Donnerstag, 24. April 2014

Besorgniserregende Sorglosigkeit



Krise? Ist da was? Ganz offensichtlich nicht. Man scheint allerorten Frieden mit sich und der vor wenigen Jahre noch als so bedrohlich empfundenen Währungs-und Weltwirtschaftskrise gemacht zu haben. Man hat gelernt damit zu leben, zumal dann, wenn sie einen, wie in Österreich die meisten, kaum berührt. Was soll man auch tun? Ärgern vielleicht, protestieren auch, sich den Weltuntergangspropheten hingegeben. Aber im täglichen Leben? Da sind die Möglichkeiten beschränkt. Wie soll man auf etwas reagieren, was man nur aus dem Fernsehen kennt, aber nicht aus dem eigenen Leben und Erleben? Also am besten so weitermachen wie bisher, weil zu Tode gefürchtet, heißt es doch so schön, ist auch gestorben.

Wenn das die Menschen in Neusiedl tun, die in Kötschach-Mauthen und die in Flirsch am Arlberg ist das verständlich und akzeptabel. Wenn das aber die Verantwortlichen in Politik und Finanz in Wien, Frankfurt und Brüssel tun, dann wohnt dem freilich eine ganz andere Brisanz inne.

Und zuweilen scheint der Unterschied in den Verhaltensmustern tatsächlich marginal zu sein. Achselzucken ist die Reaktion, der man sich auch dort verschrieben zu haben scheint, wo eigentlich die Macht läge, gegenzusteuern. Ratlosigkeit ist zur akzeptierten Strategie geworden. Schönreden. Und Aussitzen. Das vor allem.

Man hat immer noch kein nachhaltiges Rezept gegen die Krise gefunden und weiß nicht, wie man sie in den Griff kriegen könnte. Die Milliarden verpuffen, die niedrigen Zinsen bewirken keinen Aufschwung, die Wirtschaft fasst kein Vertrauen und keinen Mut. Dass die Welt noch steht und auch Europa, scheint zu genügen.

Man hat sich ganz offensichtlich arrangiert. Gut, Griechenland und die Menschen dort hat es erwischt, bei einigen, wie Italien und Frankreich weiß man nicht recht, wie's weitergeht. Aber andere, wie Irland und Portugal haben es ja geschafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und sogar Griechenland ist es gelungen, wieder eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt zu platzieren. Die unzählbar gewordenen Milliarden an Haftungen und Verbindlichkeiten, die sich dabei angehäuft haben, die ebenso unzählbar gewordenen Milliarden, die man in das marode Finanzsystem gepumpt hat, um es am Leben zu halten? Das rührt niemand mehr. Und die Ukraine? Auch die nicht. Es wird schon nichts passieren.

Selbst die Wutbürger haben sich verlaufen. Statt Angst und Panik macht sich längst wieder Sorglosigkeit breit. In Europa und in Österreich auch.

Mehr als acht Prozent Arbeitslosigkeit rühren niemand mehr, man freut sich riesig, wenn das BIP um Nullkommairgendwas wächst und wenn die Entwicklung der Staatsschuld keine so grausigen Werte liefert, wie die der maroden EU-Staaten im Süden Europas. Das Verständnis für Spar-Maßnahmen, man verfolge nur die jüngste Diskussion um das Schulwesen oder Heer, hat sich längst wieder verflüchtigt. Man gibt sich allemal wieder lieber dem hin, was man seit jeher gewohnt ist. Man hat keine Scheu immer neue Forderungen aufzustellen und setzt, wie über Jahrzehnte üblich geworden, alle Kraft darein, Reformen hinauszuschieben. Am besten bis zum St. Nimmerleinstag - ganz so, als ob alles in bester Ordnung wäre. Der Staatshaushalt, die Wirtschaftslage, der Arbeitsmarkt.

Da nimmt nicht wunder, dass die Sorge über diese rasant wachsende Sorglosigkeit wächst. Vor allem in Wirtschaftskreisen, vor allem in den Chefetagen von international tätigen Unternehmen. voestalpine-Chef Wolfgang Eder schlug - wieder einmal -Alarm, OMV-Chef Gerhard Roiss tat es und viele andere auch. "Es ist unglaublich, wie man in den vergangenen Jahren gelernt hat, selbst große Probleme einfach unter den Teppich zu kehren", wunderte sich etwa ein hochkarätiger Manager aus der Textilindustrie. "Heute redet man bereits von Wachstum, wenn das Bruttoinlandsprodukt um eine halbes Prozent zulegt, früher hätte man da von Krise gesprochen."

Auch in der Wissenschaft wachsen die Sorgen über die Sorglosigkeit. "Es gibt kein Anzeichen, dass es wirklich aufwärts geht, das ist alles Fantasie" sagt der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck in einem Interview. "Wir haben ja die Rezession noch nicht überwunden", sagt er dort. Und die Frage, ob wir das Schlimmste bereits hinter uns hätten oder ob noch was komme, beantwortet er ohne Umschweife mit "Letzteres".

Aber das rührt wohl niemanden. Wohl, weil es der bequemen Sorglosigkeit quer käme.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. April 2014

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