Donnerstag, 6. März 2014

Kollateral-Versagen



Noch im vergangenen November empfing Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer den nunmehr in aller Welt als gierigen, korrupten und brutalen Despoten verachteten und geschmähten Viktor Janukowitsch als Präsident der Ukraine mit allen militärischen Ehren. Und vor drei Wochen kriegte man sich schier gar nicht mehr ein, als Russlands Präsident Putin im Österreicher-Haus in Sochi einkehrte.

Heute tut man entrüstet und aufgeregt und wer auf sich hält, hat "eh immer gewusst, wie es kommen wird".

Heinz Fischer und das restliche Österreich sind nicht die einzigen, die die politischen Vorgänge rund um die Ukraine schlecht aussehen lassen. Statt sich ernsthaft zu interessieren, malte man sich allerorten mit im Westen bekannten Figuren wie dem Boxweltmeister Vitali Klitschko oder der ehemaligen Freiheitsheldin Julia Timoschenko ein Bild zusammen, das freilich wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Mangels Wissen um Zusammenhänge und Fakten waren es die Muster der Seitenblicke-Gesellschaft und des Boulevards, die die Beurteilung der Lage in Kiew bestimmten. Ganz so, als wäre die Welt ein Groschenroman.

In den westlichen Regierungsstuben und Redaktionen bog man sich die Interpretation der Vorgänge in der Ukraine schier nach Belieben und viel zu oft den Erfordernissen der Auflagen und Einschaltquoten entsprechend zurecht. Die tatsächlichen Verhältnisse und die Zusammenhänge in dem Land, die vielschichtigen Wechselwirkungen mit Russland und die Winkelzüge des Herrn im Kreml hingegen spielten kaum eine Rolle.

Wie sollten sie auch, es wusste auch kaum jemand Bescheid darum. Die Folgen sind dramatisch. Selten wurde die Situation in einem Land so falsch eingeschätzt, wie die Entwicklung der Ukraine in den vergangenen Monaten. Diplomatie, Wissenschaft und Medien versagten auf der ganzen Linie.

Man war ganz offensichtlich auf beiden Augen blind. Und das nicht nur, weil man unter allen Umständen den Spagat zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Erfordernissen hinbringen wollte, ohne es sich mit irgendjemandem zu verscherzen. Die Wirklichkeit der Politik, zumal jener von Leuten eines Kalibers von Janukowitsch oder gar Putin, wurde einfach negiert, weil sie im Westen niemand in den Kram passte und auch als nicht statthaft gilt.

Um so größer war die Betroffenheit, als die sich in eine freie Ukraine hineinträumende Welt am vergangenen Wochenende in aller Brutalität von Putin zurückgeholt wurde. Spätestens damit mussten auch die letzten Ukraine-Romantiker zur Kenntnis nehmen, dass Politik sehr viel mehr ist als simple fette Schlagzeilen, anrührende Geschichten und ein paar harsche Worte - nicht nur in der Ukraine, sondern überall.

Die Ukraine-Krise zeigt, dass die Welt nicht so einfach ist, wie wir sie gerne hätten. Und sie ist schon gar nicht so einfach, wie sie vom Boulevard und von populistischen Politikern dargestellt wird. Einfache Interpretationen führen viel zu schnell zu falschen Schlüssen und von dort geht es unmittelbar in Richtung falsche Entscheidungen. Am Ende stehen, wie jetzt in der Ukraine, oft desaströse Zustände.

Nicht nur die Ukraine und die Menschen dort leiden darunter. Unter diesem Mechanismus, der sich längst in unser aller Leben eingeschlichen hat, leiden wir alle. Im öffentlichen, wie im privaten Leben. Wissen zählt nicht mehr, Geduld auch nicht, Fakten nicht und auch nicht Bedacht. Alles muss schnell und laut gehen. Wer zögert, gilt als Verlierer, wer Informationen auf den Grund geht, als Bremser, wer nachfragt, als Pedant. Was den Wünschen entgegensteht, wird ignoriert. Etwas schön zu reden gilt als Tugend. Was zählt sind Umfrageergebnisse und Quoten. Charakter ist längst keine Kategorie mehr.

Der Druck wächst allerorten. Immer weniger können und wollen sich ihm entziehen. Man ergibt sich den einfachen Lösungen und scheut sich, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Eine taugliche Basis ist das freilich nicht. Nicht im privaten und beruflichen Leben und schon gar nicht in der Politik. Da wie dort geht es zumeist ganz anders und viel differenzierter zu, als man es haben möchte. Da ist mit Seitenblicken, billigem Populismus und Boulevard wenig anzufangen. Das steht man schnell so da wie unser Herr Bundespräsident mit dem ukrainischen Despoten und das ganze Land mit dem russischen Präsidenten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. März 2014

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