Donnerstag, 30. Juni 2016

Unvorstellbares Unvorstellbares



Die Erschütterung ist groß. "Brexit", das Ja zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, hat Europa auf dem falschen Fuß erwischt. Brexit trifft die Union in einer Phase, in der die politischen Führer der großen Staaten allesamt in einer Schwächephase stecken, die sie in ihrem Handlungsspielraum einschränkt und in ihrer Position schwächt. Eine Bundeskanzlerin Angela Merkel, die noch vor ein, zwei Jahren die europäische Politik und die Union schier nach Belieben dominierte und die immer auch Zweiflern als Garant dafür galt, dass die Dinge gut ausgehen werden, hat derzeit nicht die Kraft, das Ruder an sich zu reißen. In Frankreich steht François Hollande mit dem Rücken zur Wand, in Italien hat Matteo Renzi längst seinen Glanz verloren und ist nicht erst seit der Wahl der Beppe-Grillo-Parteigängerin Virginia Raggi geschwächt. Und Spanien steckt in einer hartnäckigen Regierungskrise, die dem Land keine Zeit für Brüssel und Europa lässt. Die starken Regierungschefs, die in ihrem Land unumstritten sind und eine große Gefolgschaft haben, sind derzeit just jene, die dem EU-kritischen Lager zuzuzählen sind und denen das gemeinsame Europa weniger Herzensanliegen, als vielmehr finanzielles und die keine Hemmungen haben zu zündeln, wenn es ihnen nur hilft, daheim als stark dazustehen. Polen gehört dazu mit seiner Regierungschefin Beata Szydło und ihrem Mentor Jarosław Kaczynski. Und natürlich gehört auch Viktor Orbán dazu, der ungarische Ministerpräsident und manch anderer Chef von jungen Mitgliedstaaten auch.

Dazu kommt eine schwache EU-Führung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen in keiner Weise und Ratspräsident Donald Tusk wirkt nicht nur wie sein Schüler, sondern wird zudem von der Regierung seinen Heimatlandes konterkariert. Auch der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, erweist sich bislang als nichts denn als Papiertiger. Die EU-Spitzen wirken uninspiriert, ohne Ideen, ohne Charisma und, das vor allem, machtlos im losen Gefüge, zu dem viele Staatsund Regierungschefs die Europäische Union in den vergangenen Jahren gemacht haben. Zudem hat das Europäische Parlament bis heute seine Position und Rolle nicht gefunden.

Erst all das machte möglich, dass sich nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Ländern wie Frankreich, Holland und auch Österreich populistische und meist rechte Parteiführer in einer Weise ausbreiten konnten, die inzwischen zu einer echten Bedrohung für die Idee des gemeinsamen Europas geworden ist. Der Zulauf zu ihren Parteien scheint nicht zu bremsen. Und die Entscheidung der Briten zum Brexit scheint diese Entwicklung nur weiter zu beschleunigen und zu befördern.

Aber nicht nur die Führer der Rechtsparteien reiben sich angesichts der jüngsten Entwicklungen die Hände, auch in Moskau sieht man das Drama der EU wohl mit Wohlgefallen. Putin und seinen strategischen Plänen spielt die Entwicklung in die Hände. Dass die USA in diesen Monaten zwischen zwei Präsidentschaften stehen und ohne großes Gewicht sind, tut das Seinige dazu.

Dass dieses Umfeld eine Konstellation ist, in der die Erneuerung der Europäischen Union tatsächlich umgesetzt, wie sie jetzt von vielen Seiten gefordert wird, und dasss die grassierende Renationalisierung gestoppt werden kann, ist wohl zu bezweifeln.

Europa ist zerrissen. Während sich die einen freuen und Brexit als den Anfang vom Ende der EU, die sie als Knechtschaft empfinden, und als Start der Befreiung feiern, ohne zu wissen, was jetzt wirklich kommt, machen sich andere Sorgen. Ihre Erschütterung ist groß. Der Facebook-Post von Willi Klinger, dem umtriebigen Chef des österreichischen Weinmarketing, am Morgen nach der Entscheidung zählt zum Eindrücklichsten, was in diesen Tagen in den Social Media zu lesen war. "Brexit kommt von 'brechen'. Das ist der schwärzeste Tag für Europa seit dem Zweiten Weltkrieg", schreibt er. "Die dunklen Mächte des Nationalismus, die die Welt zweimal mit Millionen Toten zurückgelassen haben, sind wieder obenauf. Für mich persönlich bricht eine Welt zusammen. Ich werde mich jetzt mit aller Kraft der Rettung des europäischen Friedensgedankens widmen und fordere Euch alle auf, Euch voll zu engagieren, denn es droht Gefahr: Dominoeffekt, neue Finanzkrise, Renationalisierung, Krieg, ja Krieg am Horizont!"

Man kann sich nur wünschen, dass er mit seinen Befürchtungen nicht recht hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. Juni 2016

Donnerstag, 23. Juni 2016

Bauern in hartnäckigem Tief



Nicht nur den heimischen Milchbauern geht es nicht gut. Auch die Ackerbauern kämpfen mit Preisdruck. Den kann auch die gute Ernte, die sie erwarten, kaum ausgleichen.

