Donnerstag, 12. Januar 2012

Rationale Ignoranz ganz irrational





Die Republik, die Regierungsverantwortlichen genauso wie die Bevölkerung, leidet daran, das Selbstverständliche zu tun, um den aus den Fugen geratenen Staatshaushalt wieder in den Griff zu kriegen. Das zu tun, was ohnehin vom Großteil der Bevölkerung längst als das Notwendige erkannt worden ist - zu sparen, umzuschichten, Weichen neu zu stellen.
Höchste Zeit, dass nun die ernsthaften Verhandlungen in Angriff genommen wurden. Zuviel Porzellan wurde schon zerschlagen, zu viele Hoffnungen enttäuscht. Gar nicht zu reden vom Kredit, den Regierung und Regierungsparteien schon verspielt haben durch ihr Lavieren, durch die Haxlbeißereien und durch das ungenierte Zurschaustellen von Halbwissen und Bosheit.
In diesen Wochen und Monaten wurde und wird klar wie selten zuvor vor Augen geführt, wie in diesem Land die Linien verlaufen und wie dieses System tickt. Da ist mit freiem Auge zu erkennen, warum es in der Sackgasse steckt. Da stehen sich zwei Blöcke innerhalb der Regierung gegenüber, die nicht das Staatsganze, sondern nichts anderes als die Interessen ihrer jeweils eigenen Klientel (oder jener, die sie zwecks Stimmenfang meinen vertreten zu müssen) im Fokus haben.
Dass man sich dabei vorsätzlich einer Chance begibt, um die uns andere Länder beneiden, spielt da keine Rolle. Denn eigentlich bietet die politische Konstellation mit den beiden größten Parteien in der Regierungskoalition, wie wir sie in Österreich haben, die besten Voraussetzungen dafür, Entscheidungen, wie sie nun notwendig sind, rasch zu fällen und unpopuläre Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Österreichs Regierung freilich versteht es nicht, diese Position zu nutzen. Schlimmer noch. Sie vermittelt zumeist den Eindruck auch gar nicht willens zu sein, diese Position zu nutzen. Vielleicht, weil sie, Geisel von Interessenvertretungen, Verbänden, Landesfürsten und eigenem Unvermögen, gar nicht fähig ist dazu. Stattdessen gibt man sich dem hin, was die Wissenschaft normalerweise Bürgern zuschreibt, die bewusst die Auseinandersetzung mit unbequemen Themen scheuen, um sich so das Leben zumindest kurzfristig und damit vordergründig leichter zu machen. "Rationale Ignoranz“ heißt das dort.
Den handelnden Personen fehlt es an Leadership, der Regierung an Kraft und Mut. Nicht die lange Perspektive kümmert sie, sondern die kurze - der nächste Wahltag. Und sei die Lage noch so ernst. Defizite werden lieber kleingeredet, der Finanzbedarf lieber kleingerechnet, Probleme verniedlicht, wenn nicht gleich ignoriert. Alles und immer bar jeder Verantwortung.
Das beginnt damit, dass man nicht einmal weiß, um wie viel Geld es bei der Sanierung des Staatshaushaltes gehen soll. 1,5 Milliarden Euro, 2,8 Milliarden, doch nur zwei oder doch wirklich 2,8? Oder gar noch weit mehr? Was soll‘s? Das zeigt sich auch in den Vorschlägen, die von beiden Seiten ventiliert werden.
Die Sozialdemokraten scheinen der "Muhmifizierung“ Österreichs zu frönen. Lustvoll bringen sie mit den immer neuen Ideen und Zahlen, die ihnen der Arbeiterkammerdirektor Muhm aus seiner Werkstätte liefert, das Blut der Klientel der Volkspartei von den Bauern bis zu den Unternehmern in Wallung. Die schwarze Reichshälfte hinwiederum setzt nahezu ausschließlich auf Konzepte, die der sozialdemokratischen Klientel, allen voran den Eisenbahnern, an die Nieren gehen.
Dabei weiß man auf beiden Seiten ganz genau, wo bei der eigenen Klientel der Speck sitzt, wo Handlungsbedarf besteht und wo es Möglichkeiten gibt. Reden mag man darüber allenfalls hinter vorgehaltener Hand, etwas zugeben geht gar nicht. Ungerührt schaut man lieber zu, wie sich in Österreich eine feindselige Stimmung aufbaut, Neid dabei ist, wieder zu einer Kategorie in der Gesellschaft zu werden und der Staat samt seinem Haushalt den Bach hinunter geht.
Man glaubt offenbar immer noch, dem Ernst der Lage ein Schnippchen schlagen zu können. Mit einem Trick da und mit einem Kniff dort - mit genau der Art von Politik und Schlitzohrigkeit eben, mit der man in den vergangenen Jahren Österreich in die Sackgasse geführt und die Handlungsfähigkeit des Landes aufs Spiel gesetzt hat.
Das ist ganz sicher ignorant. Und nur im wissenschaftlichen Sinn rational.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Jänner 2012

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