Donnerstag, 25. Februar 2016

Und was ist mit der Integration?



Österreich kocht. Das Land scheint sich nur mehr mit einer Frage zu beschäftigen - wie hoch sollen die Zäune sein, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen und wo sollen sie noch überall gebaut werden? Die Vorschläge überschlagen sich, die Töne werden zusehends schriller und das Verhalten der Menschen auch. Selbstverteidigungskurse boomen, Waffenverkäufe auch und auch die von Pfefferspray.

In diesem Furor, in den sich Politik, Medien und immer größere Teile der Gesellschaft hineinsteigern, ist die noch viel größere Herausforderung völlig aus dem Fokus geraten. Die Integration der knapp 80.000 Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten in Österreich aufgenommen wurden, wird in einer Weise vernachlässigt, die nichts denn fahrlässig zu nennen ist.

Die Muster gleichen jenen, die bei der Bewältigung des Flüchtlingsstromes in den vergangenen Monaten in Chaos und Überforderung mündeten. Man lässt die Dinge schleifen und schaut zu, anstatt mit Hochdruck am Aufbau entsprechender leistungsfähiger, effizienter, professioneller und tragfähiger Strukturen zu arbeiten.

Wie schon bei der Aufnahme der Flüchtlinge in der Anfangsphase verlässt man sich auch bei der Integration auf privates Engagement. Das offizielle Österreich verweigert sich ganz offensichtlich der Dimension, die Integration hat, und es wiederholen sich die Fehler vom vergangenen Sommer.

Es wird zwar da und dort von Wertekursen berichtet und von Sprachunterricht der angeboten wird, es werden Integrationsvereinbarungen medial abgefeiert und der Integrationsfonds berichtet freudig von 6.000 Stipendien für Flüchtlinge. Und man beruhigt sich mit Berichten von Einzelschicksalen, die sich gut entwickeln. "Was ich im Augenblick besonders furchtbar finde, ist dieses ständige 'mein Syrer' auf Facebook", ätzte kürzlich Kilian Kleinschmidt, der für die UNHCR in Jordanien ein riesiges Flüchtlingslager organisierte. "Das ist ein bisschen so wie ein Meerschweinchen zu halten."

Die Realität aber ist eine andere, will Kleinschmidt wohl sagen. Und nicht nur er. Das Angebot ist viel zu gering und die Bemühungen sind es auch. Denn dem Großteil der Menschen, die in Österreich aufgenommen wurden, wird seit Monaten kaum etwas geboten, was eine Integration fördern würde. Sie müssen seit Monaten in Containern, Hallen und oft überfüllten Wohnungen sitzen, herumgeschoben, zumeist ohne Privatsphäre und voller Unsicherheit über ihre Zukunft. Sie können kaum mehr tun, als auf die kahlen Wände zu schauen und vor der Unterkunft auf- und abzugehen. Und warten, warten, warten. Und das seit Monaten und möglicherweise noch jahrelang.

Bezahlte Sprachkurse und Zugang zum Arbeitsmarkt gibt es nur für jene, die bereits den Asylstatus haben. Für die große Mehrheit aber, deren Asylansuchen in den Mühlen der heimischen Bürokratie steckt, gibt es hingegen praktisch nichts. Sie sind auf private Initiativen angewiesen. Auf die Behörden könne man sich da nicht verlassen, klagten kürzlich in Oberösterreich private Helfer. Unterrichtsmaterialien etwa müssen sie sich selbst zusammensuchen und oft aus eigener Tasche bezahlen. Auch nach Monaten gibt es keine Unterlagen oder Leitfäden, die den privaten Helfern zur Verfügung gestellt werden. Es gibt kaum Plattformen für den Erfahrungstausch, schon gar nicht vom offiziellen Österreich. Und es gibt auch kaum wo ein professionelles psychologisches Angebot für die vielen zum Teil schwer traumatisierten Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, die mit ihren Problemen alleine fertig werden müssen.

