Donnerstag, 24. November 2016

"Die Politik" als Sündenbock



Über die Politik kann man klagen in Österreich. Zumal darüber, wie die Wirtschaft von der Politik behandelt wird. Keine Frage. Als Industrieboss, als Gewerbetreibender, als Wirt, als Bauer, als Freiberufler. Als Kleiner, als Mittelständler, selbst als Großer. Wirtschaftsfeindliches Klima, zu wenig Förderungen, zu viel Bürokratie, zu rigide Auflagen und Vorschriften. Und und und. Es gibt genug und es ist oft genug.

Da ist es naheliegend "die Politik" zum Sündenbock zu machen, wenn Unternehmen Schwierigkeiten haben oder gar Pleite gehen, Bauernhöfe zusperren müssen und Bäcker und Fleischer und andere Gewerbebetriebe auch. Und Wirte natürlich. Der Verweis auf "die Politik" ist der einfachste Weg, wenn es gilt, ein Scheitern zu begründen. Und der leichteste auch. Und auch der beliebteste.

Mit dem eigenen Verhalten oder den eigenen Fähigkeiten werden Schwierigkeiten oder gar Pleiten, in die man gerät, im Selbstverständnis der Betroffenen selten in Zusammenhang gebracht. Da wird so getan, als wären alle ohnehin gleich gut, die immer alles richtig machen. Allesamt praktisch Weltmeister halt.

Die Wirte dieses Landes seien als die Gruppe exemplarisch als Beispiel angeführt. Knapp ein Drittel der Wirtshäuser, hieß es dieser Tage in Oberösterreich, seien in den vergangenen fünfzehn Jahren verschwunden. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Erklärungen dafür sind bekannt. Registrierkassa, Rauchverbot, Allergenverordnung, Probleme mit Arbeitsinspektoren und mit der Personalsuche.

Aber, diese Frage wird kaum gestellt, sind das wirklich die entscheidenden Gründe? Oder gibt es in vielen Fällen nicht auch andere? Etwa, dass sich viele Wirtshäuser viel zu lange als Wirtshäuser verstanden haben und nicht als Gasthäuser? Dass gute Wirtshäuser, ganz entgegen dem Selbstbild, das die Branche von sich hat, in Wirklichkeit mitunter so schwer zu finden sind wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen? Dass sich der Gast allzu oft in einem verstaubten Ambiente der 1960er-Jahre mit seit damals kaum veränderten Speisekarten regelrecht abgespeist, aber oft nicht bewirtet fühlt? Und warum fragt man sich nicht, warum all die Italiener und Chinesen, die oft in die stillgelegten Häuser eingezogen sind, trotz "der Politik", die auch für sie gilt, leben können und warum es nach wie vor gut funktionierende Gastwirtschaften gibt, denen die Gäste die Türen einrennen?

Es sei von den Wirten abgelassen. Sie sollten nur als Beispiel dienen. Als Beispiel für ein Verhalten, das in diesem Land um sich greift. Wenn es nicht so läuft, wie es laufen sollte und könnte, ist das praktisch immer Schuld von anderen, respektive der Politik. Den eigenen Beitrag zu dieser Entwicklung hingegen mag man meist nicht in Rechnung stellen.

Nicht nur bei den Wirten ist es oft so, auch bei den Fleischern und bei den Bäckern, bei den Bauern und wohl auch bei ganz vielen anderen Unternehmen, Freiberuflern und auch bei Privaten. Das zur Sprache zu bringen, von der Eigenverantwortung zu reden, ist freilich in diesem Land nicht sonderlich statthaft. Da läuft man sehr schnell Gefahr, als Nestbeschmutzer oder ähnlich Verachtenswertes gebrandmarkt zu werden.

Dabei wäre es durchaus oft angebracht, mit sich selbst zumindest ab und an so streng ins Gericht zu gehen wie mit Politik und Behörden. Aber da ist wieder die Politik vor. In dem Fall die Oppositionspolitik. Sie hat erkannt, dass man genau damit Stimmen machen kann. Damit, dass man "der Politik" die Schuld gibt, dass man auf die "Eliten" schimpft, auf "die da oben" und auf "das System". Und damit, dass man oft eine Zukunft verspricht, die es nicht mehr gibt. Eine Zukunft in der Vergangenheit. Hinter dem Zaun, abgeschottet und selbstzufrieden. Das Rad der Zeit zurückgedreht.

Ein guter Weg ist das wohl nicht. Schon in den vergangenen Jahren haben sich zu viele in diesem Land, vor allem viele, die jetzt ihr Scheitern auf "die Politik" zurückführen, auf solche Blender verlassen, auf jene, die immer beruhigten und die immer alles versprochen haben. Auf die, die die Vergangenheit beschworen und denen neue Wege immer ein Gräuel waren. Es sind oft die, die sich nun genau deswegen als Verlierer fühlen. Genau die freilich sind jetzt wieder die, die am meisten gehört werden. Die, die rückwärts wollen. In vielen Bereichen in eine Vergangenheit, in der man noch viel mehr gejammert hat, als man das heute tut. Aber das blendet man tunlichst aus.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. November 2016

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1