Hans Gmeiner

Wien. In den vergangenen Jahren waren um diese Zeit im Osten Österreichs die Mähdrescher auf den Feldern, um die Gerste zu ernten, und im Westen des Landes war das Heu längst unter Dach. Heuer ist alles anders. „Ich habe heuer im Burgenland noch keinen Mähdrescher auf einem Feld gesehen“, sagte am Mittwoch Franz Stefan Hautzinger, oberster Bauernvertreter in der Agrarmarkt Austria. In Westösterreich hingegen versuchen die Grünlandbauern, in diesen Tagen die Sonne zu nutzen, um vor der nächsten Unwetterfront das Heu für ihre Kühe einzuholen. Leicht haben sie es nicht. Die Wiesen sind kaum befahrbar. Nach mehr als 300 Litern Regen pro Quadratmeter in den vergangenen sechs Wochen drohen die Traktoren und Geräte in der aufgeweichten Erde zu versinken – ganz so, als ob sie wegen der Milchmarktkrise und der schlechten Preise nicht schon genug Ärger hätten.

Aber anders als bei den Obst- und Weinbauern, bei denen im April und Mai Spätfröste große Teile der Ernten vernichteten, hält sich der Schaden durch das regnerische und kalte Wetter der vergangenen Wochen auf den Feldern und Wiesen in Grenzen. Der Futterwert des Heus, das derzeit eingebracht wird, ist wohl schlecht, aber die Grünlandbauern mähen die Wiesen heuer noch bis zu drei Mal und hoffen, dass das Wetter in den nächsten Wochen – und damit die Futterqualität – besser ausfallen wird.

Bei Getreide hat das Wetter außer einer Ernteverzögerung bisher keine Schäden verursacht. Im Gegenteil. „Das Auge hat eine Freude, wenn man derzeit durch die Gegend fährt und die Bestände sieht“, sagt Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Er erwartet nicht nur gute Erträge, sondern auch gute Qualitäten. Euphorisch mag er aber nicht werden. „Was das wert ist, was draußen auf den Feldern steht, zeigt sich erst, wenn das Geld für die Ernte überwiesen ist.“

Und da dürfen sich die Ackerbauern auch heuer nicht viel erwarten. Ähnlich wie bei Milch stecken auch die Preise für die Ackerfrüchte seit Jahren in einem hartnäckigen Tief. Daran ändert auch nichts, dass Österreich, anders als bei Milch, wo 50 Prozent der Produktion exportiert werden müssen, seit gut fünf Jahren Getreide-Nettoimporteur ist, also mehr importiert als exportiert. Grund dafür sind die Anlagen, die Agrana und Jungbunzlauer zur Verarbeitung von zusammen rund 1,3 Millionen Tonnen Mais und Getreide zu Stärke, Zitronensäure und Bioethanol aufgebaut haben.

Der Preisdruck ist hoch. In den vergangenen drei Jahren gab es jeweils weltweit Rekordernten, die Produktion lag höher als der Verbrauch, die Lager sind gut gefüllt. „Bei den Preisen ist die Ausgangsposition heuer niedriger als im Vorjahr“, sagt Ferdinand Lembacher von der niederösterreichischen Bauernkammer. Sein Kollege Christian Krumphuber aus Oberösterreich sieht zumindest bei Soja und Raps einen Hoffnungsschimmer. Alles in allem müssen sich wohl auch die Ackerbauern trotz möglicherweise höherer Erträge auf das fünfte Jahr hintereinander mit einem Einkommensrückgang einstellen. „Der Gesamterlös wird auf niedrigem Niveau bleiben“, sagt Guenther Rohrer von der Landwirtschaftskammer Österreich.

Die Getreideanbaufläche in Österreich beträgt insgesamt rund 570.000 Hektar. Dazu kommen 188.00 Hektar Mais, 39.000 Hektar Ölraps, knapp 50.000 Hektar Soja und mittlerweile 40.000 Hektar Ölkürbis. Diese Frucht hat heuer mit 23 Prozent flächenmäßig die höchste Zuwachsrate.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 23. Juni 2016

Jetzt bleibt nur mehr zu hoffen



Das Jahr 2016 könnte eine Wende markieren. Eine Wende für Europa, eine Wende auch für die Welt, eine Wende auch für Österreich. Und damit wohl auch eine Wende für unser Leben, an das wir uns so gewöhnt haben, mit dem wir zwar hie und da hadern, mit dem wir aber im Großen und Ganzen zufrieden sind. In einem Jahr könnte alles ganz anders aussehen.