Die Flüchtlinge müssen nicht nur damit fertig werden. Sie spüren, dass ihnen zunehmend Reserviertheit und immer öfter auch offene Ablehnung entgegenschlagen. Sie spüren, dass sie zunehmend alleine sind in diesem Land und sie leiden darunter, dass es für sie weder ein vor noch ein zurück zu geben scheint.

Genau darin liegt der soziale Sprengstoff. Und genau darin liegt auch die Herausforderung, die Integration dieser Menschen endlich ernsthaft in Angriff zu nehmen. Es ist daher hoch an der Zeit, sich dieser Aufgabe zu stellen. Sie ist langfristig viel brisanter, als die Suche nach Möglichkeiten, den Zuzug zu begrenzen. Denn immer drängender wird die Frage, wie alle diese Männer und Frauen und Kinder in das österreichische Leben und in unsere Gesellschaft und Arbeitswelt so integriert werden können, dass sie dem Staat nicht, wie jetzt so viele befürchten, nur Last sind. Davon ist man weit entfernt. Sehr weit.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Februar 2016

Samstag, 20. Februar 2016

Bei Bio mischen die Großen mit



Die Biolandwirtschaft kommt in der Realität an. Um nicht unter die Räder zu kommen, setzen die Bauern auf die Konsumenten.

Hans Gmeiner

Salzburg. Das Geschäft mit Bio brummt. Mit der beschaulichen Welt, die viele Konsumenten mit Bio nach wie vor verbinden, hat das kaum mehr zu tun. Auf der Biofach in Nürnberg, der weltgrößten Biolebensmittelmesse, war das eindrücklich wie noch nie zu sehen. In der Vermarktung und Produktpräsentation herrscht längst eine Professionalität, die jener herkömmlicher Produkte um nichts nachsteht.

Auch in der Art der Produkte und Produktzubereitung unterscheidet man sich nicht mehr. Convenience-Produkte, die komplett zubereitet vor dem Servieren nur mehr erhitzt werden müssen, gelten genauso als zukunftsträchtiger Markt wie Energydrinks. Sie werden den Konsumenten unter Namen wie „Veganpowergy – die gute Kraft“ angepriesen. Schließlich gilt vegan, also die Erzeugung ohne Verwendung eines tierischen Produktes und ein Megatrend bei Lebensmitteln, als das Sahnehäubchen auf Bioprodukten, auf das man nicht verzichten mag.

Die Umsätze wachsen rasant. Auch wenn der inzwischen auf fast 100 Mrd. Euro angewachsene Bioweltmarkt gerade ein Prozent der weltweiten Lebensmittelproduktion ausmacht, ist das Interesse großer Unternehmen und Konzerne nicht mehr zu übersehen. Immer öfter mischen sie im Geschäft mit, um sich ihren Teil vom Kuchen zu sichern. Bio-Linien neben den konventionellen Produkten sind Standard geworden. Gleiches gilt für die großen Player auf den konventionellen Agrarmärkten wie Brasilien, Argentinien, die USA oder Kanada. Bio ist für sie längst kein Fremdwort mehr.

In Österreich sind es Unternehmen wie die Agrana, die mit Biozucker und Biostärke bereits gut im Geschäft ist. Die Raiffeisen Ware Austria, die Lagerhausorganisation, ist inzwischen wichtigster Vermarkter von Biogetreide im Land. Und die Vereinigte Fettwarenindustrie aus Wels, die bisher ihre Öle meist im Billigsegment anbot, steigt in die Produktion von Biospeiseöl ein. In Ennsdorf (NÖ) will man dafür heuer um zwölf Mill. Euro eine Ölpresse mit einer jährlichen Verarbeitungskapazität von 30.000 Tonnen Raps- und Sonnenblumenkernen bauen.

Ein Zeichen dafür, dass Bio in der Normalität angekommen ist, ist auch die Differenzierung der Vermarktungsschienen im Handel. Dort wird die Partnerschaft von Rewe, wo man bisher ausschließlich auf die Eigenmarke Ja!Natürlich setzte, mit dem deutschen Biobranchenriesen Alnatura als Signal in Richtung Diskont gewertet.

