinn nicht ganz untätig zuzusehen.

Nirgendwo tut man so aufgeregt, wie in Österreich. Und nicht nur die Bauern fragen sich, warum stehen bei uns ausgerechnet die Lebensmittelpreise so im Fokus? Wo doch alle immer von der angeblich so hoch geschätzten Bauernarbeit reden, davon, dass die Bauern einen gerechten Preis verdienen und wo man so schnell Krokodilstränen wegen des Bauernsterbens vergießt.

Lebensmittelpreise werden hierzulande ganz offensichtlich nicht ernst genommen. Jeder nutzt sie nach seinen eigenen Bedürfnissen. Die Konsumenten, um zu klagen und die Gefahr der Verarmung auszurufen, wenn sie hoch sind. Der Handel, um sich als Retter der Konsumenten zu profilieren. Die Industrie, wie kürzlich erst die Brauer, um Preiserhöhungen zu rechtfertigen. "Geringe Getreideernte und Preisanstieg bei Gerste macht Bier bald teurer", ließ der Brauunion-Chef Anfang September via Medien wissen. Gedankenlos und achselzuckend aber werden solche Erklärungen zur Kenntnis genommen und weiterverbreitet. Dabei werden pro Hektoliter Bier gerade einmal ein paar Kilo Gerste gebraucht. Entsprechend gering ist der Anteil an den Erzeugungskosten.

Mit den Lebensmittelpreisen geht immer etwas. Nur dann nicht, wenn sie niedrig sind. Dann spielen sie keine Rolle und sind unwichtig. Dabei könnte man der Logik der Brauer zufolge auch fragen, warum das Bier in den vergangenen Jahren des Getreidepreisverfalls nie billiger wurde. Das freilich ist nie zu hören. Die Bierpreise steigen immer. Wenn es nicht der Getreidepreis ist, dann sind es Lohnkosten, Energie, Steuern.

Der tatsächlichen Bedeutung, die sie haben, werden die Lebensmittelpreise in diesem Umfeld, das in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, nur selten gerecht. Man spielt damit politische Spiele, sieht sie als Marketing-Gag und biegt sie sich zurecht, wofür immer man sie braucht. Mit der Wirklichkeit, und schon gar nicht mit dem, was die Landwirtschaft bräuchte, und verdienen würde, haben sie meist wenig zu tun.

Das Spiel ist übel. Scheinheilig ist nicht nur das der Medien, die sonst so gerne die Bauern mit allerlei grünen Thesen und Forderungen vor sich her treiben. Scheinheilig ist vor allem auch das Spiel des Handels und oft auch das der Industrie. Überall hängt man sich gerne das grüne und nachhaltige Mäntelchen um und lässt sich als Umweltretter und Bauernförderer beweihräuchern.

Das indes ist meist nichts als hohle Mache. Schnell vergessen und völlig wertlos in der täglichen Realität. Der Preis muss in Wahrheit möglichst niedrig sein. Das ist es. Und sonst nichts. Allen treuherzigen Beteuerungen zum Trotz.

Den Bauern bleibt immerhin so etwas wie Schadenfreude. Mit einem Mal haben auch die Konsumenten mit dem zu kämpfen, mit dem sie selbst nach der sukzessiven Öffnung vieler Märkte Jahr für Jahr mehr zu kämpfen haben - mit dem unberechenbaren Auf und Ab der Preise, der Volatilität.

Abbeißen können sie sich freilich davon nichts. Geholfen wäre Ihnen - und den Konsumenten - nur, wenn diese oft schamlosen Spiele mit den Agrar- und Lebensmittelpreisen und der Unterschied zwischen dem Schein der PR- und Werbewelt, in der sich alle als einzig um Bauern und Konsumenten bemüht geben, und der Realität unterbunden werden würde.

Aber das freilich ist nicht mehr als eine fromme Hoffnung. 
 
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. September 2017
 
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