Da ist einmal der so genannte "Brexit", der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, der in dieser Woche bei den Briten zur Abstimmung steht. Seit Wochen beherrscht das Referendum die internationalen Schlagzeilen. Was sind die Folgen, wenn die Briten die EU wirklich verlassen, fragt man sich allerorten. Wie groß wird die Erschütterung des europa- und des weltpolitischen Gefüges sein? Oder kommt es gar nicht so schlimm, wie man da und dort befürchtet? Ist es möglicherweise vielleicht sogar wirklich eine Erleichterung für Europa oder greift es nur einer von vielen ohnehin für unvermeidlich gehaltenen Entwicklung, dem Zerfall der europäischen Union, vor? Die Börsen sind seit Tagen in Alarmstimmung. Und viele andere auch. Ausgerechnet ein politisch motivierter Mord, begangen an einer jungen britischen Politikerin, die sich gegen den Austritt Großbritanniens engagierte, gilt nun als Hoffnung, dass sich das Blatt noch wendet und der Europäischen Union die Erschütterung, die der "Brexit" wohl in jedem Fall auslösen wird, erspart bleiben möge.

Im Herbst dann steht das nächste Ereignis ins Haus, das das Zeug hat, die Welt aus den Angeln zu heben und unser Leben nachhaltig zu verändern. Und das in diesem Fall ganz sicher nicht zum Besseren. Einen Donald Trump als Präsident im Weißen Haus mögen sich inzwischen nicht einmal die Republikaner, die ihm die Kandidatur ermöglichten, vorstellen. Denn sollte ihm das so lange für unvorstellbar gehaltene gelingen, auf den Sessel des US-Präsidenten zu gelangen, und er auch nur einen Bruchteil seiner Ankündigungen und Vorstellungen umsetzen, hat das weitreichende Auswirkungen und Folgen rund um den Globus. Da steht die Nachkriegsordnung auf dem Spiel, die Politik, die der Welt, freilich nicht im Detail, sondern im Großen und Ganzen gesehen, weitgehend den Frieden sicherte und eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung. Kommt Trump ins Weiße Haus, geht es ans Eingemachte. Da droht der Welt und der Ordnung, die sie ohnehin mehr schlecht als recht zusammenhält, die Abrissbirne - mit allen Folgen, die das bedeuten kann. Dass die gut und positiv sein werden, glauben wohl gerade einmal die glühendsten Trump-Anhänger.

Ganz anders als heute kann in einem Jahr nicht nur die Welt, sondern auch Österreich dastehen. Und das nicht, weil sich bis dahin Alexander van der Bellen in der Hofburg eingewöhnt hat und weil Bundeskanzler Kern und seinem Vize Reinhold Mitterlehner tatsächlich ein Neustart gelungen ist und sich in der Folge alles zum Guten gewendet hat. Nein, im krassesten Fall sitzt dann Norbert Hofer in der Hofburg und Heinz Christian Strache gegenüber im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz, weil der Verfassungsgerichtshof der Wahlanfechtung Recht geben musste, sich der FP-Kandidat in der Wiederholungswahl dann doch durchsetzte und in der Folge die Regierung platzte und in Neuwahlen flüchten musste. Und es sei bezweifelt, dass das wirklich besser ist für Österreich und seine Entwicklung.

Das alles muss nicht so kommen. Aber es kann so kommen. Möglich ist das nicht, weil Populisten, wie in Großbritannien der "Brexit"-Antreiber und ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, in den USA Donald Trump oder bei uns Heinz-Christian Strache so gut sind und auch nicht, weil sie, wie viele Gegner abschätzig einwerfen, verantwortungslos oder egoistisch sind. Möglich ist das, weil die anderen so schlecht sind. Weil sie die Sorgen und Ängste der Leute, die zu vertreten sie vorgeben, viel zu selten ernst nahmen, weil sie den Kontakt zu ihnen verloren haben, weil sie sich nie ernsthaft mit den gesellschaftlichen Strömungen auseinandersetzten, die von populistischen Politikern und willfährigen Medien befeuert wurden und weil ihnen kein anderes Rezept einfiel, als all das auszusitzen.

Nun aber ist auf einmal möglich, dass die Zeit da ist, in der die Rechnung dafür präsentiert wird. Vor einem Jahr hätte man noch sagen können, es ist noch nicht zu spät. Jetzt bleibt nichts mehr anderes als zu hoffen, dass es noch nicht zu spät ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. Juni 2016

Donnerstag, 16. Juni 2016

Zum Fürchten



Österreich ist kompliziert. Man weiß es. Vieles ist nicht nachzuvollziehen. Vieles, was klar sein sollte und verständlich, und das auch ohne Not sein könnte, ist kompliziert und verworren. Die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten ist selten eine Gerade. Und Klarheit scheint oft ein völlig fremder Begriff aus einer anderen Welt zu sein. Das gilt in diesem Land für den persönlichen Umgang, für den Umgang mit öffentlichen Stellen sowieso, das gilt im Beruf und in der Arbeitswelt. Und das gilt auch in der Politik und in der Verwaltung. Natürlich fügt man da gleichsam automatisch an. Und sowieso.

Unnötig macht man sich das Leben schwer. Unnötig türmt man Kostenposition auf Kostenposition. Man hält Tausendschaften von Menschen in Beschäftigung, deren Aufgabe zumeist in nichts anderem besteht, als Vorschriften auszudeuten, Auflagen zu prüfen, Berichte zu erstellen und Strategien auszuarbeiten, auf dass man sich im Vorschriftengewirr nicht verheddert und gar ins Kriminal gerät.

