Donnerstag, 20. Oktober 2016

Die Steigbügelhalter



In Österreich, man weiß es, hält man viel auf Vorschriften und auf deren Einhaltung nach Punkt und Beistrich. Man will nur ungern etwas dem Zufall überlassen. Und sicher will man auch sein. Überall. Darum hat man auch wenig Scheu, auf Auflagen noch weitere Auflagen aufzudoppeln. Im Umweltschutz, im Arbeitnehmerschutz und in all den vielen anderen Bereichen, in denen man sich Sorgen machen kann, weil man dem Hausverstand und dem Anstand nicht trauen mag.

Ganze Berufs- und Bevölkerungsgruppen in diesem Land haben sich dieser Auflagen-und Kontrollkultur verschrieben. Die Beamtenschaft sowieso, aber auch politische Parteien, Unternehmungen und auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppierungen. Von allen Seiten wird gefordert, durchgedrückt und umgesetzt. Arbeitsvorschriften, Umweltauflagen, Qualitätssicherungsmaßnahmen und tausend andere Dinge. Sei es aus Bestemm, sei es aus Rechtfertigung des eigenen Tuns, sei es, um für die eigene Organisation in der Öffentlichkeit in einen guten Ruf zu gelangen, oder sei es schlicht aus Marketinggründen, damit der Geldfluss aus öffentlichen Zuwendungen oder der Spendenzustrom nicht versiegt. Manchmal, das sei konzediert, freilich auch aus echter Besorgnis.

Diese unselige Allianz hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vielen Branchen, man weiß es, einen beachtlichen Wust an Bürokratie gebracht, an Kosten auch und natürlich an Verdruss. Das ist schlimm genug.

Diese unselige Allianz hat aber noch viel mehr angerichtet als das. Sie hat in ihrem Drang, der oft von nachgerade missionarischem Eifer getragen ist, maßgeblich zur Zerstörung über viele Perioden gewachsener und bewährter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen beigetragen. Sie hat damit großen Unternehmungen und Konzernen, der Industrialisierung, Automatisierung Anonymisierung und der Internationalisierung auch, der man sonst ja so skeptisch gegenübersteht, auch in Bereichen die Bahn frei gemacht, die ihnen und ihren Methoden verschlossen waren. Als Steigbügelhalter gleichsam.

Diesen Unternehmungen und Konzernen ist es halt leichter, mit all dem, was ihnen an Vorschriften und Auflagen aufgebürdet wird, zurecht zu kommen. Sie haben die nötigen finanziellen Mittel, sie haben das nötige Personal, sie haben die nötigen Strukturen.

Bäcker, Fleischer, Wirte, die vielen kleinen Gewerbebetriebe, die im ganzen Land wichtige Versorgungsstrukturen bieten, Bauern auch, tun sich dagegen schwer. Sie sind rasch überfordert damit, all die vielen Auflagen in der Produktion und die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Arbeitszeitvorschriften in ihrer Struktur unterzubringen. Sie haben nicht die Leute, die sich um all die Vorschriften kümmern, auf dass man nicht im Kriminal lande, ihnen wird rasch die finanzielle Decke zu kurz, wenn neue Auflagen Investitionen verlangen.

Das zehrt nicht nur am Nervenkostüm, das ist auch ein Faktor, den viele nicht stemmen können und wollen. Weil die Relationen zum Aufwand, zum zeitlichen, zum personellen und zum finanziellen, nicht mehr stimmen. Zahllos sind die vielen kleinen und mittleren Betriebe, die angesichts der immer neuen Vorschriften und Auflagen entnervt das Handtuch werfen. Seit Jahren.

Und so kommt es, dass wir heute immer öfter das Brot aus der Backbox des großen Handelskonzerns essen und die Würste, die andere in ihren konzerneigenen Fleischindustriebetrieben erzeugen werden, zu Mittag schnell bei einer der internationalen Ketten einkehren und dass man den Installateur oder den Maurer im Internet sucht.

Oft hat man eben gar keine Alternative mehr. Der örtliche Bäcker, der örtliche Fleischer und der Wirt haben zugesperrt. Den Installateur gibt es nicht mehr, die Baufirma wurde von einem Branchenriesen geschluckt und der Bauer hat entweder verpachtet oder den Stall so ausgebaut, dass da auch nichts mehr von der Romantik ist, die man sich wünscht.

Drollig nur, aber wohl bezeichnend, dass unter denen, die am lautesten über dies Entwicklung klagen, just jene sind, die genau diese Entwicklung mit ihren oft überzogenen Forderungen beförderten und immer noch befördern.

Dazu gehören die NGOs, dazu gehören Parteien und Gewerkschaften. Dazu gehören aber auch die Konsumenten. Aber die allesamt wollen das freilich nicht hören.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Oktober 2016

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