Dienstag, 29. Juli 2014

"Lebensmittel waren noch nie so sicher"



Konsumenten werden mit Qualitäts- und Herkunftssiegeln überfordert. Das müsse nachvollziehbar werden, sagt Michael Blass von der Agrarmarkt Austria.

Hans Gmeiner 


Alte Zöpfe abschneiden will Michael Blass, Chef der AMA-Marketing, in der heimischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Die zahllosen, oft parallelen Kontrollen sollen effizienter werden und gern verwendete Schlagworte wie Genuss, Regionalität oder Qualität nachvollziehbar gemacht werden.

Essen ist Zeitgeist. Und damit auch die Beschäftigung mit Lebensmitteln. Auf der einen Seite stehen immer mehr Aufwand, immer höhere Ausgaben, immer mehr Ansprüche an die Produzenten. Auf der anderen Seite immer größerer Kostendruck, immer mehr Billigware. Wie erklären Sie den Widerspruch? 


Blass: Wir leben in einer globalisierten Welt, in der alles überall verfügbar ist. Da wächst als Reaktion darauf die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Authentischen. Die Menschen gehen ins Haubenrestaurant und am nächsten Tag zum Würstlstand, weil beides gut ist. Eingefahrene Gleise haben weniger und weniger Bedeutung. 

Die Landwirtschaft tut sich schwer damit.

Dort leidet man darunter, dass als vermeintlicher Anker idealisierende Idyllen konstruiert werden, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die wachsende Entfernung zwischen den romantisierenden Bildern und der Realität agrarischer Wertschöpfung schmerzt die Landwirtschaft. Die Bauern wollen diese Parallelwelt in ihrer Kommunikation zum Thema machen. Ich halte das für sehr wichtig.

Woran ist festzumachen, dass Österreichs Produkte gut sind? Auf der ganzen Welt sagt man doch, man hat die besten Produkte? 

Sie haben recht, so argumentieren alle. Aber diese Art von Kommunikation ist zu kurz gegriffen. Wir müssen einen Schritt weitergehen. Das Besondere der Lebensmittel aus der österreichischen Landwirtschaft besteht darin, dass sie in unserer Nähe, für uns nachvollziehbar und damit authentisch erzeugt werden. Damit ist die Landwirtschaft ein tragender Pfeiler der österreichischen Identität. Damit kann man punkten. 
Zuweilen hat man den Eindruck, dass unscharf argumentiert wird. Regional schlägt Bio, heißt es laut Umfragen. Bei Bio weiß man, was es ist, aber was ist regional? 
Regional ist ein sehr sympathisches Schlagwort. Aber jeder, der es verwendet, muss erklären, was für ihn regional bedeutet. Wer das nicht tut, wird keinen nachhaltigen Erfolg haben. Es gibt viele Konzepte von Regionalität. Entscheidend ist die Erzeugung und Verarbeitung eines Lebensmittels am selben Ort. Konsum ist davon losgelöst.

Seit geraumer Zeit steht eine Ausweitung des AMA-Gütesiegels in Diskussion. GVO-Freiheit als Voraussetzung wird gefordert, was ist mit Regionalität und Tiergerechtigkeit? 

Daran arbeiten wir. Diese Erweiterung wird in Form eines modularen Systems kommen. Wir wollen die Pläne innerhalb der nächsten Monate umsetzen und sind derzeit bei der Abstimmung mit allen Beteiligten.

Das AMA-Gütesiegel wird als Leuchtturm der österreichischen Qualitätspolitik bezeichnet. Die Anteile sind aber relativ gering, ein Problem? 

Je höher verarbeitet die Produkte sind, desto geringer die Anteile des AMA-Gütesiegels, je frischer und weniger verarbeitet die Lebensmittel sind, desto höher ist der Anteil. Das größte Angebot an Gütesiegel-Erzeugnissen haben wir bei Molkereiprodukten, Obst und Gemüse und bei Eiern. Da liegen die Anteile zwischen 60 und 90 Prozent. Auch beim Fleisch ist der Anteil mit 40 Prozent relativ hoch. Unser neues Biosiegel setzt sich durch, die Handelsketten sind wichtige Partner der AMA. Immer bedeutender werden auch das Gastro-Siegel und das Handwerksiegel, die noch sehr jung sind.

