Donnerstag, 10. November 2011

Die Sehnsucht nach Portisch





Es ist bemerkenswert, wie sprachlos die heimische Politik, aber auch die heimische Wirtschaft und die Wirtschaftswissenschaft angesichts der Entwicklung rund um Euro, EU und Griechenland sind. Ein ganzes Land ist ohne Stimme. Mit einem Mal.

Von den Staatsspitzen sind nicht viele Äußerungen zur Krise überliefert. Zumindest keine von größerem Gehalt. Nicht einmal dazu, wie rasche Krisenbewältigung und Demokratie unter einen Hut zu bringen sein könnten.

Wie wenig man mit den aktuellen Ereignissen zu tun hat und wie wenig man mit ihnen zu tun haben will, zeigte sich ganz besonders deutlich in der Vorwoche, als der griechische Ministerpräsident mit seiner Referendum-Ankündigung ganz Europa in Aufruhr versetzte. Weder vom Bundeskanzler noch von seinem Stellvertreter und Außenminister sind Stellungnahmen überliefert. Und der Frau Finanzminister fiel nicht mehr ein, als in einem Interview Griechenland mit Kärnten für vergleichbar zu erklären. Dabei habe sie "bisher nicht die Gelegenheit gehabt, mit Herrn Papandreou zu sprechen“. Aber sie kenne den griechischen Finanzminister. Na immerhin.

Die Wirtschaftsvertreter, die Wirtschaftswissenschafter, all die anderen, von denen man sich Orientierung, Positionen, Diskussionsbeiträge und Erklärung erwartet, sind um keinen Deut anders als die Politiker. Wenn sie sich denn überhaupt äußern, dann sind zumeist hohle Phrasen, leere Floskeln oder plumpe Parolen zu hören. Man hat nicht das Gefühl, dass sich da jemand ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt und schon gar nicht, dass da irgendwer die Dinge überschaut.

Die Diskussion hierzulande, die Auseinandersetzung mit den Vorgängen in Europa sind von alarmierender Seichtigkeit. So, als hätte Österreich damit nichts zu tun. Kein Vergleich zum Niveau in Deutschland, wo nicht nur in den Medien und in TV-Diskussionen, sondern selbst im Parlament - ganz anders als bei uns - die Diskussion nicht vom Austausch vorgefertigter Standpunkte und von billigem Populismus geprägt ist, sondern von Verantwortung. Und, man muss es sagen: Auch von deutlich mehr Wissen.

Nun, man kann freilich den Standpunkt beziehen, Österreich sei ein kleines Land, sowohl politisch als auch wirtschaftlich ein Leichtgewicht gegenüber Ländern wie Deutschland und Frankreich. Was soll man da schon viel sagen und was soll man da viel diskutieren?

Aber soll man das, ja darf man das wirklich? Hat Österreich wirklich nicht mehr zu bieten? Kann dieses Land nicht mehr als diese Seichtigkeit, diese Überheblichkeit, diese Ignoranz?

Die Antwort müsste natürlich lauten - Ja! Müsste. In Österreich bleibt es freilich beim Konjunktiv. Hier fehlt ganz offensichtlich das Personal. Exemplarisch spiegelt sich das in den Teilnehmerlisten der Fernsehdiskussionen. Immer die gleichen Leute. Nicht viel mehr als eine Handvoll. Zumeist Politiker, selten Wissenschafter. Ein leicht überschaubares Diskussionsbiotop, in dem routiniert die Standpunkte ausgetauscht werden.

Das hat nicht immer damit zu tun, dass Österreich ein kleines Land ist, das hat auch damit zu tun, dass sich die in Frage kommenden Persönlichkeiten rar machen und ihnen die Courage fehlt. Pragmatisiert im elfenbeinernen Wissenschaftsturm, linientreu gefönt im politischen Mandat, zu Folgsamkeit angehalten in Amtsstuben, zum Kuschen verdammt am Arbeitsplatz und mit Förderungen gefügig gemacht in Wirtschaft und Landwirtschaft hält man lieber den Mund.

Als gelernter Österreicher will man nirgends anstreifen. Damit freilich beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein ganzes Land hat verlernt zu diskutieren, sich ohne Scheuklappen mit Themen auseinanderzusetzen und gemeinsam Lösungen zu finden.

Dabei wäre der Bedarf an Information und Erklärung groß. Die Leute haben Sehnsucht danach. Sie suchen Vertrauen, sie wollen Klarheit, sie wollen die Zusammenhänge erkennen können.

Allein der Verkaufserfolg von Hugo Portischs jüngstem Buch, in dem er die EU erklärt, beweist das.

Es geht sachlich und mit Wissen. Man braucht nicht Angst zu verbreiten, aber man sollte sich bemühen, Informationen zu bieten. Gerade was die EU, Europa und den Euro betrifft.

Das ist in Österreich, wo 77 Prozent der Leute nicht wissen, was Zinsen sind, zugegebenermaßen nicht einfach, aber es wäre dringend notwendig, zumal immer mehr Österreicherinnen und Österreicher, wie jüngste Umfragen bestätigen, der EU den Rücken kehren.

Meine Meinung Raiffeisenzeitung 10. November 2011

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