Donnerstag, 26. September 2013

Gewählter Euphemismus



Auch wenn man Spindelegger, Faymann, Strache, Glawischnig, Stronach und wie sie alle heißen derzeit kaum zu entkommen vermag, es sind nicht Köpfe, die am kommenden Sonntag gewählt werden. "Nationalratswahl“ steht auf der amtlichen Mitteilung, die in den vergangenen Wochen an alle wahlberechtigten Österreicherinnen und Österreicher geschickt wurde. Gewählt wird die Vertretung des Volkes, deren Aufgabe in diesem Land die Gesetzgebung ist.

Dass es dennoch nur um Spindelegger, Faymann und die anderen ad personam geht, drückt freilich die tatsächlichen Verhältnisse aus. Der Nationalrat ist in den vergangenen Jahren allzu oft von den Ministerbüros und Parlamentsklubs zur reinen Abstimmungsmaschine gemacht oder von den Parteien als Bühne für politische Auftritte missbraucht worden. Die Sondersitzungen in der vergangenen Woche sind ärgerlicher Beleg dafür. "Hier in diesem Haus werden einem die letzten demokratischen Illusionen genommen“, zog in der Vorwoche der einstige Gewerkschaftsboss Wilhelm Haberzettel ganz persönlich Bilanz über seine Jahre im Parlament. Das ist bitter. Und es ist beschämend für das politische Systems Österreichs.

Da verwundert nicht, dass das Image des Nationalrates seit Jahren leidet. Noch kein Jahr alt ist die Umfrage des IFES-Institutes, der zufolge nur ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher mit dem Nationalrat und seiner Arbeit zufrieden sind.

Die Gründe dafür sind vielfältig, die Mängelliste ist lang. Dass der Nationalrat auch gerne als Volksvertretung bezeichnet wird, ist nichts als ein Euphemismus. Struktur und Bedürfnisse des Volkes spiegelt er nicht wider. Viel eher gleicht er einem Sammelsurium an Lobbyisten und Berufspolitikern, die den Interessen ihrer Parteien und den dahinter stehenden, respektive den am meisten Stimmen versprechenden, Gruppen zu dienen haben.

Und diesem Sammelsurium fehlen Wille und Esprit. Volksvertretung, wie sie die heimische Politik versteht, entspricht dem Ambiente, dass der Plenarsaal im Parlament verströmt - den Charme von vorvorgestern. Und viele der Volksvertreter tun das auch.

Es gelingt ihnen meist nur selten ihrer Aufgabe im Sinn dieser Bezeichnung nachzukommen. Meist verstehen sie sich als nichts anderes als die Vertreter der Interessen ihres Berufsstandes oder ihrer Region. Viele sehen sich ausschließlich als Statthalter ihrer Partei, viele sehen ihre Arbeit als reine Interventionstätigkeit - für den Cousin der Schwiegermutter genauso wie für den Schuldirektor der Tochter, den Bürgermeister in der Nachbargemeinde oder die Firma in der Bezirkshauptstadt. Die Welt jenseits des eigenen Tellerrands, das Gesamte gar, hat kaum jemand im Blick. Und gemeinsam ist allen, dass praktisch alle ihre eigene Meinung sein lassen, sobald es ans Abstimmen geht. Da ist der Klubzwang in allen Partien das Normale. Abweichungen davon gelten als verpönt und führen rasch zur Ächtung.

Das ist schade. Als Wähler würde man sich mehr wünschen. Insbesondere von denen, die nicht in den vorderen Reihen sitzen. Man würde sich wünschen, dass sie öfter in den Diskussionen mitmischen, Eigeninitiative entwickeln und Selbstbewusstsein zeigen. Und dass sie gegen ihre Rolle als Abstimmungsautomaten öfter aufbegehren.

In jeder Plenardebatte führt sich das, was als Nationalrat und oberster Gesetzgeber von der Verfassung gedacht wird, dem staunenden Publikum selbst am Nasenring vor. Nachgerade automatisiert laufen die Debatten ab, ein lauer und vor allem seichter Austausch von Standpunkten ohne jede Diskussion geschweige denn Diskurs. Da gehen die Show vor und die Schlagzeile, das Niveau ist es nicht. Das ganz sicher nicht. Wenn selbst seriöse Zeitungen von einem "pervertierten Parlament“, das "als Gesetzgeber abgedankt hat“ schreiben, verwundert das nicht.

Das alles verdrießt die Leute. Man wendet sich von der Politik ab. Weil man sich eher benutzt denn vertreten fühlt, wird der Ruf nach mehr Mitbestimmung abseits der Wahlen lauter. Die Bemühungen der politischen Parteien halten sich freilich in Grenzen. Der Erfolg auch. Das Demokratiepaket, das geschnürt wurde, verdient den Namen kaum, die Verkleinerung des Nationalrates wurde abgesagt. Und an der Überwindung der Schwerfälligkeit und Undurchsichtigkeit der Gesetzwerdung in Österreich arbeitet man seit Jahrzehnten vergeblich.

Dass sich daran so rasch auch in Zukunft nichts ändern wird, dafür braucht es nicht die Erfahrungen eines Wilhelm Haberzettels.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. September 2013

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