Donnerstag, 16. Februar 2012

Österreich ist Geisel seiner selbst






In Salzburg war dieser Tage die Aufregung groß. Die Lebensmittelkontrolleure des Landes stießen sich daran, dass sich die Kinder im Kindergarten miteinander ihre so genannte "Gesunde Jause“ selbst herrichteten und einander dabei gegenseitig halfen. Das gehe nicht. "Die Hygiene, sie wissen“, wurde den erstaunten Kindergärtnerinnen bei Schwerpunktaktionen beschieden. Bis in die Landesregierung reichte der Wirbel, sogar die Landeshauptfrau schaltete sich ein, ehe sich herausstellte, dass man sich im Vorschriftendschungel zwischen Brüssel, Wien und Salzburger verirrt hatte und zum Rückzug blies.

In Linz staunte dieser Tage eine Lehrerin nicht schlecht, die von ihrer Sozialversicherung eine Bescheinigung für einen Arztbesuch brauchte. Diese könne per Fax zwar dem Arzt übermittelt werden, das Fax an sie zu senden, sei aber nicht möglich. "Tut mir leid, Datenschutzgründe, sie wissen.“ Auf die Bescheinigung, die ihr daraufhin als Briefpost versprochen wurde, wartet sie inzwischen mehr als zwei Wochen.

Ob der Wirbel mit der Kinderjause in Salzburg oder der Ärger mit der Bescheinigung bei der Sozialversicherung - jeder kennt Beispiele aus eigenem Erleben und aus Erzählungen und Klagen Bekannter. Sie machen das Leben unnötig mühsam und oft regelrecht schwer und den arglosen Staatsbürger mürbe. Schlimm genug. Sie kosten die öffentlichen Haushalte aber auch jede Menge unnötiges Geld und sie zerstören gewachsene und funktionierende Strukturen, weil ihnen längst jedes Maß abhanden gekommen ist.

An den Entwicklungen, wie sie die beiden Beispiele zeigen, geht das Sparpaket, das in der vorigen Woche mit großem Pomp präsentiert wurde, vorbei. Es gibt keine Perspektive. Und genau das ist das Problem. Nicht nur für den Staatshaushalt, sondern für ganz Österreich. Das macht es so mühsam in diesem Land.

Die führenden heimischen Wirtschaftsforscher sehen es ähnlich. "Es kann nur der Anfang sein“, meinten sie in einer ersten Stellungnahme. Es muss ihnen recht gegeben werden. Denn es ist - siehe oben - nach wie vor genug Speck da. Der wärmt zwar viele Bereiche, macht aber Österreich träge und teuer.

Diese Regulierungswut, diese I-Tüpfelreiterei, die in diesem Land mit ungebrochener Hingabe und unter allerlei Vorwänden und mit oft hanebüchenen Rechtfertigungen gepflogen wird, bietet noch viel Spielraum und jede Menge Möglichkeiten, den bisher anvisierten Milliarden weitere Milliarden an Einsparungen hinzuzufügen.

Immer noch verstehen sich viele öffentliche Einrichtungen, aber auch Unternehmen und Berufsgruppen ganz hervorragend darauf, ihre Schrebergärten zu schützen und dort, abgeschottet und ungesehen von anderen, vor allem zum eigenen Wohl zu fuhrwerken.

Längst hat der Kleingeist der I-Tüpfelreiterei und Regulierungswut ganze Wirtschaftszweige und viele andere Lebensbereiche als Geiseln genommen und droht dabei lange gewachsene und bewährte Strukturen in diesem Land zu zerstören. Der Konsumenten- und der Arbeitsschutz spielen dabei oft ein zwiespältiges Spiel, die politischen Parteien und Interessensvertretungen sowieso, profilierungssüchtige Wissenschaftler und verantwortungslose Medien ebenso. Und auch die, denen das alles eigentlich nutzen sollte: Steuerzahler, Konsumenten, Wähler, die Bevölkerung dieses Landes insgesamt. Der Standort bestimmt den Standpunkt, bestimmt, ob man sich im Recht fühlt, oder als Opfer sieht.

Alle können ein Lied davon singen. Die Eltern und Kindergärtnerinnen in Salzburg, die Lehrerin in Linz, viele Wirtschaftszweige sowieso. Vor allem Gewerbetriebe kommen oft kaum mehr mit den immer neuen Vorschriften und Auflagen zurecht. Nicht nur, dass die kaum zu finanzieren sind, machen ihnen pingelige Behördenvertreter oft das Leben zusätzlich unnötig schwer.

Kein Wunder, dass viele aufgeben.

All das leistet großen Strukturen und anonymen Apparaten Vorschub und befördert die gesellschaftliche und wirtschaftliche Verödung des Landes und die Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit seiner Bewohner.

Das Land ist in den vergangenen Jahren arm geworden damit. In finanzieller Hinsicht wird das aktuelle Sparpaket daher wohl nicht das letzte gewesen sein. Weil aber auch vieles von dem, was in den vergangenen Jahren das Land finanziell ärmer gemacht hat, Österreich auch in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ärmer gemacht hat, sollte es auch nicht das letzte gewesen sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Februar 2012

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