"Es kann nicht sein, dass sich Unternehmer vor dem Arbeitsinspektor inzwischen mehr fürchten als vor der Konkurrenz", sagte dieser Tage ein führender österreichischer Politiker. Was er nicht sagte, war, dass seine Partei seit Jahrzehnten in der Regierung sitzt und mithin durchaus Verantwortung dafür trägt, dass es so ist. Und was er auch nicht sagte, ist, dass der Begriff "Arbeitsinspektor" durch schier zahllose andere Begriffe ersetzt werden kann, die bei Unternehmen und Unternehmern durchaus eine ähnliche Reaktion auslösen. Es muss nicht immer Furcht sein, Verärgerung und Verwunderung aber ist es immer.

Typisch dafür sind die Folgen der hochgelobten Steuerreform aus dem vergangenen Jahr. Da sei jetzt gar nicht von der Registrierkassenpflicht geredet, sondern lediglich von den Mehrwertsteuersätzen und ihren verwunderlichen Feinheiten. Sie überfordern, wiewohl seit Jahresbeginn in Kraft, immer noch selbst gewiefte Kenner des heimischen Steuerrechts und seiner Usancen, die dahinterstehen.

Immer noch gibt es offene Fragen, immer noch sind Unternehmen im Unklaren und immer noch hat man in einigen Branchen keine Gewissheit, welchen Mehrwertsteuersatz man wem wofür verrechnen muss, soll und darf. Bäuerliche Zimmervermieter gehören dazu, Betreiber von Kompostieranlagen und Gärtner auch. Manche Details konnten erst Monate nach dem Inkraftreten der Gesetzesänderungen per Jahresbeginn geklärt werden. Manche sind immer noch offen. Von Rechtssicherheit keine Rede.

Aber auch was nicht mehr offen ist, ist oft skurril, nicht nachvollziehbar und bedeutet für die Betroffenen nichts denn einen deutlichen Mehraufwand und viel Ärger. Skurril etwa sind die Regelungen bei Gemüsepflanzen und bei Saatgut. Bei Topfpflanzen etwa gelten zuweilen gleich drei verschiedene Mehrwertsteuersätze - zehn, 13 oder 20 Prozent. Ist, wie etwa beim Salat, die ganze Pflanze zum Verzehr vorgesehen, sind zehn Prozent Umsatzsteuer abzuführen, werden nur die Früchte gegessen, wie etwa bei Tomaten oder Paprika, sind 13 Prozent abzuführen.

Einer ganz eigenen Logik folgt auch die Besteuerung von Saatgut für die Landwirtschaft. Da unterliegen etwa Zuckerübensaatgut, Samen von Futterpflanzen und Forstpflanzen einem Steuersatz von 13 Prozent, während Saatgetreide mit zehn Prozent besteuert wird. Bei Saatgutmischungen hinwiederum richtet sich der Umsatzsteuersatz nach der Komponente mit dem mengenmäßig größten Anteil. Da ist es in diesem Umfeld nur zu logisch, dass auch bei Futtermitteln zwei verschiedene Mehrwertsteuersätze zu berücksichtigen sind.

Das alles ist schlimm und ärgerlich. Noch schlimmer und ärgerlicher macht es freilich, dass solche Veränderungen, die nichts denn noch mehr Papierkram und Bürokratie und Unklarheit bringen, just zu Zeiten passieren, in denen die Forderung nach Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung zum fixem Bestandteil einer jeden Politiker-Rede in diesem Land zählt. Und untragbar ist es genau betrachtet, dass diese Forderung just auch von jenen Politikern ständig im Mund geführt wird, die genau das im Frühjahr 2015 beschlossen haben.

Es wäre hoch an der Zeit, dass diese Damen und Herren ihre eigenen Worte wirklich einmal ernst nehmen. Zu viel haben sie schon verspielt damit, dass sie das nicht tun. Nicht nur, wenn es um Steuern und Entbürokratisierung geht, sondern auch um all die anderen Themen, die die Politik seit Jahren und Jahrzehnten vor sich herschieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Juni 2016

Mittwoch, 15. Juni 2016

Füllhorn über die Bauern



Erwartet worden war ein Hilfsprogramm für die Milchbauern. Nun kündigte Landwirtschaftsminister Rupprechter ein Programm an, das allen Bauern zugutekommen soll.

Hans Gmeiner

Wien, Linz. Eine Überraschung hat Landwirtschaftminister Rupprechter für alle Bauern bereit. Nicht nur die Milchbauern, sondern auch alle anderen Bauern sollen von dem 230 Millionen Euro schweren Hilfsprogramm profitieren, das der Minister Dienstag beim sogenannten Milchdialog im Wiener Parlament ankündigte. Im Zentrum der Maßnahmen stehen eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen für eines der letzten beiden Quartale 2016 in der Höhe von 170 Mill. Euro, die Stundung von Agrar-Investitionskrediten, 50 Mill. Euro aus dem Programm Ländliche Entwicklung für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Milchwirtschaft und weitere acht Mill. Euro für Sonderunterstützungen für Milchbetriebe im Berggebiet. Zudem sollen noch Mittel aus der EU fließen. Was wirklich kommt, ist freilich noch offen. Die Arbeiterkammer jedenfalls zeigte sich von den Plänen des Landwirtschaftsministers wenig begeistert. „Wenn Unterstützungen, dann aus bestehenden Agrarförderungen“, ist die Meinung der Arbeitnehmervertreter.

