Donnerstag, 27. September 2012

Land der Fahnen im Wind





Ein ganzes Land echauffiert sich in diesen Tagen über den Untersuchungsausschuss und die Ränkespiele darum herum, mit denen Politiker sich und ihr Verständnis von Politik entblößen und die Dinge in ihrem Sinne richten. Da war alles vergessen, was man in den vergangenen Monaten in Kommissionen besprach und als Anstandsregeln in Ehrenkodices formulierte.

Überraschend ist das nicht. Nicht in diesem Land, in dem sich nicht nur die Fahnen im Wind drehen. Überraschender ist die Aufregung, die darum gemacht wurde. Das ist doch ganz normal, man kennt es doch. Man wird sich‘s ja noch richten dürfen. Da ein Schachzug für einen kleinen Vorteil, dort ein kleines politisches Gegengeschäft, da ein Augenzwinkern, dort ein Versuch, zumal die Gelegenheit günstig erscheint. Könnt‘ ja gehen.

Beispiele für dieses Denken und dieses Verhalten gibt es zwischen Neusiedlersee und Bodensee zuhauf. Jeden Tag, jede Woche und überall.

Bauernschlau strebte etwa dieser Tage ein Landwirt die Umwidmung eines Grundstückes zu einem Betriebsbaugebiet an, obwohl seit Jahren bekannt ist, dass just dort die Trasse eines für das ganze Land wichtigen Infrastrukturprojektes vorgesehen ist. "Man wird‘s doch probieren dürfen“, war wohl die Devise, schließlich wäre eine dadurch höhere Ablöse sicherlich nicht zu verachten. Der Bauernvertreter, den er dafür einspannen wollte, musste sich einiges anhören, weil er sich nicht zum Kumpanen machen wollte.

Ein anderes schönes Beispiel dafür, wie doppelbödig das Bewusstsein vieler Österreicherinnen und Österreicher angelegt ist, wurde erst vor wenigen Wochen aus dem oberösterreichischen Städtchen Wels berichtet. Dort sorgte eine Posse für Schlagzeilen, deren Muster man bisher allenfalls von Griechenland und den dortigen Usancen kannte, die Pension der Altvorderen trotz deren Ableben zu lukrieren. In der Stadt, die sich gerne Messemetropole nennt, stellte sich im Sommer heraus, dass 300 Besitzer der rund 1.400 im Umlauf befindlichen Parkausweise für Gehbehinderte bereits verstorben sind.

Diese Selbstgefälligkeit, dieses Ausnutzen von Gelegenheiten, dieses Hintergehen von Regeln ist schwer zu ertragen. Noch schwerer zu ertragen ist, dass viele dieser Leute, die tagaus, tagein nach solchen Gelegenheiten suchen und sie postwendend ausnutzen, die sich erschlichene Ausweise hinter die Windschutzscheiben kleben oder die schimpfen, wenn eine Grundstückspekulation nicht aufgeht, sich über andere so gerne alterieren. Sei es der Politiker ganz oben, der Bürgermeister in der Gemeinde nebenan, der Betriebsratschef, der kleine Beamte und gar nicht zu reden von den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern, den Ausländern oder den Griechen - wer immer. Da weiß man ganz genau, was geht und was nicht geht, was erlaubt ist und was nicht und wie der "G’hörtsich“ auszuschauen hat.

Nur bei sich selbst legt man zweierlei Maßstäbe an. Man tut das gerne in Österreich. Viel zu gerne. Die Folge ist dieses für Österreich typisch werdende verschwitzte Klima, in dem ein Ja oft kein Ja ist und ein Nein kein Nein. In dem ja gesagt, aber nein gemeint wird und umgekehrt. Das verdrießt und bremst. Es lähmt und ist purer Humus für eine Neidgesellschaft, die nicht aufs Ganze, sondern vor allem auf sich selbst schaut. Längst ist das Land dabei, sich zu blockieren im Bestreben nur nicht zu kurz zu kommen.

Wie es dazu gekommen ist, ist so wenig nachzuvollziehen wie die Frage, ob zuerst die Henne oder zuerst das Ei war. Ob sich diese Unkultur breit machte, weil die schlechten Beispiele von oben kamen?Oder ob sie von unten nach oben gewachsen ist mit jeder neuen Generation, die an die Schaltstellen in Politik und Gesellschaft geriet?

Es bleibt einem oft der Mund offen, mit welcher Chuzpe sich Leute die Dinge und die Meinungen zurechtbiegen können, auf dass für sie ein Vorteil heraus schaue. Da zählt viel zu oft, scheint‘s, nichts mehr von dem, was man gestern gesagt hat, und was morgen sein wird, auch nicht. Es geht nur ums Ich.

Wie die Gesellschaft dieser Falle entkommt, ist freilich die Frage. Käme der Anstoß von oben, wär’ das wohl der beste Weg. Nur, danach schaut es nicht aus. Zumindest nicht in der derzeitigen Konstellation. Hoffnung macht allenfalls, dass die Vorkommnisse rund um den Untersuchungsausschuss doch aufregen - nicht nur die Anhänger nicht beteiligter Parteien.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. September 2012

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