Die Biolandwirtschaft sehen viele Beobachter inzwischen den gleichen Mechanismen des Marktdrucks ausgesetzt wie die konventionelle Landwirtschaft. Dort versucht man diese Entwicklungen gelassen zu sehen. Franz Waldenberger, Oberösterreich-Chef von Bio Austria, sieht Industrieunternehmen durchaus als Partner. „Biozucker etwa würde ohne Agrana nicht funktionieren“, sagt er. „Wir brauchen solche Partner, wenn wir alle Bereiche durchdringen wollen.“

Die Zukunftschancen hält er, aber auch konventionelle Agrarpolitiker wie der oberösterreichische Landesrat Max Hiegelsberger für absolut intakt. „Bio bietet auch kleinen Betrieben Chancen.“ Nicht zuletzt wegen eines Atouts, das Waldenberger und seine Kollegen für sich in Anspruch nehmen: „Der Konsument steht auf unserer Seite.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 20. Februar 2016

Donnerstag, 18. Februar 2016

Der Kasperl gewinnt



"Das Land braucht einen Baumeister." Der Blick irrlichterte und das Gesicht war puterrot ob der Anstrengung, war es doch mehr ein Schreien als ein Reden, in dem Richard Lugner da der staunenden Youtube-Gemeinde sein Interesse an der Kandidatur zur Bundespräsidenten-Wahl ankündigte. Ein paar Tage später dann die offizielle Kandidatur. "Ich übernehme die Rolle des Kasperls mit der schönen Prinzessin an der Seite", tat er kund, dass er "keinesfalls Rot-Schwarz installieren" würde und dass er "jedes Klo" kenne in Österreich. "Daher kennen mich die Leute."

Die Mikrofone, die da vor ihm aufgebaut waren, waren kaum zu zählen. Selbst die seriösen Medien des Landes wollten auf die Präsentation des künftigen "First Couples" nicht verzichten und die Boulevardmedien inklusive Funk und Fernsehen schon gar nicht. Man konnte sich schier nicht einkriegen.

Dass es dabei um das höchste Amt im Staat ging, spielte keine Rolle. Für Lugner und seine Cathy sowieso nicht. Und auch nicht für die Boulevardmedien, die ihm freizügig jede Bühne für sein Schrulligkeiten geben. Dass die nichts anderes sind als Marketing, nehmen sie gerne hin, weil man längst gelernt hat, dass Lugner auch der Vermarktung der eigenen Bild-und Textprodukte gut tut. Da wie dort geht es ums Geschäft. Und das mancherorts sehr schräge Selbstverständnis von Medien ist längst "part of the game".

Und dennoch hat die Lugnersche Kandidatur diesmal eine ganz neue Qualität. Noch nie wurde so dreist mit einer demokratischen Einrichtung, die noch dazu das höchste Amt im Staat ist, umgegangen. Noch nie wurde eine demokratische Wahl so unverfroren vor den kommerziellen Karren gespannt. Da werden ohne Not und um der Quote und guter Vermarktungszahlen willen Grenzen überschritten, die bisher respektiert wurden. Überschritten nicht nur von Lugner. Gipfel ist wohl, dass ein privater Fernsehsender die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten und den damit einhergehende Wahlkampf zum Gegenstand einer Soap machen will, um damit im Unterhaltungsprogramm des Senders die Quoten zu steigern.

Was beim Opernball nur anstrengend und nervig ist, ist in der Politik schlicht ungehörig. Es untergräbt das ohnehin schwer angegriffene Ansehen des Staates und seiner Einrichtungen und der Politik ohne Not und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Wenn es schon nicht gelingt, Lugner vor sich selbst zu schützen, so sollte es doch Aufgabe sein, die staatlichen Einrichtungen und die Politik zu schützen.