Wenig konkret sind hingegen die Vorstellungen des Ministers, wie die Milchmarktkrise nachhaltig überwunden werden könnte. Er verwies auf einen „Ausbau der Qualitätsprogramme“, eine nicht näher benannte „Stärkung der Qualitätsdifferenzierung“ und auf einen „Milchmarketing-Schwerpunkt“, ohne freilich Details zu nennen. Klar sei nur eines: „Europaweite Krisen brauchen europaweite Lösungen.“ Alleingänge Österreichs, wie eine einseitige Produktionsbeschränkung, werden von ihm genauso abgelehnt wie von den Molkereien. Das Risiko scheint zu groß, hängt doch die Hälfte der Arbeitsplätze in der Milchwirtschaft und auf den Milchbauernhöfen vom Export ab.

Für die heimischen Milchbauern ist das nicht die einzige Meldung, die ihnen Hoffnung macht, dass das Schlimmste bald vorbei sein könnte. Auch vom Markt kommen positive Signale. „Vieles deutet darauf hin, dass der Milchmarkt die Talsohle durchschritten hat und es mit den Preisen aufwärts geht“, sagte Dienstag Holger Thiele vom Kieler Institut für Ernährungswirtschaft, einer der profundesten Kenner des europäischen Milchmarktes, in Linz. Der Kieler Rohstoffwert für Milch, wichtiger Frühindikator für die Marktentwicklung in Europa, liege im Juni zwei Cent höher als noch im Mai.

Euphorie ist bei den Milchbauern dennoch nicht angebracht. Der Preis werde sich allenfalls langsam verbessern, wenn saisonal weniger Milch erzeugt werde, die Nachfrage am Binnenmarkt leicht wachse und der Export in Drittländer sich weiterhin so entwickle wie in den vergangenen Monaten, ist Thiele vorsichtig optimistisch. Wenn das so komme, sei bis zum Jahresende ein Preisanstieg von bis zu fünf Cent möglich, lasse sich aus den Entwicklungen an den Warenterminbörsen schließen. „Jede Prognose darüber hinaus ist aber unseriös.“

Ruhige Zeiten haben die Milchbauern nach Einschätzung Thieles dennoch nicht zu erwarten. Wie schon seit Jahren die Getreidebauern müssten sich auch die Milcherzeuger in Zukunft auf wesentlich stärkere Preisschwankungen einstellen, meint der deutsche Experte. „Das ist die neue Normalität.“

Diese neue Normalität herrscht eigentlich bereits seit sieben Jahren. 2009 beutelte die Milchbauern erstmals eine Preiskrise, 2012 und nach den Hochpreisjahren 2013 und 2014 rutschte man in die Krise, die seither bei vielen Bauern für Existenzängste sorgt. Die guten Preise, die Exportchancen, die man sah, und der Wegfall der Produktionsquoten im Frühjahr 2015 verleiteten die Landwirte in ganz Europa zum Ausbau der Produktion. Vor allem große Produzenten wie die Niederlande, aber auch Irland und Deutschland produzierten auf Teufel komm raus und steigerten ihre jährliche Produktion teilweise um bis zu 15 Prozent. Auch in Österreich wuchs die Milcherzeugung deutlich. Als Russland wegen der EU-Sanktionen die Märkte dichtmachte und der Hoffnungsmarkt China zu schwächeln begann, nahm das Unglück seinen Lauf. Es gab auf einmal viel zu viel Milch, die Preise fielen um dreißig Prozent auf nunmehr 27 Cent pro Kilogramm und in Deutschland sogar auf weniger als 20 Cent. Um zumindest zu einem Teil auf die Kosten zu kommen und Kredite bedienen zu können, die man noch wenige Jahre zuvor für den Ausbau der Kapazitäten aufgenommen hatte, wurde die Produktion weiter gesteigert und der Preisdruck noch höher.

Eine nachhaltige Lösung der Probleme steht weiterhin aus. Für Thiele wären Lieferverträge zwischen Bauern und Molkereien, über die die Milchanlieferung gesteuert wird, ein sinnvoller Weg.

Salzburger Nachrichten, 15. Juni 2016 - Wirtschaft

Österreichs Bauern hoffen auf 230 Millionen Soforthilfe



Bauern sollen für ein Quartal keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen, von Bund und Ländern gibt es Förderungen. Experten erwarten eine Entspannung auf dem Milchmarkt.

Wien. Bund und Länder wollen den Milchbauern, aber auch den Erzeugern von Schweinefleisch und Obst kräftig unter die Arme greifen. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter will den Vorschlag des Bauernbunds aufgreifen und Landwirten für ein Quartal die Beiträge zur Sozialversicherung erlassen. Das kostet 170 Mill. Euro und ist heftig umstritten. Die Arbeiterkammer sagt, Unterstützungen dürfe es nur aus dem Bereich der Agrarförderungen geben. Aus diesem Titel sagte Rupprechter am Dienstag 50 Mill. Euro zu, 8 Mill. Euro Sonderunterstützung steuern die Länder bei.

