Donnerstag, 3. November 2011

Ich bin doch nicht blöd, Mann!





Ein Aufatmen ging durch Europa. Die Börsenkurse schienen vor Freude in die Höhe zu springen, Erleichterung allerorten. Davongekommen. Doch noch. Noch einmal. Europas politische Führer hatten sich unter der Knute von Angela Merkel geeinigt, die Banken gaben klein bei. Ein noch größerer Rettungsschirm, noch mehr Milliarden, Schuldenerlass für Griechenland, Aderlass für die Banken.

Was immer wirklich davon zu halten ist, ob das die ersehnte Wende ist oder doch nicht - es war der bisher wohl größte Kraftakt der europäischen Vollkasko-Gesellschaft, sich selbst zu retten.

Notwendig im wahrsten Sinn des Wortes wurde dieser Kraftakt, weil Verantwortung, zumal Eigenverantwortung in der europäischen Gesellschaft und in den politischen Führungsetagen des 21. Jahrhunderts keine Rolle mehr zu spielen scheint. Ganze Staaten scheren sich mittlerweile um nichts mehr, solange sie nur ihre alten Trampelpfade weitergehen können, und ihr Volk bei Laune gehalten werden kann. Noch mehr Geld, noch mehr Schulden. Alles geht offenbar - bis nichts mehr geht. In Griechenland, in Italien, in Spanien, in Frankreich und auch bei uns.

Die Idee von der Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft, die bei der Gründung in den 1950er Jahren Pate stand, wird da nur mehr müde belächelt. Die Europäische Union sieht man viel eher als Vollkaskoversicherung für die Kollateralschäden, die man mit der eigenen Politik anrichtet.

Am Pranger stehen nicht Politiker wie Papandreou oder Berlusconi, die für die desaströsen Zustände in ihren Ländern direkt verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich sind, sondern Leute wie Merkel und Sarkozy, die für ihr Zaudern, für ihre Winkelzüge und für ihre Entscheidungen zum Teil sehr brüsk zur Rechenschaft gezogen werden.

Für die Zwänge und Dreistigkeiten, die damit einhergehen und die politische Diskussion bestimmen, hat schon Helmut Qualtinger das passende Bild geliefert: "Der Papa wird‘s schon richten“.

Verantwortung übernehmen? Gar Verantwortung trage? Das sind in der Politik und in der Gesellschaft ganz offensichtlich keine Kategorien mehr, die zählen. Statt dessen gibt man die Verantwortung lieber ab wie ein Kleidungsstück an der Garderobe, lässt sich zurück und beschäftigt sich allenfalls mit der Sicherung von Ansprüchen, der Suche nach Auswegen und Schlupflöchern und dem Entwickeln von Sonderlösungen und verlässt sich darauf, dass jemand einspringen wird, wenn‘s denn wirklich sein muss.

Alle tun es. Die ganz oben und die ganz unten, und die dazwischen auch.

Die österreichische Regierung, respektive deren Spitze, überlässt die Verantwortung für die Zukunft Europas in geradezu fahrlässiger Weise und zuweilen direkt lustvoll den großen europäischen Spielern. Nie hat man sich um eine Rolle bemüht, ganz so, als ob Österreichs Zukunft nicht auch etwas mit der europäischen zu tun hätte.

Ganze Wirtschaftszweige geben die Verantwortung für ihr Tun an Politik und Gesetzgeber ab, legen die Hände in den Schoß und verwenden ihre Energie vorwiegend dafür, die ihrer Ansicht nach Schuldigen zu geißeln, statt die Verantwortung für ihr Fortkommen selbst in die Hand zu nehmen.

Viele Eltern delegieren ihre Erziehungsverantwortung mir nix dir nix an die Schulen. Nicht wenige Menschen verstehen ihre Steuer- und Abgabenzahlungen als Vollkaskoprämie fürs Leben und definieren ihr Dasein als Anspruchsberechtigte an Staat und Sozialversicherung. Und selbst unter Bergsteigern gilt die Verantwortung nicht mehr viel - die Bergrettung wird‘s schon richten.

Freilich: Die Strukturen leisten dem Vorschub. Überall Vollkasko. Für ein Handeln einzustehen ist nur mehr selten das, was zählt. Schuld sind immer die anderen. Und richten sollen es auch die anderen.

Engagement, Verantwortung in der Gesellschaft und in der Politik gilt nur mehr wenig. Für die Vergangenheit ist man nicht verantwortlich, für die Gegenwart nicht und für die Zukunft selbstredend auch nicht. Man lässt machen - ich bin doch nicht blöd, Mann!

Was freilich überhaupt kein Hinderungsgrund ist, sich über die Folgen dieser Mentalität, die in höheren Steuern und Beiträgen und in unsicheren Zukunftsaussichten zu Buche schlägt, zu alterieren.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 3. November 2011

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