Donnerstag, 13. November 2014

Verlorenes Maß



Derzeit sind es die Wirte dieses Landes, die mit der Bürokratie und dem Schicksal, das sie ihnen beschert, hadern. Ab Dezember müssen sie ihre Gäste über die allergenen Inhaltsstoffe in den von ihnen aufgetischten Gerichten informieren. Ein zusätzlicher Aufwand an Zeit, Geld und Papier, den sie sich gerne ersparen würden, meinen sie, ohnehin schon genug gegängelt zu werden.

So wie den Wirten geht es immer wieder ganzen Berufs- und Bevölkerungsgruppen in diesem Land. Allerorten ist das Wiehern des Amtsschimmels längst zum nervigen Dauerthema geworden. Und das nicht nur, weil die vielen Vorschriften lästig sind und jede Menge Nerven, Zeit und Geld kosten, sondern auch deswegen, weil man sich immer leichter in ihnen verheddert, gibt es doch fast nichts mehr, wo man nicht etwas falsch machen und entsprechend bestraft werden kann. Die Fallen, in die man selbst als um Korrektheit bemühter Bürger tappen kann, werden immer mehr. Die Vorschriften werden immer komplexer und detaillierter und die Kontrollnetze immer engmaschiger. Mitunter so engmaschig, dass sich der Verdacht aufdrängt, sie seien nichts als Beschäftigungstherapie für Beamte, auf dass sie um die Häuser ziehen können.

Da nimmt nicht wunder, dass der Ärger zunimmt. Man ist immer weniger gewillt, Entscheidungen und Bescheide von Behörden hinzunehmen, zumal dann, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Der enorme Anstieg der Beschwerden bei der Volkanwaltschaft ist einer der Belege dafür. Knapp 20.000 Bürgerinnen und Bürger wandten sich im vergangenen Jahr an die Einrichtung, die ihnen zum Recht verhelfen soll, wenn sonst nichts mehr scheint helfen zu können. Um 27 Prozent mehr Beschwerden als im Jahr zuvor waren das.

Auch in der Wirtschaft wird die Klage immer lauter. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte der Wiener Management-Club eine Umfrage, derzufolge 80 Prozent der Unternehmer der Überzeugung sind, dass sich die Rahmenbedingungen verglichen mit den vor fünf Jahren gültigen deutlich verschlechtert hätten. Und das obwohl Verwaltungsvereinfachung und Bürokratie-Abbau seit Jahren ganz oben auf der politischen Agenda und, wenn schon nicht das, so doch auf der Liste der politischen Versprechungen stehen.

Vor allem die höheren Kosten , der höhere Zeitaufwand und der erhöhte Ressourceneinsatz, den die Bürokratie verlangt, sind es, die von den Führungskräften der Unternehmen beklagt werden. Dabei geht es oft ans Eingemachte und an die Substanz der Unternehmen. "Drei Viertel der Führungskräfte melden einen höheren Personaleinsatz, bei fast zwei Drittel dämpfen überbordende Verwaltung und Gesetzgebung die Investitionstätigkeit aus", schreibt die Tageszeitung "Kurier"."Mehr als 90 Prozent der Führungskräfte erklären, dass die rechtlichen und verwaltungsmäßigen Rahmenbedingungen Investitionen eher behindern bzw. verzögern und verteuern." Am meisten stöhnen die Unternehmen demnach unter langwierigen und komplexen Bauverfahren, unter der Finanzmarktaufsicht, unter Arbeitszeitregelungen und so Unsinnigkeiten, wie Vorschriften für Parkplatzbeleuchtungen, denen oft eine überproportional hohe Bedeutung zugestanden werde.

Die Zustände sind in vielen Bereichen schlimm und zum Erbarmen. Sie haben aber auch, das ist die andere Seite, mit dem wachsenden Anspruchsdenken aller Beteiligten zu tun. Etwa mit der wachsenden Präpotenz bei der Planung und Umsetzung von Projekten, die am liebsten gar keine Rücksicht auf irgendjemand nehmen würden und die oft nur mit rigiden Vorschriften unter Kontrolle zu bringen sind. Oder damit, dass sich immer irgendein Anwalt darauf versteht, für seinen Mandanten, der wegen einer zu schlechten Parkplatzbeleuchtung gestolpert ist und sich verletzt hat, Körberlgeld zu holen. Oder damit, dass allenfalls als Kavaliersdelikt gilt, mit ein paar nicht ganz der Wirklichkeit entsprechenden Angaben in den Genuss irgendeiner Sozialleistung zu kommen - schließlich will doch niemand als Draufzahler da stehen, und als ungeschickt, weil er oder sie sich nicht darauf verstand, einen möglichen Vorteil zu nutzen.

So betrachtet ist die Regulierungswut nicht nur Bosheit, sondern auch Reaktion auf die Kultur gewordene Gier der Gesellschaft und darauf, dass ihr längst das Maß abhanden gekommen ist. Viel eher, als aufs immer Neue den wiehernden Amtsschimmel zu beklagen, ist vieleicht daran zu arbeiten, genau das wieder zu finden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. November 2014

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