Donnerstag, 29. September 2011

Flucht aus der Verantwortung





"Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Das war bisher die Parademethode in der Welt der Politik, mit heiklen Themen umzugehen, die man - aus welchen Gründen immer - nicht entscheiden will oder kann. Neuerdings macht sich eine neue Methode breit, die dasselbe Ziel hat: Man versucht, die Lösung von Problemen und offenen Themen an jene zu delegieren, die darunter leiden, damit zu kämpfen haben, die das in der Öffentlichkeit thematisieren oder es sogar wagen, Forderungen zu stellen.

Den Universitätsrektoren ging es so, den Landespolitikern und den Bürgermeistern in den Gemeinden. Den unter chronischer Finanznot leidenden und entsprechend auf Studiengebühren drängenden Universitäten wurde angeboten, die Wiedereinführung dieser Gebühren und die Gestaltung deren Höhe selbst in die Hand zu nehmen. Die Grundbesteuerung und deren Gestaltung, auf Bundesebene Streitthema allerersten Ranges, soll in die Hände der Länder gelegt werden. Bei der Kindergartenfinanzierung geisterten ähnliche Vorschläge durch die Gazetten. Und in Sachen der von den Sozialdemokraten so vehement geforderten Reichensteuer kam gar der Vorschlag, sie auf freiwilliger Basis einzuführen - ausgerechnet vom Vizekanzler der Republik.

Jetzt könnte man freilich sagen: "Das ist gut so.“ Endlich wird nicht von oben entschieden, die Betroffenen könnten sich selbst die Dinge so richten, wie sie sie brauchen. Basisdemokratisch, wie das in einschlägigen Kreisen heißt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als um die Manifestation des politischen Stillstands, der Führungsschwäche und der Unfähigkeit, zu Entscheidungen zu finden.

Die Absicht derer, von denen solche Vorschläge kommen, liegt auf der Hand. Man will die Probleme wegschieben und damit sich selbst aus der Schusslinie bringen.

Darauf versteht man sich in Österreich wie kaum anderswo. Verantwortung abschieben, das tut man im Land zwischen Neusiedlersee und Bodensee gerne. Da hat man es zu hoher Kultur gebracht. Nicht nur in der Politik, auch im Privaten. Ich? Warum? Nein! Der!

Verantwortung zu übernehmen gilt längst nicht mehr als Tugend, sondern oftmals nur mehr als Dummheit.

Entsprechend entwickelt sich unser Land. Festgefahren in einem großen Polit-Mikado, in dem sich niemand mehr traut, Verantwortung zu übernehmen. Paralysiert in einem Killer-Klima. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Aus dem Verkehr gezogen nicht nur von einem hemmungslosen Boulevard, sondern auch von ebenso hemmungslos schlagzeilensüchtigen Parteien, die nichts anderes im Sinn haben als einander in die Parade zu fahren.

Die Bereitschaft, Verantwortung übernehmen zu wollen, die Bereitschaft auch in heiklen Situationen Entscheidungen zu treffen, geht zunehmend verloren. Da schaut man lieber weg, da geht man nicht hin, da drückt man sich.

Dem entspricht das Politpersonal und dem entspricht die Politik. Und entsprechend wird das Land regiert. Ganz oben in Wien, und ganz unten im Dorf. Und dazwischen auch.

Das hat auch mit Courage zu tun, angesichts des Zustandes, in dem sich die heimische Politik zuweilen präsentiert, sogar mit Zivilcourage im eigentlichen Sinn - mit "sozial verantwortlichem Handeln“.

Diese Zivilcourage ist einzufordern. Es darf nicht als "dumm“ gelten, Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren, mitzureden und Entscheidungen zu treffen. Und es ist einzufordern, diese Zivilcourage zuzulassen, die andere Meinung, den Diskurs.

Diese Forderung richtet sich an alle. Sie richtet sich aber besonders an all jene, die meist mit einer gewissen Abschätzigkeit als Politiker in der zweiten Reihe bezeichnet werden. Die könnten ihre Aufgabe überdenken und beweisen, dass sie diese Abschätzigkeit nicht verdienen und nicht bloß als Lautsprecher ihrer Parteiführer in der Politik sind, gerade genug zum Handheben bei Abstimmungen.

Sie könnten in der derzeitigen Situation, wo sich Politikverdrossenheit und Stillstand breit machen, eine ganz besondere Rolle übernehmen, einen anderen Stil einfordern, neue Wege verlangen, Mut unterstützen und nicht verhindern.

Es steht freilich zu befürchten, dass diese Aufforderung ins Leere geht. Denn dafür gälte es genau das zu tun, was in Österreich offenbar kaum jemand will oder sich traut - Verantwortung zu übernehmen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 29.September 2011

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