Donnerstag, 19. September 2013

Billiger Zeitgeist



Jetzt, wo sich zeigt, dass in Fukushima doch sehr viel mehr passiert zu sein scheint, als man der Welt glauben machen mochte, sind die Schlagzeilen wieder da. "Das Experiment Kernenergie ist gescheitert“, heißt es wieder allerorten in allen Variationen.

Das ist ein, wenn auch sehr kleiner, Fortschritt gegenüber den vergangenen Jahren. Solche Töne waren schon lange nicht mehr zu hören. Ganz im Gegenteil. Die Reaktorblöcke im fernen Atomkraftwerk am Pazifik rauchten noch, wurde bereits in düsteren Farben vor teuren Energieformen gewarnt und hatte man keinerlei Scheu alternative Energieformen nach allen Regeln der Kunst anzupatzen, um das Atomgeschäft und den billigen Strom zu retten.

In Übersee sowieso und in Asien, aber auch in Europa. Auch in Deutschland und in Österreich. Fukushima brachte selbst dort nicht den Durchbruch für neue Energieformen. Man findet alle möglichen Gründe dafür, sie abzulehnen und meint doch nur eines - "Mehr zahlen wollen wir nicht“.

Da macht man allemal lieber die Augen zu, rückt und diskutiert sich die Dinge zurecht, man verweigert sich der Realität und den Notwendigkeiten. Bei der Energie, bei den Nahrungsmitteln, bei der Umwelt.

Aber man hat dennoch keine Scheu zu fordern, alles müsse anders, alles müsse besser werden. Den Preis dafür aber will freilich niemand zahlen. Denn Dinge zu fordern ist allemal etwas anderes, als auch danach zu handeln. Da macht man die Augen zu, da drückt man sich, da flüchtet man sich in Ausreden. Da denkt man, warum soll ausgerechnet ich mehr zahlen, wenn doch die anderen so weitertun wie bisher. Da will man nicht nachgeben und nicht verzichten und nicht draufzahlen. Alles muss Platz haben. Man will alles in die Brieftasche packen und auf nichts verzichten. Nicht aufs Auto, nicht auf Reisen, nicht auf den Fernseher, nicht auf das neueste Handy, nicht auf den prall gefüllten Kleiderkasten, nicht auf das billige Buch und nicht auf das billige Schnitzel.

Und dennoch hat man keine Scheu sich gerne und mit großer Inbrunst über Atomstrom zu erregen, billigen Sprit zu fordern, über Massentierhaltung zu schimpfen und die Lebensmittelindustrie zu geißeln.

Das ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Zeitgeist geworden. Wortreich argumentiert man sich durchs Leben, wenn es darum geht, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen und etwas billig zu kriegen - man hat doch nichts zu verschenken.

Die Bereitschaft zu Änderungen ist sehr rasch enden wollend. Es wird einem auch leicht gemacht. Gegen jede Veränderung findet sich eine Lobby, die entsprechende Argumente liefert, die den Streit in der Öffentlichkeit führt, die Veränderung hintan hält und die Interessengruppen und Marktteilnehmer gegenseitig ausspielt. Dick ist der PR-Nebel, der jede Neuorientierung verhindert, seltsam sind zuweilen die Koalitionen, die sich dabei bilden.

Dass das Vertrauen in die Wirtschaft, in die großen Konzerne und Institutionen und ganze Wirtschaftszweige über weite Strecken völlig zerstört ist oder zumindest in einer tiefen und nachhaltigen Krise steckt, ist der ideale Nährboden für Gaukler, Blender, Verhinderer, Geschäftemacher und Heuschrecken aller Art.

Vernunft und Sachlichkeit haben da wenig Platz. Da geben allemal politische oder finanzielle Interessen den Takt vor und nicht die Sorge um Umwelt und Nachhaltigkeit.

Parteien, Interessenvertretungen verstehen das zu nutzen. Für sie ist das nachgerade ein Biotop zum Überleben. Das freilich mündet in nichts als Blockade und einen Teufelskreis aus dem heraus zu kommen immer schwieriger wird.

Immerhin häufen sich die Lichtblicke. Wenn in Bangladesh die Fabriken brennen, aus denen das billige Gewand für Europa kommt, nimmt man hier mittlerweile immerhin Notiz davon. Wenn die Arbeitsbedingungen bei Amazon angeprangert werden, finden zumindest einige Autoren und Verlage den Mumm, sich dem Geschäft mit dem Internet-Händler zu verwehren. Und wenn in Brasilien die Urwälder für Soja brennen, ist man zumindest bereit für heimische Alternativen, wenn schon nicht mehr Geld auf den Tisch zu legen, so doch Interesse zu zeigen.

Es gibt Fortschritte, es gibt einen Wandel im Bewusstsein, es gibt Veränderungen im Verhalten. Für eine nachhaltige Veränderung freilich ist das viel zu wenig. Und ob sich daran bald etwas ändert, muss bezweifelt werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. September 2013

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