Das freilich ist in einem Land wie Österreich, man weiß es, schwierig. Und wer behauptet, Lugner sei nichts, als die österreichische Politik in Vollendung, dem ist durchaus Verständnis entgegen zu bringen. Lugner, und wie er sich präsentiert, ist wohl nur der vorläufige Höhepunkt des im ganzen Land seit vielen Jahren grassierenden Populismus in der Politik, in der immer mehr die Schlagzeile zählt und immer weniger die Lösung.

Mit Schuld daran hat die Boulevardisierung des Lebens, das immer größere Tempo der Medien, die immer unersättlichere Gier nach News, mit denen sich Schlagzeilen und Geld machen lassen. Und das immer öfter bar jeder Verantwortung. Jede Woche muss eine neue Sau durch das Dorf gejagt werden.

Das gilt erst recht für die Politik. Auch dort geht es darum, Themen zu setzen. Nicht so sehr jene Themen, die dringend einer Lösung oder eines Konzeptes bedürfen, sondern solche, mit denen Schlagzeilen gemacht werden können und Meter in der Gunst des Publikums.

Es sind aber nicht alleine die Medien und die Politik dafür verantwortlich zu machen. Es ist wohl zu allervorderst das Publikum, also wir selbst, für die das alles inszeniert wird, die dafür die Verantwortung tragen. Dankbar drängt man sich zu Leuten wie Lugner hin, freudig ist der Applaus zu Ankündigungen, und seien sie noch so windig, und dankbar wird selbst zu Inszenierungen und Sagern gejohlt, die als nichts, denn als blitzdumm zu bezeichnen sind.

Es wäre schön einmal zu sehen, wenn all das nicht passiert bei dem, was wir an öffentlicher Diskussion und öffentlichem Leben in Österreich vorgespielt bekommen. Wenn nicht jeder Schnaufer eines alten Baumeisters übertragen und kommentiert würde, wenn die Mikrofone und Kameras gesenkt würden, wenn einer wie er auftritt. Wenn die TV- und Radiogeräte dunkel und stumm blieben und die Zeitungen unverkauft.

Und wenn man dann einem wie Lugner nicht recht geben müsste, wenn er sagt "Der Kasperl gewinnt immer".

Meine Meinung - Raifffeisenzeitung, 18. Februar 2016

Donnerstag, 11. Februar 2016

Leiden an der Kritik



Kritik ist eine Kategorie, mit der man in Österreich, wiewohl ein Land der Raunzer und Besserwisser, nicht umgehen kann. Man motzt, man schimpft und meistens geht es nur darum, jemandem schlecht und klein zu machen. Kritik ist hierzulande meistens nichts anderes, als ein Ventil, um Wut abzulassen. Konstruktiv ist sie selten. Und wenn, wird sie ohnehin kaum als solche akzeptiert. Zumal dann, wenn man sich gar selbst in die Kritik genommen und genötigt sieht, sich damit auseinanderzusetzen. Da stellt man allemal lieber die Stacheln auf und flüchtet in Sätze wie "Wir lassen uns doch nicht unser schönes Land schlecht machen", als sich damit auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Wobei "Land" je nach Umfeld und nach Belieben mit "Stadt","Berufsstand","Unternehmen" oder was auch immer ersetzt werden kann. Hauptsache keine Kritik, scheint vielerorts das oberste Gebot zu sein.

Österreich hat nur eine sehr schlecht entwickelte Kritik-Kultur. Das gilt auf beiden Seiten. Kritik, wie sie in Österreich üblich ist, ist selten von Wertschätzung, Wissen und dem Bemühen getragen, etwas Positives zu einer Entwicklung beizutragen. Zum anderen werten Kritisierte jede Form von Kritik als einen Angriff auf die persönliche Integrität und blocken ab, wo es nur geht.

In diesem Umfeld ist vor allem die Fähigkeit zur Selbstkritik, die Fähigkeit, das eigene Tun und die eigene Arbeit kritisch zu bewerten und entsprechend zu korrigieren, in vielen Bereichen abhanden gekommen. Ganz besonders gilt das für die Politik. Dort nimmt das zwar nicht Wunder, zumal nirgendwo der Druck so groß ist, sich selbst zu profilieren und zu verteidigen und das eigene Handeln so positiv wie möglich dazustellen. Dem Land als Ganzes freilich gerät diese Kultur längst zu Schaden.

