Donnerstag, 1. Dezember 2016

Die Kugel ist aus dem Lauf



Nach elf Monaten und drei Wahlkämpfen ist wohl alles geschrieben und gesagt worden. Man hat vieles erfahren, was man gar nicht erfahren wollte. Vieles, vor dem man sich fürchten kann und manches, das Sorgen macht. Und man hat vieles gesehen und gehört, was man für unmöglich gehalten hätte. Etwa, dass jemals ein Kandidat für die Position des Bundespräsidenten von Österreich, der schon einmal eine Pistole trägt, wenn ihm danach ist, in einem Interview ausdrücklich sagt, dass er im Amt, so er denn gewählt wird, auf das Tragen von Waffen verzichten will. Oder, dass man einen Alexander van der Bellen jemals in einem Trachtenanzug sieht. Nichts, aber schon gar nichts wurde ausgelassen.

Alles vorbei, am kommenden Sonntag wird gewählt. Die Dinge nehmen ihren Lauf, ohne jetzt noch großartig beeinflusst werden zu können. Die Kugel ist, sozusagen, aus dem Lauf. Aber auch, wenn alles gesagt worden ist, was wirklich kommt, weiß man dennoch nicht, wie der Wahlsieger -all der Ankündigungen und Versprechen zum Trotz -das Amt auslegen wird.

Wie noch keiner ihrer Vorgänger je zuvor haben beide Kandidaten davon geredet, starke Bundespräsidenten sein zu wollen und sind damit auf Stimmenfang gegangen, sich als Korrektiv zur Regierung positionieren und auch ins Tagesgeschäft eingreifen zu wollen. Was von diesen Versprechungen Wirklichkeit wird, ist schwer abzuschätzen, wenn sie auf die Anforderungen der Realpolitik treffen.

Fix ist nur, dass am Montag das Land ein anderes sein wird. Groß ist die Gefahr, dass Dämme brechen. Und das ganz gleich, welcher der beiden Kandidaten mehr Stimmen bekommt. Nach dem nicht nur längsten, sondern auch wohl hässlichsten Wahlkampf in der Geschichte des Landes scheint die Gefahr in der Tat groß, dass es im Land zu einer Zerreißprobe kommt. Weniger in der Politik, viel eher aber in der Gesellschaft. Quer gehen die Gräben durchs Land zwischen den Hofer-Befürwortern und denen, die mehr auf Van der Bellen halten, zwischen Stadt und Land, zwischen oben und unten.

Die Stimmung wurde in den vergangenen Wochen und Monaten oft unverantwortlich angeheizt. Grenzen des Anstands wurden gesprengt. Schon jetzt ist die Polarisierung nicht zu übersehen. Sie in den Griff zu bekommen, mit ihr umzugehen, ist wohl die größte Herausforderung, der sich nicht nur die Politik, sondern alle gesellschaftlich relevanten Kräfte in diesem Land und jeder Einzelne stellen muss.

Das gilt in erster Linie für jene, die auf der Verliererseite stehen werden. Für sie gilt es, wie für ihren Kandidaten, auch wenn es ihnen noch so schwer fällt, das Wahlergebnis zu akzeptieren. Das gilt aber, vielmehr möglicherweise sogar, auch für den Sieger und sein Gefolge. Alles zertrampelndes Triumphgeheul, das Begleichen offener Rechnungen und das Niederreißen der letzten Scham- und Anstandsgrenzen im Umgang mit politisch Andersdenkenden ist das Letzte, was dieses Land braucht. Es muss dabei immer um die Verantwortung für das Ganze gehen und nicht um Teilinteressen. Es muss immer Wege und Brücken geben, damit es weder Land noch Gesellschaft zerreißt. Angesichts dessen, wie sich die Stimmung in den vergangenen Wochen und Monaten aufgeheizt hat, wie sie Rückenwind bekam von internationalen Entwicklungen, vom Brexit, über das Erstarken der Rechten in Europa bis hin zu den US-Präsidentschaftswahlen, ist das wohl die größte Herausforderung.

Der Kampf um das Bundespräsidentenamt, dessen Sinn und Bedeutung kaum jemand in diesem Land schlüssig zu erklären vermag, zwischen zwei Männern, die seinerzeit monatelang zur Kandidatur für dieses Amt gedrängt werden mussten, hinterlässt viele Fragen und viele Spuren. Es gibt die Einschätzung, dass all die Untergriffe, die Wahlanfechtung und zahlloses andere mehr, das wir erleben und ertragen mussten, das Ansehen der Politik in diesem Land beschädigt und geschwächt haben. Mag sein, stärker wird die Politik damit wohl wirklich nicht gewesen sein. Es hat aber kaum einen Wahlgang gegeben, der die Bedeutung der Politik so drastisch vor Augen geführt hat, wie diesen. Kaum je war so klar zu erkennen, wo die gesellschaftlichen Linien gehen und auf welcher Seite die eine Hälfte des Landes steht und was sie anstrebt und auf welcher Seite die andere.

Was bleibt ist Unsicherheit. Was verlangt ist, ist Umsicht und Gelassenheit. In jedem Fall und von jeder der beiden Seiten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Dezember 2016

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