Donnerstag, 25. Juni 2015

Land mit "Kultur"



Er verdient fast 9.000 Euro im Monat, er zahlt 286 Euro für eine Wohnung im Zentrum Wiens. Inklusive Betriebskosten. Und er denkt sich nichts dabei. "Ich habe eine Frau und drei Kinder", sagt der Spitzengewerkschafter. "Ich bezahle sicher nicht 1.000 Euro für eine Wohnung." Er ist nicht der einzige. Nur wenige Tage zuvor wurde ruchbar, dass sich der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft im Einfluss der Stadt Wien zu Schnäppchenpreisen geförderte Wohnungen als Anlageobjekte zugelegt hat. Und seit Jahren ist, ohne jede Konsequenz, bekannt, dass der Grüne Abgeordnete Peter Pilz in einem billigen Gemeindebau wohnt. Diese Aufzählung ist ganz gewiss nicht vollständig. Und diese Aufzählung hat ganz gewiss nichts mit der Parteizugehörigkeit zu tun. Die Aufzählung zeigt nur, wie dieses Land tickt. Man wundert sich, dass auch heute noch vielen Politikern und anderen Leuten in der Öffentlichkeit jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit fehlt. Dass sie nicht genug kriegen können. Dass sie glauben, sich alles nehmen zu können und auf alles einen Anspruch zu haben.

Die genannten Herren tun nichts Ungesetzliches, aber sie nutzen alle Möglichkeiten bis zum letzen Punkt und bis zum letzten Komma aus. Dass das mitunter oft gar nichts mehr mit irgendeiner Moral zu tun hat, auch nicht mit einer, die man sonst gerne auf Rednerpulten oder sonstwo in der Öffentlichkeit vorführt, kehrt man dabei tunlichst unter den Tisch.

Man möge sich aber hüten mit den Fingern auf die Herren zu zeigen. Was sie tun, ist Kultur in diesem Land. Nehmen, was zu kriegen ist. Je mehr, desto besser. Man will ja nicht als der Dumme dastehen. Wer sich nicht darauf versteht, gilt in vielen Kreisen nicht viel. Viele würden wohl genauso handeln wie der Gewerkschafter, manche wohl auch so wie der Wohnbau-Manager und nicht wenige würden es halten wie Peter Pilz. Böte sich nur eine entsprechende Gelegenheit. Nicht nur, wenn es um Wohnungen geht. Auch wenn es um Beihilfen geht, um andere Vergünstigungen, um Schnäppchen und um Gelegenheiten.

So ist es in Österreich. Viel zu oft und schon viele zu lange. Und längst ist vieles von dem, was einst als sinnvolle soziale Idee durchgesetzt wurde, nichts denn eine sündteure Last geworden, die mittlerweile schwer auf den öffentlichen Haushalten lastet und die Österreich zu einem Höchststeuerland gemacht hat. Tief sind die Abgründe der Geldverschwendung, die sich da auftun, wenn es sogar Höchstverdienern, wie dem Spitzen-Gewerkschafter, möglich ist, auf ganz legalem Weg zu einer geförderten Sozialwohnung zu kommen. Denn in anderen Bereichen ist es nicht viel anders. Bei der Wohnbauförderung, beim Kindergeld, bei den Pensionen, bei der Arbeitslosen. Und, und, und. Diese überbordende Unterstützungs-und Förderungspolitik hat viele Fehlentwicklungen verursacht. Da werden oft Millionen und Abermillionen gebunden, die anderswo und für andere sehr viel notwendiger wären und dort fehlen. Weil Leute wie der Spitzen-Gewerkschafter mit 9.000 Euro im Monat genauso darauf Anspruch haben wie die kleine Putzfrau. Weil den Wohnbau-Manager niemand bremst. Und weil der Herr Nationalratsabgeordnete, der seit Jahrzehnten den Moralapostel in diesem Land gibt, bei sich selbst andere Maßstäbe anlegt. Da nimmt nicht Wunder, dass es allerorten an Geld fehlt und die Staatskassen leer sind.

Oft scheint Politik hierzulande nur mehr für Politiker Sinn zu machen, die sich gerne als Wohltäter zeigen. Der Brief eines Politikers im Gefolge eines positiven Bescheides einer Behörde, in dem er darauf verweist, dass er für die Leistung verantwortlich ist, ist in diesem Land ganz normal.

Dieser Kultur wird kein Einhalt geboten. Ganz im Gegenteil. Sie wird gefördert und nach Kräften unterstützt. Man will ja schließlich keine Wählerstimme liegenlassen. Dass das längst an das, was gemeinhin als Wahnsinn gilt, grenzt, nimmt man dafür ohne mit der Wimper zu zucken in Kauf.

Ob dieser Kultur hat das Land längst jeden Spielraum verloren. Längst erzeugt sie mehr Unzufriedenheit, als die Befriedigung darüber

ausmacht, da und dort ein paar Euro bekommen zu haben. Und längst richtet sie mehr Schaden als Nutzen an.

Aber niemand hat die Kraft, hier gegenzusteuern. Und niemand hat den Mumm dazu. Die Gründe dafür mögen angesichts des Gegenwindes, der dabei entsteht, verständlich sein. Zu akzeptieren sind sie nicht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Juni 2015

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