In der Politik ist es Usus geworden, aus dem Umfeld, in dem man arbeitet, Kritiker möglichst fernzuhalten. Viele Politiker neigen dazu, sich mit willfährigen Ja-Sagern zu umgeben, in der Meinung sich so Schwierigkeiten zu ersparen. Und wenn es gar nicht anders geht, redet man gerne von Nestbeschmutzern, um sich Luft zu verschaffen.

In vielen Bereichen hat man nicht zuletzt deswegen den Bezug zur Realität und die Verantwortung für die eigentlichen Aufgaben aus den Augen verloren. Schlechte Lösungen werden immer öfter für gute Politik gehalten, die Ankündigung von Maßnahmen für die Lösung von Problemen und die Zustimmung aus dem engsten Umfeld, das man sich selbst zurechtgezimmert hat, mit einer breiten Zustimmung aus der Bevölkerung verwechselt.

Beispiele für dieses Verhalten und die mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik gibt es in allen Bereichen. Von der kleinen Gemeinde, über die Länder bis hin zur Bundesregierung in Wien. Rudolf Hundstorfer, dem Realitätsverweigerung in Sachen Pensionssystem oder Arbeitsmarkt besonders oft vorgeworfen wurde, ist nur einer von denen, denen die Fähigkeit zur Selbstkritik entglitten zu sein scheint.

Inzwischen trägt das Land schwer an dieser Entwicklung. Denn Kritik und der Erhalt der Kritikfähigkeit sind die Triebfedern jeder Weiterentwicklung. In Österreich ist ihr Fehlen an allen Ecken spürbar. Sonst gäbe sich nicht nur die Politik, sondern wie es mitunter scheint das ganze Land, mit Wonne einer glücklichen Walzerseligkeit hin, die die Realität in der Welt immer öfter verkennt und sich immer noch für eine Insel der Seligkeit hält.

Kritik und der ehrliche Umgang damit sind für ein Land so wichtig, wie es Fitnesstraining für seine Bewohner wäre. Nur so kommt man zu richtigen Schlussfolgerungen und kann Konzepte und Lösungen entwickeln, die Österreich weiterbringen. Das wäre dringend nötig, wenn man nur daran denkt, wie Österreich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen international an Boden verlor, wie das Land in Rankings nach hinten durchgereicht wurde und welche Probleme sich auftürmen, die an der Zukunft zweifeln lassen können.

Eine Gesellschaft, die ihre Kritikfähigkeit verloren hat, die verlernt hat, konstruktiv Kritik zu üben und damit umzugehen und sich mit ihren Problemen offen und ohne parteipolitische Brille auseinanderzusetzen, setzt ihre Zukunft aufs Spiel.

Österreich leidet nicht an zu viel Kritik, sondern es leidet am falschen Umgang damit. Am falschen Umgang in der eigentlichen Bedeutung des Wortes "falsch", aber auch an jenem in der Bedeutung von "falsch" als "unehrlich".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. Februar 2016

Dienstag, 9. Februar 2016

Das Schnitzel sorgt für Brösel



„Die Gäste sollen auf der Speisekarte sehen, wo das Fleisch herkommt“, fordern die Bauern. Wirte und Hoteliers wehren sich gegen eine solche Herkunftskennzeichnung.

Hans Gmeiner

Wien. „Es soll auf der Speisekarte stehen, wo das Schnitzel herkommt, ob aus Österreich oder aus Rumänien oder von anderswo.“ Mit der Forderung nach einer Herkunftskennzeichnung von Fleisch und Eiern bringt Landwirtschaftskammerpräsident Hermann Schultes die Vertreter der Gastronomie auf die Palme. Vorbild für den obersten Bauernvertreter ist das Schweizer Modell, das von Wirten die Angabe der Herkunft der Produkte verpflichtend verlangt.

