Donnerstag, 4. Dezember 2014

Wir Unkalkulierbaren



Euphemismen nennt man sprachliche Ausdrücke, die einen Sachverhalt beschönigen und mildern, wenn nicht gar in verschleiernder Absicht benennen. Solche Euphemismen haben in diesen Tagen, wo allerorten Meldungen von einer einbrechenden Wirtschaft kursieren oder, wo man, wie in der SPÖ, brüskierende Wahlergebnisse zu vermelden hat, Hochkonjunktur.

Unangenehmes wird möglichst schmeichelweich unter die Leute gebracht. Von "Minuswachstum" redet man jetzt gerne, wenn die Konjunkturforscher einen ein Schrumpfen der Wirtschaft vorhersagen, von "Marktbegleiter", wenn man die Konkurrenz verniedlichen will, und von "Freisetzung von Mitarbeitern", wenn man Kündigungen plant. Und ein österreichischer Top-Manager in italienischem Sold ließ jüngst nicht mit den von ihm ansonsten gewohnten Zuwachszahlen aufhorchen, sondern damit, dass er eine "Verlangsamung der Märkte um bis zu 15 Prozent" befürchte.

Verharmlosender kann man kaum sagen, dass man große Schwierigkeiten erwartet.

Unerreicht freilich ist in diesen Tagen der Sager von SP-Klubobmann Andreas Schieder vom "Oberwasser, an dem man sich auch verschlucken" könne im Zusammenhang mit Faymanns magerem Ergebnis bei der Wahl zum SP-Parteiobmann. So kann man die 83,9 Prozent auch "ganz normal" sehen. Man ist wohl dankbar, dass Faymann die mehr als 90 angepeilten Prozent gar nicht bekommen hat. Denn dann hätte er sich möglicherweise doch glatt verschluckt und wäre vielleicht heute gar nicht mehr. Wenn Euphemismen grassieren, ist höchste Vorsicht geboten. Man will etwas verstecken, man will etwas nicht zugeben, man will etwas verschleiern. So nimmt nicht wunder, dass in einem Land, in dem vieles schief läuft, Kultur geworden ist, die Dinge nicht beim Namen zu nennen. Man scheut die Reaktionen auf allzu direkte Äußerungen und Ankündigungen, zumal dann, wenn sie Belastungen, Einschränkungen, Streichungen oder das Eingestehen eigener Fehler bedeuten.

Man hat gelernt, dass dafür bestraft wird, wer allzu unverblümt die Wahrheit ausspricht. Längst hat man sich in eine Welt der Euphemismen geflüchtet, um bei den potentiellen Wählerinnen und Wählern möglichst gut dazustehen und dabei mitunter den Bezug zur Wirklichkeit und ihren Anforderungen verloren. Zu verdenken ist den Verantwortlichen das nicht, weiß man sich damit doch auf der sicheren Seite -die Leute schätzen das. Für viele freilich sind die Folgen der ewigen Schönfärberei längst unerträglich geworden. Was, von dem, was erzählt wird, fragen sie sich, stimmt und was nicht? Wie ist es wirklich einzuordnen? Und worauf muss man sich einstellen? Die Menschen sind zunehmend überfordert damit.

Wie auf der einen Seite der Trend zu Euphemismen zur Plage geworden ist, wächst auf der anderen Seite der blinde Alarmismus, den die Tendenz zur Verniedlichung und Schönfärberei nachgerade herausfordert. Er warnt vor allem und jedem und vermutet überall Betrug und Untergang. Das freilich macht es um keinen Deut leichter.

Im Verein nähren die beiden Tendenzen nichts als die Politikverdrossenheit. Man hat genug davon, sich mühsam im Dschungel schmeichelweicher Formulierungen und übertriebener Warnungen und Vorhaltungen Orientierung verschaffen zu müssen. Immer seltener will man Zeit dafür aufwenden, wo sich allzu oft am Ende doch herausstellt, das man der Geleimte ist. Da lässt man's lieber gleich bleiben und geht seiner Wege.

Vor diesem Hintergrund nimmt die Sehnsucht nach klaren Worten und nach klaren Handlungen markant zu. Nicht zuletzt deshalb, weil die Menschen spüren, dass ihnen etwas vorgemacht wird und dass viele Dinge falsch laufen. Der Politik fehlt dennoch der Mumm zu handeln. Viel lieber setzt man darauf, alles weich und klein zu reden, weiß man doch, das der - um beim Thema Euphemismus zu bleiben - "politische Mitbewerb" auf nichts anders wartet und klare Worte sofort seinerseits mit Alarmismus abstraft.

Längst hat man in diesem Spiel die Realität aus den Augen verloren und ist auf diese Weise in eine Kunstwelt geraten, die der wirklichen Welt und ihren Anforderungen entgegensteht.

Den Knoten aufzulösen scheint unmöglich. Nicht zuletzt, weil auch wir Bürgerinnen und Bürger dazu neigen, nach unserem Gusto und unseren Bedürfnissen zwischen den Euphemismen und Übertreibungen hin und her zu schalten und uns damit selbst unkalkulierbar und zur Bremse jedweder Entwicklung und notwendiger Maßnahmen zu machen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Dezember 2014

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1