Damit wird Österreichs Bauern zwar kurzfristig geholfen, es fehlt jedoch weiter ein Konzept, wie langfristig auf die niedrigen Weltmarktpreise reagiert werden kann.

Denn auch wenn Experten erwarten, dass die Talsohle bei den Milchpreisen erreicht ist, wird es nur langsam nach oben gehen. Holger Thiele, Professor in Kiel, sieht Anzeichen dafür, dass die Preise bis zum Jahresende um 5 Cent je Liter höher sein könnten. Das ändere freilich nichts daran, dass sich die Bauern auf starke Preisschwankungen einstellen müssten, sagt Thiele. Der Grund dafür ist, dass europaweit zu viel Milch produziert wird und die Nachfrage schwächelt, wie in China oder durch die Sanktionen gegen Russland. Thiele empfiehlt eine bessere Steuerung durch Lieferverträge zwischen Bauern und Molkereien. Seite 15

Salzburger Nachrichten, 15. Juni, Seite 1

Donnerstag, 9. Juni 2016

Die bittere Rache der Selbsttäuschung



Als im Frühjahr 2015 die Milchpreise zu sinken begannen, wurden manche Bauernvertreter nicht müde das "Marktversagen" zu geißeln. Mittlerweile haben auch die letzten Agrarier erkennen müssen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Selten hat etwas so gezeigt, wie die Milchkrise, dass der Markt funktioniert. Gnadenlos und mit einer Perfektion, die zahllose Milchbauern in existenzielle Probleme bringt. Es ist einfach zuviel Milch da.

Viele Bauern stecken in der Klemme. Der Politik ist bisher noch nichts eingefallen. Klar ist nur, dass man sich von einigen Dingen verabschieden muss. An erster Stelle steht wohl, dass man zur Kenntnis nehmen muss, dass Milch nicht "Weißes Gold" und damit etwas Besonderes ist. Milch ist ganz simpel ein Überschussprodukt. Auch in Österreich. Hier wird, das sollte man nicht vergessen, um 50 Prozent mehr Milch erzeugt, als verbraucht werden kann.

Verabschieden sollte man sich auch schleunigst von der Einschätzung, österreichische Milch hebe sich qualitativ von der aus anderen Ländern ab. So lange man das nicht mit handfesten Zahlen und Argumenten untermauert, zählt das nichts. Nur von "höchster Qualität" zu reden ohne zu sagen, was man damit meint, ist zu wenig. Und dass es nicht gelang, die GVO-freie Produktion in einen deutlich höheren Preis umzusetzen ist schlicht eine Schande.

Auf die Müllhalde der bäuerlichen Klagen gehört auch, den Handel hauptverantwortlich für die Milchmisere zu machen. Dort sitzen zwar in der Tat keine Samariter und es ist ihnen viel vorzuwerfen, aber ihnen alleine die Schuld zuzuschieben, ist nichts denn Selbsttäuschung. Über den Handel wird nicht einmal die Hälfte der heimischen Milch und Milchprodukte vermarktet. Warum redet man kaum von der anderen Hälfte. Warum soll ausgerechnet der Handel mehr zahlen? Und warum soll man mehr zahlen, als die ausländischen Abnehmer österreichischer Milch?

Ganz ehrlich - die Bauern würden kaum anders handeln. Viele beweisen das Tag für Tag. Das beginnt bei den Traktoren und geht hin bis zu den Betriebsmitteln. Gerade bei denen, die am lautesten schreien, sind oft die meisten ausländischen Maschinen und Geräte zu finden, ausländische Saatgut auf den Feldern und im Futtertrog Getreide aus Osteuropa - oft sogar in Eigenregie herantransportiert.

Die Milchbauern sind mit ihrer Not nicht alleine. Bei den Ackerbauern ist das nicht viel anders. Und auch nicht bei den Fleischproduzenten. Die Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Man hat sich von den plötzlich hohen Preisen vor ein paar Jahren und von den Sorgen um die Sicherung der Welternährung den Kopf verdrehen lassen. Man hat geglaubt, es geht nur mehr aufwärts. Man hat nachgelassen in den Bemühungen sich Nischen aufzubauen und seinen Platz zu finden. Man glaubte mit den Großen mitspielen zu können. Das rächt sich jetzt bitter.