Als Schultes am Montag bei der Wintertagung des Ökosozialen Forums (Motto: „Billig gibt’s nicht, irgendwer zahlt immer drauf“) erneut diese Forderung stellte, kam aus der Wirtschaftskammer prompt ein „klares Nein zu dieser neuen Bürokratie-Keule für unsere Gastwirte“. Es sei legitim, sich einen höheren Absatz der eigenen Produkte zu wünschen, es könne aber nicht sein, „dass dafür die Gastronomen als ihre Abnehmer die Zeche in Form von weiteren Zwangsauflagen zahlen sollen“, ließ Fachverbandschef Mario Pulker die Bauernvertreter wissen. Michaela Reitterer, Präsidentin der Hoteliervereinigung, kann sich allenfalls eine Empfehlung vorstellen. „Aber machen wir bitte kein Gesetz.“

Die österreichischen Gastronomen braten in ihren Pfannen gern Fleisch aus dem Ausland. Allein im Gastro-Großhandel beträgt der Anteil von ausländischem Schweinefleisch rund 50 Prozent, sagt Hans Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse.

Den Bauern macht aber nicht nur das Einkaufsverhalten der Gastronomie zunehmend Probleme. Auch das Einkaufsverhalten der Konsumenten und des Handels empfinden sie sehr oft als doppelbödig. Während die Landwirtschaft selbst mit immer umfangreicheren und teureren Produktionsauflagen zurechtkommen muss, findet sich vor allem in den durch Aktionen forcierten Eigenmarken des Handels oft besonders viel Billigware aus dem Ausland. Zudem zähle bei den Konsumenten laut den Erfahrungen vieler Landwirte, gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, immer noch hauptsächlich der Preis.

Der Landwirtschaft stößt das angesichts der historisch schlechten Preise, die sie derzeit für ihre Produkte bekommen, sauer auf. Darum wirbt man mit Nachdruck um mehr Verständnis und wünscht sich mehr Wertschätzung für die heimischen Produkte. „Wer billig kauft, hat auch Umweltzerstörung, Sozial-Dumping und Tierleid im Einkaufswagerl“, sagte am Montag Stephan Pernkopf, Präsident des Ökosozialen Forums und Agrarlandesrat in Niederösterreich, bei der Wintertagung. „Diese Produkte können mit österreichischen Erzeugnissen, wenn es um Qualität und Nachhaltigkeit geht, nicht mithalten, drängen aber in vielen Bereichen heimische Bauern aus der Produktion.“

Bei Puten, Hühnern, Erdbeeren und auch pflanzlichen Ölen sei der Selbstversorgungsgrad in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Pernkopf betont: „Es ist paradox, dass just Putenfleisch, das vielen bewussten Konsumenten als besonders gesundes Fleisch gilt, inzwischen zu zwei Dritteln aus dem Ausland kommt.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 9. Februar 2016

Freitag, 5. Februar 2016

Schluß mit lustig



In Berlin, bemerkenswerterweise nicht bei der Grünen Woche, sondern bei einem Empfang der AMA und unter ausschließlich österreichischer Beteiligung, hob der Landwirtschaftsminister seine "Best of Austria"-Kampagne aus der Taufe, mit der er österreichischen Spitzenleistungen mehr Aufmerksamkeit geben will. Tags darauf forderte der Kammerpräsident, dass die Wirte die Herkunft der Produkte deklarieren sollen. Man lobte sich für die Exportinitiativen, feierte einen neuerlichen Exportrekord, erneuerte die Forderung nach einem Regulator für Lebensmittelpreise und geißelte den Handel. Wieder einmal.

Das ist ja alles schön und gut. Und notwendig auch und wichtig. Aber, und das wird gerne verdrängt und klein- und schöngeredet, die Art von Hilfe und Unterstützung, die die Bauern jetzt brauchen, ist das nicht wirklich. Denn davon können sie sich nichts abbeißen. Genau das aber brauchen sie jetzt. Echte Hilfe. Hilfe, die effizient ist und sofort wirkt. Maßnahmen, die sich unmittelbar auf dem Konto bemerkbar machen. Und nicht irgendwann in irgendwelchen Statistiken.

