Donnerstag, 11. Februar 2016

Leiden an der Kritik



Kritik ist eine Kategorie, mit der man in Österreich, wiewohl ein Land der Raunzer und Besserwisser, nicht umgehen kann. Man motzt, man schimpft und meistens geht es nur darum, jemandem schlecht und klein zu machen. Kritik ist hierzulande meistens nichts anderes, als ein Ventil, um Wut abzulassen. Konstruktiv ist sie selten. Und wenn, wird sie ohnehin kaum als solche akzeptiert. Zumal dann, wenn man sich gar selbst in die Kritik genommen und genötigt sieht, sich damit auseinanderzusetzen. Da stellt man allemal lieber die Stacheln auf und flüchtet in Sätze wie "Wir lassen uns doch nicht unser schönes Land schlecht machen", als sich damit auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Wobei "Land" je nach Umfeld und nach Belieben mit "Stadt","Berufsstand","Unternehmen" oder was auch immer ersetzt werden kann. Hauptsache keine Kritik, scheint vielerorts das oberste Gebot zu sein.

Österreich hat nur eine sehr schlecht entwickelte Kritik-Kultur. Das gilt auf beiden Seiten. Kritik, wie sie in Österreich üblich ist, ist selten von Wertschätzung, Wissen und dem Bemühen getragen, etwas Positives zu einer Entwicklung beizutragen. Zum anderen werten Kritisierte jede Form von Kritik als einen Angriff auf die persönliche Integrität und blocken ab, wo es nur geht.

In diesem Umfeld ist vor allem die Fähigkeit zur Selbstkritik, die Fähigkeit, das eigene Tun und die eigene Arbeit kritisch zu bewerten und entsprechend zu korrigieren, in vielen Bereichen abhanden gekommen. Ganz besonders gilt das für die Politik. Dort nimmt das zwar nicht Wunder, zumal nirgendwo der Druck so groß ist, sich selbst zu profilieren und zu verteidigen und das eigene Handeln so positiv wie möglich dazustellen. Dem Land als Ganzes freilich gerät diese Kultur längst zu Schaden.

In der Politik ist es Usus geworden, aus dem Umfeld, in dem man arbeitet, Kritiker möglichst fernzuhalten. Viele Politiker neigen dazu, sich mit willfährigen Ja-Sagern zu umgeben, in der Meinung sich so Schwierigkeiten zu ersparen. Und wenn es gar nicht anders geht, redet man gerne von Nestbeschmutzern, um sich Luft zu verschaffen.

In vielen Bereichen hat man nicht zuletzt deswegen den Bezug zur Realität und die Verantwortung für die eigentlichen Aufgaben aus den Augen verloren. Schlechte Lösungen werden immer öfter für gute Politik gehalten, die Ankündigung von Maßnahmen für die Lösung von Problemen und die Zustimmung aus dem engsten Umfeld, das man sich selbst zurechtgezimmert hat, mit einer breiten Zustimmung aus der Bevölkerung verwechselt.

Beispiele für dieses Verhalten und die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik gibt es in allen Bereichen. Von der kleinen Gemeinde, über die Länder bis hin zur Bundesregierung in Wien. Rudolf Hundstorfer, dem Realitätsverweigerung in Sachen Pensionssystem oder Arbeitsmarkt besonders oft vorgeworfen wurde, ist nur einer von denen, denen die Fähigkeit zur Selbstkritik entglitten zu sein scheint.

Inzwischen trägt das Land schwer an dieser Entwicklung. Denn Kritik und der Erhalt der Kritikfähigkeit sind die Triebfedern jeder Weiterentwicklung. In Österreich ist ihr Fehlen an allen Ecken spürbar. Sonst gäbe sich nicht nur die Politik, sondern wie es mitunter scheint das ganze Land, mit Wonne einer glücklichen Walzerseligkeit hin, die die Realität in der Welt immer öfter verkennt und sich immer noch für eine Insel der Seligkeit hält.

Kritik und der ehrliche Umgang damit sind für ein Land so wichtig, wie es Fitnesstraining für seine Bewohner wäre. Nur so kommt man zu richtigen Schlussfolgerungen und kann Konzepte und Lösungen entwickeln, die Österreich weiterbringen. Das wäre dringend nötig, wenn man nur daran denkt, wie Österreich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen international an Boden verlor, wie das Land in Rankings nach hinten durchgereicht wurde und welche Probleme sich auftürmen, die an der Zukunft zweifeln lassen können.

Eine Gesellschaft, die ihre Kritikfähigkeit verloren hat, die verlernt hat, konstruktiv Kritik zu üben und damit umzugehen und sich mit ihren Problemen offen und ohne parteipolitische Brille auseinanderzusetzen, setzt ihre Zukunft aufs Spiel.

Österreich leidet nicht an zu viel Kritik, sondern es leidet am falschen Umgang damit. Am falschen Umgang in der eigentlichen Bedeutung des Wortes "falsch", aber auch an jenem in der Bedeutung von "falsch" als "unehrlich".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. Februar 2016

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