Donnerstag, 6. Oktober 2011

Der Bauch macht Biosprit zur Polit-Bombe





„Der Irrsinn mit dem Biosprit“ wetterte die deutsche Bild-Zeitung im heurigen Frühjahr in zentimetergroßen Lettern. „Biosprit-Desaster“ hieß es allerorten zwischen Zugspitze und Rügen. Und sogar die seriöse „Zeit“ schreibt vom „großen Öko-Irrtum“.
In Deutschland war in Sachen Biosprit der Teufel los. Hunderttausende Autos könnten nicht mit E10 (Superbenzin, dem zehn Prozent Bioethanol beigemischt ist) fahren, hieß es täglich groß und fett gedruckt auf den Titelseiten der Zeitungen. Totschlagargumente wurden aus der Mottenkiste geholt. Verschwendung sei das, Frevel, ungeheuer. Menschen verhungerten, während hierzulande Getreide als Treibstoff verbrannt werde. Mit einem Kilogramm Weizen könne man einen Menschen eineinhalb Tage ernähren, aber nur drei Kilometer fahren. Wissenschafter und Marktexperten legten nach und die Mineralölindustrie verstand es im Hintergrund das Feuer zu schüren. Die Anti-Biosprit-Lobby schoss aus allen Rohren und zog eine gerade Linie von Biosprit zu Welthunger, Hungerrevolten und den Revolutionen in Nordafrika.
Nach wenigen Wochen war klar. E10 war in Deutschland eine Totgeburt. Die Tankstellen bleiben seither auf dem Ökosprit sitzen.
Nun beginnen auch in Österreich, wo die Umstellung erst nächstes Jahr ansteht, die Wogen hoch zu gehen. Arbeiterkammer und Umweltschützer bringen ihre Geschütze in Stellung. Sogar die Verkehrsministerin avisierte bereits ihr Nein. In Deutschlands Windschatten hoffen manche zumindest eine Aufschiebung der Beimischung zu erreichen, wenn es denn nicht gelingen sollte, Biosprit überhaupt zu kippen.
Wie groß die Chancen solcher Ansinnen sind, Wirklichkeit zu werden, ist schwer zu beurteilen, Potenzial für heftige politische Auseinandersetzungen haben sie allemal. Denn das Thema Verspritung von Getreide zu Treibstoff, bisher zumeist wegen der Kosten und der nicht unumstrittenen Umwelteigenschaften in Diskussion, zielt vor dem Hintergrund steigender Lebensmittelpreise und drohender Versorgungsprobleme genau dorthin, wo man gemeinhin des Sitz des Gefühls der Menschen vermutet - auf den Bauch. Und das im wahrsten Sinn des Wortes.
Genau das macht die Diskussion so unberechenbar und Biosprit zu einer Polit-Bombe.
Da wird das komplexe Thema zu explosivem Stoff für politische und wirtschaftliche Ränkespiele, zu einem Hochfest für Demagogen aller Art.
„Biosprit macht Essen teurer“ ist die Devise unter der sie gegen den grünen Sprit zu Felde ziehen. Und keineswegs nur Spintisierer folgen ihnen. Die Front reicht von der FAO und anderen internationalen Organisationen bis in die heimischen Bauernstuben. Selbst dort ist man, christlich sozialisiert und bei solchen Themen sensibel, verunsichert.
In Österreich unterschätzt man das Thema. „Teller – Trog – Tank“, der plakative Hinweis auf die Reihenfolge, in der man das Getreide verwendet sehen will, ist reichlich dünn als Argument, der Verweis darauf, dass nur minderwertiges Getreide verspritet wird, sogar schlichtweg falsch. Denn auch diese Getreide braucht eine bestimmte Spezifikation – ganz abgesehen davon, dass es extra für die Verspritung erzeugt wird und kein Abfall ist.
Es gibt keine klaren Antworten auf die klaren Vorhaltungen. Man nudelt sich mit alten Argumenten, wenig stichhaltigen Zahlen und dünner wissenschaftlicher Unterstützung durch die Diskussion. Und es gibt kaum Öffentlichkeitsarbeit, die Verständnis für die komplexen Zusammenhänge schaffen könnte. Vor allem die Biodieselerzeuger scheren sich, anders als die Agrana, darum keine Sekunde.
Erfolgreiche Strategien schauen anders aus.
Die Landwirtschaft und Spriterzeuger sind gefordert, den Gegnern nicht das Feld zu überlassen – wenn sie denn mit ihren Konzepten richtig liegen.
Wenn das so ist, sollten sie aber alles dran setzen, das möglichst rasch und möglichst tief greifend nachzuweisen.
Dabei geht es vor allem darum, den Bauch zu erreichen. Bisher war man dabei ohne Eifer, ohne Geschick und auch ohne Fortune.
Dabei wäre die Gelegenheit ist günstig wie kaum je. Die Ölpreise sind hoch, Gas wird teurer und teurer. Und die Aufstände in Nordafrika und im arabischen Raum führten drastisch wie selten zuvor vor Augen, wie dünn der Faden ist, an dem unsere Energieversorgung hängt.

Meine Meinung Raiffeisenzeitung 6. Oktober 2011

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