Nach vier Jahren mit Einkommensrückgängen steuert die Landwirtschaft auf das fünfte Jahr mit einem Minus zu. Die Preise bei Milch, Fleisch und Ackerfrüchten sind im Keller. Und nirgendwo ist Aussicht darauf, das es besser wird. Mit den Folgen des Russland-Embargos, das eigentlich eine Reaktion auf die EU-Maßnahmen ist, werden die Bauern ziemlich alleine gelassen. Dazu kommen die Einheitswerterhöhung, die damit oft einhergehende Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge und die Steuerreform, die den Bauern eher Nachteile als Vorteile brachte. Immer mehr Bauern haben dem Vernehmen nach Probleme, ihre Rechnungen zu zahlen.

Die Stimmung ist miserabel. Investitionsentscheidungen werden aufgeschoben. Verunsicherung hat sich in den Höfen breit gemacht, die jede Entwicklung hemmt.

Viele der Initiativen aus den vergangenen Jahren sind fraglos wichtig. Ob sie effizient im Sinne der Bauern sind steht freilich auf einem anderen Blatt. Genau das nämlich ist zunehmend in Zweifel zu ziehen. Die Wirkung von alldem, was da in den vergangenen Jahren hochgejubelt, angekündigt und gefordert wurde, blieb immer überschaubar - wenn es denn überhaupt umgesetzt wurde.

Messbar, zumal in Geld für den einzelnen Bauern, war es selten. Ganz abgesehen davon, dass vieles von dem, was als Maßnahme ergriffen wurde, viel zu langsam wirkt. Bis etwa der Export von Schweinefleisch nach China in die Gänge kommt, werden zwei Jahre vergangen sein. Ende 2014 wurde die Marktöffnung als politischer Erfolg, der Entlastung bringt, verkauft, frühestes heuer zu Jahresende wird davon aber tatsächlich etwas spürbar sein.

Und vieles von dem, was als finanzielle Hilfe und Entlastung angekündigt wurde, ist nichts im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die die Bauern haben. Die 14 Mill. Euro für sie sind nichts als Peanuts angesichts der Verluste, mit denen die Milch- und Schweinebauern zurechtkommen müssen. Von den Ackerbauern wird gleich gar nicht geredet.   

Für die Bauern ist Schluss mit lustig. Sie haben genug von den Beruhigungspillen. Sie brauchen etwas Zählbares und sie brauchen Perspektiven. Sie brauchen eine starke Agrarpolitik, die sich in der Gesellschaft entsprechend Gehör verschafft und den Bauern etwas bringt.

Nur daran ist die Agrarpolitik zu messen. Erst, wenn das gelingt, ist sie gut. Das ist keine einfache Aufgabe. Aber das ist die Anforderung. Wenn man das nicht schafft, muss man damit leben, für schwach gehalten zu werden.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land, 5. Februar 2016

Donnerstag, 4. Februar 2016

Fremdwort Verantwortung



Verantwortung zu fordern ist das eine, Verantwortung zu tragen das andere. Hierzulande ganz besonders. Und ganz besonders in der Politik. Bundeskanzler Werner Faymann lieferte vor dem Hypo-Untersuchungsausschuss ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Politik in diesem Land damit umgeht. "Der Bundeskanzler ist nicht der oberste Experte für alle Fragen der Republik" ließ er die Mitglieder des Untersuchungsausschusses wissen. Und: "Meine Aufgabe ist es, das Team zu führen". Da war nur zu spüren, dass er mit all dem nichts zu tun haben wollte. Gar nichts.

Bevor jemand einen Stein wirft - so hätte wohl jeder gehandelt. Und nicht nur Faymann. Ein anderes Handeln hätte Kopfschütteln ausgelöst in diesem Land und Verwunderung.