Österreich ist ein kleines Land und seine Landwirtschaft kleinstrukturiert. Die meisten der hiesigen Bauern brauchen andere  Konzepte. In der Milch zeigen es die Heumilch- und die Biobauern vor, in anderen Bereichen sind es andere. Ein "New Deal" ist es, den nicht nur Österreich, sondern auch seine Landwirtschaft braucht. So etwas wie es seinerzeit der ökosoziale Weg war. Die Landwirtschaft sollte alles daran setzen, sich wieder zu sammeln und neu zu erfinden. Es geht darum, in der heutigen Gesellschaft und auf den heutigen Märkten den Platz zu finden. Darauf hat man in den vergangenen Jahren vergessen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, Juni 2016

Im Würgegriff



Im täglichen Schlagzeilengewitter ist es immer schwieriger, die Orientierung zu behalten. Da eine Horrormeldung und dort eine. Allerorten Bedenkenträger und Schwarzmaler. Überall hyperventilierende Aufgeregtheit. Meldungen werden lanciert, um Stimmungen zu erzeugen und um Interessen leichter durchzusetzen. Hauptsache schlecht, scheint oft die einzige Devise zu sein. Und Hauptsache gefährlich.

Ganze Branchen leben inzwischen von diesem Geschäft. Und nicht nur die Politik. Die NGO gehören dazu und Tausendschaften von Beratern, Medien sowieso und PR-Agenturen. In Österreich, in Deutschland, in Europa, weltweit. Zahlen und Fakten zählen immer weniger. Immer öfter werden sie zurechtgebogen und für die jeweiligen Interessen passend gemacht oder gleich völlig negiert und für falsch erklärt. Zwei plus zwei ist fünf.

Gerade in einem Land wie Österreich, in dem vielen ohnehin ein Hang zum Jammern und Fürchten eigen ist, ist die Gefahr groß, dass man sich leicht irre machen lässt. Zumal dann, wenn es eigene Vorurteile bestätigt und in den Kram passt. Wenn die Zeiten unübersichtlich sind. Wenn man gar nicht mehr zurechtkommt mit dem, was man alles wissen sollte. Wenn man niemandem und nichts mehr glauben und vertrauen mag und wenn man nicht zusammenbringen mag, was man zusammenbringen sollte. Die Schwarzmaler und die Kassandrarufer gewinnen in solchen Phasen die Oberhand. Und die Populisten, die die Stimmung noch zuspitzen mit ihrer Angstmacherei.

Ein Land, seine Gesellschaft, und, auf Europa umgelegt, ein ganzer Kontinent, zieht sich inzwischen selbst hinab. Da ist nichts mehr von Zuversicht und von Mut gar, etwas bewältigen zu können und mit etwas fertig zu werden. Da ist nur mehr von dunklen Wolken die Rede, von finsteren Mächten und von Entwicklungen, die nichts denn bedrohlich sind.

Im politischen und gesellschaftlichen Furor wird Erreichtes und Bestehendes gering geschätzt. Politische Bündnisse und Regeln, die mühsam und oft über Jahrhunderte errungen wurden genauso wie gesellschaftliche Veränderungen, technische und selbst medizinische Fortschritte. Zu tun, als ob alles nichts wäre, womit wir heute leben, was die Gesellschaft geschaffen hat und worauf man sich verständigt hat, also ob alles mehr Belastung ist als Fortschritt, ist zuweilen Kultur geworden.

Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat zu Beginn dieses Jahres in seinem Heft eine wöchentliche Kolumne eingerichtet, die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. "Früher war alles besser" heißt sie. Das stimme aber nicht.

"Es war, im Gegenteil, früher so gut wie immer schlimmer." Man weist nach, dass schlicht falsch ist, dass, wie es gemeinhin heißt, die Industrieländer nur auf Kosten der Entwicklungsländer reich geworden und zeigt auf, dass der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, von 37 Prozent im Jahr 1990 auf zehn Prozent im Jahr 2015 abgenommen hat. Oder dass die Kinderarbeit seit dem Jahr 2000 um zwei Drittel reduziert werden konnte und dass der Höhepunkt des weltweiten Bevölkerungswachstums längst überschritten ist. Man zeigt auf, dass die Kindersterblichkeit deutlich reduziert werden konnte und die Alphabetisierungsrate seit 1960 weltweit von 60 auf 85 Prozent stieg. Und dass es weltweit noch nie so wenig Kriegstote gab wie in diesem Jahrhundert. Oder man beschäftigt sich mit der vielgescholtenen Technik. Etwa im Haushalt. Früher waren fürs Waschen, Kochen und Putzen pro Haushalt fast 60 Stunden wöchentlich nötig, viermal so viel wie heute. "Die gewonnene Zeit erlaubte den Frauen Bildung, Erwerbsarbeit, Unabhängigkeit", hält das deutsche Magazin fest.

Man sollte das alles nicht gering schätzen. Die Welt im Großen und Österreich im Kleinen sind vorangekommen. Ein gutes Stück sogar. Freilich liegt trotz aller Fortschritte vieles im Argen. Und es gibt überhaupt keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen und die Bemühungen ruhen zu lassen. Aber man sollte die Entwicklung sehen und sorgsam und umsichtig damit umgehen.

