Samstag, 21. Januar 2012

Europas Bauern zwischen allen Stühlen




Tierschutz, höchste Qualität und doch billigste Preise: In diesem Spannungsfeld sucht die Landwirtschaft eine neue Position.

HANS GMEINER Berlin (SN). In der Halle 6 auf der Grünen Woche hängt schon um elf Uhr vormittags eine schwere Fettwolke in der Luft. Die Thüringer Rostbratwürste gehen weg wie die warmen Semmeln, Berliner Familien drängen sich zwischen den Ständen, eine Sängerin bemüht sich mit Schunkelliedern um gute Laune. In Halle 23 geht es bei Weitem ruhiger zu. „Verbraucher und Landwirtschaft – Gemeinsame Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt“ steht auf großen Transparenten. Dort versucht das deutsche Landwirtschaftsministerium, die Landwirtschaft neu zu positionieren und auch die Konsumenten in die Verantwortung zu nehmen.
Was in Österreich seit mehr als zehn Jahren Thema ist, rückt nun in großen Agrarländern wie Deutschland in den Blickpunkt. Europas Landwirtschaft sucht gegenüber den Konsumenten und auf den internationalen Märkten neue Positionen.
Das Spannungsfeld ist gewaltig: Verlangt werden mehr Tierschutz, intakte Umwelt, beste Qualität, aber das Hendl soll es um 2,99 Euro pro Kilogramm geben.
„Wir müssen nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt stellen“, sagt Agrarkommissar Dacian Ciolos. Für die Landwirtschaft ist das eine Gratwanderung. Agrarpolitiker wie Gerd Sonnleitner, wortgewaltiger Präsident des deutschen Bauernverbandes und der europäischen Bauernorganisationen, zeigen sich den notwendigen Änderungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Sie tun sich aber nicht leicht damit. „Ich will eine EU-Agrarpolitik, die nicht den Rückwärtsgang einlegt, sondern ,grünes Wachstum‘ fördert“, richtete er bei der Eröffnung der Grünen Woche Donnerstagabend in Berlin den in der ersten Reihe sitzenden EU-Kommissaren Ciolos und John Dalli (Gesundheit) aus.
Die Diskussion um die ständige Verschärfung der Vorschriften zerrt an den Nerven des obersten deutschen Bauern. Viele Landwirte fürchten durch immer mehr Vorschriften unter dem Titel Nachhaltigkeit, Umweltschonung, Tier- und Naturschutz um ihre internationale Konkurrenzfähigkeit. Vor allem die wachsende Bevormundung macht ihnen immer größere Probleme. Sie sind es leid, dass die Produktion für sie durch immer strengere Auflagen immer teurer wird, während die Importe aus Ländern, in denen die Produktions- und Sozialstandards unvergleichlich niedriger sind, stetig zunehmen.
Die Bauern wollen als Wirtschaftszweig und nicht als Geldvernichter und hoch subventionierte Preistreiber begriffen werden. „In Österreich beträgt der Anteil des Agrarbudgets am Gesamtbudget nur drei Prozent“, sagt Bauernkammer-Präsident Wlodkowski. „Und berücksichtigt man Inflation und Lohnsteigerung, haben die Bauern seit Jahrzehnten die Kaufkraft der Konsumenten gestärkt, weil Nahrungsmittel im Vergleich billiger wurden.“
Dass die Aussichten für die Landwirtschaft weltweit gut sind, macht es für viele österreichische Bauern nicht leichter. Ihre Höfe sind nicht groß genug und die Preise angesichts der Produktionsmenge zu niedrig. Weniger Geld und strengere Vorschriften hält man nicht nur für die Bauern, sondern auch die Versorgungssicherheit für kontraproduktiv. „Angesichts der unsicheren Wirtschaftssituation die Bauern aufzugeben wäre so, als würde man die Speisekammer ausräumen und dann noch den Kühlschrank hinauswerfen“, poltert Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich.

Salzburger Nachrichten Wirtschaft / 21.01.2012

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