Montag, 10. Oktober 2011

„Die Stimmung ist sehr kämpferisch“





Das Europäische Parlament will bei der Reform der Agrarpolitik in der Union die Muskeln spielen lassen.

HANS GMEINER Seit zwei Jahren vertritt die Kärntnerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) Bauerninteressen im EU-Parlament. Die SN sprachen mit ihr über ihre erste große Herausforderung, die EU-Agrarreform.

In den vergangenen Wochen ist viel von der geplanten Agrarreform durchgesickert. Es gibt jede Menge Gerüchte um weitreichende Veränderungen für die Landwirtschaft, mit weniger Geld und noch mehr Bürokratie. Müssen sich die Bauern fürchten?

Köstinger: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Was kommende Woche präsentiert wird, sehe ich als Diskussionsgrundlage. Vieles von dem, was bereits bekannt wurde, gefällt mir und meinen Kollegen im EU-Parlament nicht.

Was sind die Knackpunkte aus europäischer Sicht?

Köstinger: Die Greening-Maßnahmen, also die Ökologisierungskomponenten der Reform, halten wir im EU-Parlament für problematisch, wenn sie so kommen, wie es bisher durchgesickert ist. Das heißt nicht, dass ich dagegen bin, aber ich sehe einen enormen Verwaltungsaufwand auf die Bauern zukommen. Ein anderes großes Thema ist die Definition des aktiven Landwirts. Und dann geht es um die Umschichtung von Teilen der Ländlichen Entwicklung in die Regionalpolitik.

Und was ist mit der Debatte, dass die osteuropäischen Länder mehr Geld wollen?

Köstinger: Das halte ich für absolut richtig und wichtig. Wir haben bei den Förderungen pro Hektar enorme Unterschiede zwischen West und Ost, die sind nicht rechtfertigbar. Österreich liegt in der Mitte. Da sind also keine gravierenden Änderungen zu erwarten.

Und die Obergrenzen für die Förderungen?

Köstinger: Das Europaparlament ist klar für die Einführung. Aus österreichischer Sicht ist das zu begrüßen. Wichtig ist nur, das die Regelung europaweit einheitlich gehandhabt wird.

Österreich würde, so der Eindruck, am liebsten gar nichts an der derzeitigen Agrarpolitik ändern, bloß mehr Geld hätte man gern. Eine realistische Position?

Köstinger: Dass etwas zu ändern ist, steht außer Frage. Es gehört alles weiterentwickelt und den neuen Herausforderungen angepasst. Man muss aber wegen möglichen unerwünschten langfristigen Folgen immer vorsichtig sein. Wenn in der Landwirtschaft Betriebe zugesperrt werden, machen sie nicht wieder auf. Das hat nichts mit Reformunwillen zu tun, sondern damit, dass wir an die Bedeutung der flächendeckenden Landwirtschaft glauben.

Was sind für Österreich die wichtigsten Themen?

Köstinger: Das Greening, wie es uns bisher bekannt ist, würde für unsere Umweltprogramme massive Probleme bringen. Für diese Programme, für die Österreich immer gelobt wurde, würde damit zum Teil die Grundlage wegfallen, weil die Teilnahme daran nicht mehr extra honoriert würde. Große Verluste gerade für die österreichischen Bauern, die diese Programme besonders stark nutzen, wären die Folge. Ein Knackpunkt ist auch die drohende Schlechterstellung der sogenannten benachteiligten Gebiete außerhalb der Bergbauernregion – unter anderen auch in Salzburg.

Was fordern Sie von der künftigen EU-Agrarpolitik?

Köstinger: Es muss der Spagat gelingen zwischen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft, die die Ernährungssicherheit gewährleistet, und einem Mix aus Nachhaltigkeit und Ökologisierung, der die Grundlagen für künftige Generationen schafft. Ich halte das österreichische Modell wirklich für beispielgebend. Die Programme haben gegriffen und den Strukturwandel bremsen können.

Wie realistisch ist, dass es zumindest zum Teil so kommt, wie Sie es sich wünschen?

Köstinger: Ich glaube, wir haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass wir um vieles mehr nach Hause gebracht haben, als man uns zugetraut hat. Wir wissen aber auch, dass wir diesmal aller Voraussicht nach vor allem bei den Finanzverhandlungen mit Bundeskanzler Faymann einen Regierungschef aus Österreich vorn sitzen haben werden, von dem man nur hoffen kann, dass er versteht, worum es für den ländlichen Raum als Gesamtes geht.

Die Pläne zur Kürzung des Agrarbudgets bezeichneten Sie als „existenzbedrohend für Österreichs Bäuerinnen und Bauern“. Was passiert, wenn es wirklich zu Kürzungen kommt?

Köstinger: Dann ist die Frage, wie wir die Programme gestalten werden. Wenn das Geld nicht vorhanden ist, um die Leistungen abzugelten, werden unsere Bauern die Programme nicht erfüllen.

Aber müssen nicht auch die Bauern einen Beitrag zum EU-Budget leisten?

Köstinger: Sie tun es ja. Man darf aber bei allen Sparmaßnahmen nie außer Acht lassen, dass die Landwirtschaft im ländlichen Raum mit allen vor- und nachgelagerten Bereichen ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und direkt und indirekt Arbeitsplätze sichert, die sonst verloren gehen.

Erstmals hat das Parlament ein kräftiges Wort mitzureden, einige Abgeordnete lassen die Muskeln spielen. Wie ist die Stimmung?

Köstinger: Ich würde die Stimmung sehr kämpferisch nennen. Der Kommissar hat ja offenbar, was wir bisher wissen, verabsäumt, die Positionen, die das EU-Parlament vor dem Sommer verabschiedet hat, in irgendeiner Weise in seinen Vorschlag einfließen zu lassen. Wir haben uns das etwas anders vorgestellt. Das werden wir jetzt der Kommission auch zu spüren geben.


Für Europas Bauern geht es ums Ganze

Kommenden Mittwoch präsentiert EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos seine Vorschläge zur Gestaltung der EU-Agrarpolitik von 2014 bis 2020. Sie betreffen in den 27 EU-Staaten 13,7 Millionen landwirtschaftliche Betriebe. Die Herausforderung ist groß, sind doch die Interessen von Kleinbauern mit ein paar Hektar in Ländern wie Rumänien oder Polen und die Vorstellungen von Großbetrieben mit oft einigen Tausend Hektar in Regionen wie Ostdeutschland, Großbritannien, aber auch in Osteuropa auf einen Nenner zu bringen. Was bisher durchgesickert ist, lässt heftige Auseinandersetzungen erwarten. Es soll weniger Geld geben, die Förderungen sollen mit maximal 300.000 Euro pro Betrieb begrenzt und die Fördersätze pro Hektar stärker vereinheitlicht werden. Für Österreich geht es insbesondere um die Absicherung der Umweltprogramme und den Erhalt bestimmter Regionen als „Benachteiligte Gebiete“, für die es Extrageld gibt.



Salzburger Nachrichten Wirtschaft / 10.10.2011

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