Ein Politiker, der sich vor der Verantwortung drückt, hat in diesem Land wenig zu befürchten. Das persönliche Risiko ist gering. Auch wenn mitunter Forderungen laut werden, sie persönlich und finanziell für manche ihrer Leistungen zur Verantwortung zu ziehen oder gar haftbar zu machen, haben sie praktisch nichts zu befürchten. Den Tatbestand "Schlechte Politik" gibt es nicht im Rechtssystem und ergo auch keinen Titel, Politiker so zur Verantwortung zu ziehen, wie man sich das zuweilen an Stammtischen und anderswo wünscht. Selbst dann nicht, wenn Budgets aus dem Ruder geraten, Arbeitslosenzahlen explodieren oder Probleme, wie der Umgang mit dem Flüchtlingsstrom, so eskalieren, dass viele dadurch die Zukunft des Landes gefährdet sehen. Amtshaftungsklagen oder gar Ministeranklagen sind rar wie eine Blaue Mauritius.

Und landet eine Politikerin oder ein Politiker doch einmal vor Gericht, dann hat das nie mit der Politik zu tun, für die sie zur Verantwortung gezogen werden, sondern mit Tatbeständen, die sie in ihrer Amtszeit setzten, die gegen Amtsvorschriften oder Strafrecht verstoßen. Oder sie verheddern sich in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen. Aber auch die stehen nicht mit ihrer Politik per se, sondern allenfalls mit ihrem Amt, ihrer Funktion und mit ihren persönlichen Handlungen, böse Zungen sagen wohl Machenschaften dazu, in Zusammenhang.

Das größte Risiko für eine Politikerin oder einen Politiker ist es, abgewählt zu werden und damit ein Amt zu verlieren. Wenn man dann strauchelt, kann der Fall ein tiefer sein. Dann gilt es für viele, die es nicht verstanden, beizeiten ein Netz aufzubauen, das sie auffängt, von vorne anzufangen. Das ist nicht einfach, mit solchen Situation freilich müssen immer wieder viele andere Menschen auch zurechtkommen.

In der Wirtschaft ist das nicht viel anders. Auch dort ist die Verantwortung von angestellten Managern zumeist überschaubar. In die Pflicht genommen können auch sie erst, wenn sie sich etwas zuschulden haben kommen lassen. Ansonsten können sie sich zumeist auf feine Abfertigungszahlungen verlassen und darauf, ohne große Konsequenzen anderswo wieder einzusteigen.

Selbst für Unternehmer, die mit ihrem eigenen Vermögen oft viel Risiko nehmen, hört sich die Verantwortung schnell auf, wenn es ums eigene Überleben geht. Da geht es dann oft nur mehr darum, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wenn man bei Mitarbeitern, Geschäftspartnern oder Banken verbrannte Erde hinterlässt, ist dann einerlei.

Verantwortung ist in Österreich etwas, was man nicht übernimmt. Gerne schon gar nicht. Weitaus lieber schiebt man sie möglichst weit von sich und drückt man sich davor. Das gilt nicht nur für die genannten Kreise, das gilt für die gesamte Gesellschaft. Und das gilt zumeist vor allem für die, die besonders gerne und oft voller Vorurteile mit den Fingern auf andere zeigen und denen sie vorwerfen, sich um die Verantwortung zu drücken - auf Politiker, Unternehmer und Manager, auf Menschen am Rand der Gesellschaft, auf Arbeitslose oder auf Flüchtlinge.

Dabei agieren sie nicht selten genau so, wie sie meinen es anderen vorwerfen zu müssen. Wenn etwas nicht läuft, wie es laufen sollte, machen genau diese Leute schnell lieber alle anderen eher für etwas verantwortlich, als sich selbst. Verantwortung abzuschieben ist zur Lebenskultur geworden in allen gesellschaftlichen Bereichen. Man hat sich angewöhnt, die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben und fordert von der Gesellschaft Verständnis, Unterstützung und Hilfe.

Die Kultur müsste wohl eine andere sein. Es gälte Verantwortung einzufordern. Von allen.

Wer freilich das tut, hat wohl schlechte Karten in diesem Land.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Februar 2016
 
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