Das haben wir verlernt. Es ist verlorengegangen in den vergangenen Jahren, in denen die Zwischentöne verschwanden, in denen Fakten weniger zählen als Emotionen, in denen sich Populisten, Miesmacher, Ideologen, Panik- und Geschäftemacher die öffentliche Stimmung in den Griff genommen haben. Es ist ein Würgegriff, denn er bringt viel weniger für Weiterentwicklung und Fortschritt, als er zu Verunsicherung, Stillstand und Mutlosigkeit beiträgt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Juni 2016

Donnerstag, 2. Juni 2016

Die "G'scheiten" und die "Dummen"



Der Herr Bürgermeister Häupl wusste genau, warum der Stimmenanteil von Alexander Van der Bellen in der Stichwahl um das Bundespräsidentenamt just in Wien so hoch war. "Naja", sagt er im Radio, "ich denke, das hat natürlich schon viel mit, wenn man so will, der gesellschaftlichen Zusammensetzung in der Stadt zu tun. Es ist ja das Bildungsniveau höher". Im Klartext: Die g'scheiten Städter wählten Van der Bellen und das dumme Landvolk Hofer.

Häupl war nicht der Einzige, der den knappen Wahlsieg des Professors so erklärte. Seit dem ersten Wahlgang kursierten Grafiken, die den Nachweis zu führen suchten, dass der Stimmenanteil Van der Bellens mit der Höhe des Schulabschlusses korrelierte. Das dröhnte nach "Wir sind die G'scheiten" und nach "Wir wissen, was richtig ist. Und das nimmt man ernsthaft für sich in Anspruch, nur, weil man auf eine Matura oder einen Hochschulabschluss verweisen kann, fragt man sich da unwillkürlich.

In irgendeinem der vielen Kommentare in diesen Tagen fand sich der Begriff "moralisches Herrenmenschentum". Der ist nicht schön, aber er ist wohl ziemlich treffend. Viele in diesem Land fühlen sich aufgrund ihrer Bildung aber auch ihres finanziellen Hintergrundes überlegen. Viele schauen ohne jeden Respekt auf die anderen, die es in ihren Augen nicht so weit gebracht oder die weniger haben, herab. So, wie sie oft nicht viel von denen halten, die auf dem Land leben.

Wenn es in der österreichischen Gesellschaft den Graben, von dem in den vergangenen Tagen so viel geredet wurde, wirklich gibt, dann an dieser Linie. Der Linie, die gezogen wird von den formal Gebildeten zu den formal weniger Gebildeten, von den Intellektuellen zu den einfachen Leuten, von den den G'scheiten und angeblich Wissenden zu den Einfältigen und Dummen und von denen in der Stadt zu denen auf dem Land.

Man hat aus den Augen verloren, dass sich ein Rad ins andere fügen muss, damit das ganze Land funktioniert. Da ist es nicht gut, dass weite Teile der Bevölkerung mit fragwürdigen Statistiken diskreditiert werden, dass ein Lehrabschluss weniger angesehen ist als eine Matura und dass Handwerk und Handarbeit gering geschätzt werden. Man braucht alle Menschen. Man sollte nicht vergessen, dass der Mann mit dem Bierbauch an der Supermarktkassa, über den man sich vielleicht gerade belustigt, der sein könnte, der einen bei einem Unfall aus dem Auto schneidet. Oder der junge Bursche, der die Kappe verkehrt herum trägt, der Installateur sein könnte, der beim nächsten Wasserrohrbruch zu Hilfe kommt, weil man selbst völlig überfordert ist. Und dass es ohne das Muskelpaket da drüben vielleicht keine Wohnhäuser, keine funktionierende Kanalisation oder keine Straßenbeleuchtung geben würde.

Leute wie sie braucht das Land. Leute, die etwas können. Leute die hingreifen, wo all jene mit Matura und Hochschuldiplom hilflos danebenstehen. Denn das ist zumindest genauso viel wert, wie ein Maturazeugnis oder gar eine Promotionsurkunde. Zumindest.

Es ist nicht gut, dass der Graben zwischen diesen Gruppen immer tiefer geworden ist. Man kann oft nicht mehr miteinander reden und man erreicht einander nicht mehr. Vorurteile sind an die Stelle von gegenseitiger Wertschätzung getreten. Die einen sind schnell mit der Nazi-Keule da, mit Vorwürfen wie "Tachinierer","Leistungsverweigerer" und "Sozialschmarotzer". Die anderen schimpfen auf die "G'stopften" und die "Oberg'scheiten", halten jeden Manager für einen Gauner und wittern hinter allem und jedem dunkle Mächte, die nichts im Sinn haben, als sich auf ihre Kosten ein schönes Leben zu machen. Genützt hat diese Entfremdung der Gesellschaftsgruppen, die von Geringschätzung, Unverständnis und Unwissen getrieben ist, bisher niemanden außer Strache und seinerzeit Haider.

Die neue politische Führung des Landes sollte daher sehr schnell daran gehen, diese Kluft zu überwinden, den Schulterschluss wieder zu schaffen. Es geht darum, die Achtung und Wertschätzung wieder herzustellen, die verloren gegangenen ist. Und den Respekt.

Gefordert sind vor allem jene, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben. Jene, die zum Begriff "moralisches Herrenmenschentum" inspirierten. Sie sollten die Menschen nicht so gering schätzen, wie sie es tun, sondern ernst nehmen. Ernsthaft ernst nehmen. Dann bräuchte man sich vor Strache und Hofer nicht fürchten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Juni 2016
 
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