In einen Geflügelfleisch-Skandal, in den ein heimischer Verarbeiter in Deutschland verwickelt war, war auch ein österreichischer AMA-Gütesiegel-Landwirt involviert? 

Die Probleme, die aufgetreten sind, werden sehr genau analysiert. Es geht darum, die Qualität und die heimische Geflügelproduktion zu sichern. Wenn das nicht gelingt, sind wir auf Import-Geflügel angewiesen, das oft unter Bedingungen erzeugt wird, die niemand von uns möchte.

Neben dem AMA-Gütesiegel machen sich Handelsmarken und eine Vielfalt von Zeichen breit. Die Konsumenten sind verwirrt. Sie fordern Selbstdisziplin. Reicht das? 

Vor allem bei Frischeprodukten nehmen Konsumenten an, dass sie in Österreich hergestellt wurden und auch der Rohstoff aus Österreich stammt, wenn auf einem solchen Lebensmittel Rot-Weiß-Rot prangt. Das ist aber nicht immer der Fall. Sicherheit gibt nur das AMA-Gütesiegel. Dafür legen wir die Hand ins Feuer, das kontrollieren wir, engmaschig und unabhängig. 
Es gibt im Marketing und in der Werbung, aber auch in der Kontrolle sehr viele parallele Strukturen, die oft verschiedene Konzepte verfolgen. Sehen Sie da Handlungsbedarf? 
Alle Betriebe in der Lebensmittelwirtschaft, vom Bauern bis zu den Betrieben auf der höchsten Verarbeitungsstufe, klagen über die Vielzahl an Kontrollen, die enorme Ressourcen in Anspruch nehmen. Kontrollintensität oder Kontrolltiefe sind für viele der Erzeuger nicht mehr nachvollziehbar.

Was kann man verbessern, ohne Einbußen bei Sicherheit und Qualität hinnehmen zu müssen? Kontrollen kombinieren, Kontrollstandards vereinheitlichen und gegeneinander abgleichen sowie Kontrollen gegenseitig anerkennen. Es gibt aber große Widerstände, vor allem von Kontrollunternehmen. Da geht es schließlich um ein Geschäft mit Riesensummen. Ein Futtermittelhersteller sagte einmal: Wenn du heute eine Kontrollfirma hast, ist das wie eine Lizenz zum Gelddrucken.

Parallelstrukturen gibt es aber auch in Werbung, Marketing und Vermarktung? 

Defizite haben wir beim Umgang mit den vielen Marken, die es in der Landwirtschaft gibt. Es gibt Organisationen, die stehen beispielsweise für eine Region. Es gibt Organisationen, die stehen für Kontrolle. Es gibt Organisationen, die stehen für Qualität. Jetzt wäre ein guter Moment, das einmal klar zu definieren.

Wie? 

Ich glaube, es ist hoch an der Zeit, dass diese vielen Versprechen für Genuss, für Regionalität, für Qualität nachvollziehbar gemacht und deren Maßstäbe offengelegt werden. Das gilt etwa für die Genussregionen, die mit dem sympathischen Auftritt großartige Leistungen erbracht haben. Ergänzend braucht es ein effizientes und glaubwürdiges System der Verifizierung.

Die Angst vorm Essen war noch nie so groß. Zu Recht? 

Das Angebot war noch nie so groß und so unübersichtlich. Aber die Lebensmittelsicherheit, und das bestätigt die Wissenschaft, war noch nie so hoch wie heute. Das größte Risiko sind wir selbst, ist unser Konsumverhalten: das Zuviel, das Zuoft. 

Zur Person Michael Blass ist seit 2013 Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria Marketing. Der Jurist war zuvor Geschäftsführer des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie. 

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 29. Juli 2014

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