Dienstag, 19. Juli 2011

„ Vorschläge zu wenig innovativ“





Die Wissenschaft vermisst bei den Plänen zur EU-Agrarreform neue Ideen.

Nicht nur ums Geld solle es bei der EU-Agrarreform gehen, sagt der Agrarökonom Markus F. Hofreither im SN-Interview.

SN: Die geplante EU-Agrarreform macht den europäischen Bauern Sorgen. Es soll weniger Geld geben. Wie bewerten Sie, was bisher zu erkennen ist?

Hofreither: Zurzeit sieht es so aus, dass das EU-Agrarbudget um etwa sieben Prozent gekürzt werden könnte. Die endgültigen Werte stehen aber erst nach Ende der politischen Diskussion fest, in deren Verlauf noch nachgebessert werden dürfte. Aus meiner Sicht ist aber weniger der absolute Betrag entscheidend, sondern wofür und wie die Gelder ausgegeben werden.

SN: Erklären Sie das anhand eines Beispiels.

Hofreither: Heute geht der Großteil des Agrarbudgets für Einkommensstützungen in Form von Direktzahlungen auf. Die damit verknüpften Bedingungen gehen oft nur wenig über die gesetzlichen Anforderungen hinaus. Der von der EU-2020-Strategie geforderte „europäische Mehrwert“, also die Förderung von öffentlichen Gütern wie Klimaschutz oder Artenerhaltung auf der EU-Ebene, ist dadurch eher bescheiden.

SN: Geben die Vorschläge und der finanzielle Rahmen die notwendigen Perspektiven oder wird da eine Chance vertan?

Hofreither: Meiner Meinung nach ist der Vorschlag der Kommission wenig innovativ. Die zuletzt von Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy ventilierte Variante, die Einsparungen beim Agrarbudget stärker im Bereich der zweiten Säule vorzunehmen, steht im Gegensatz zur fast zwei Jahrzehnte andauernden Debatte in der wissenschaftlichen Agrarpolitik. Die spricht sich in erster Linie wegen der höheren Treffsicherheit für Umschichtungen von der ersten in die zweite Säule aus, wie das etwa in Österreich mit seinen Umwelt- und Bioprogrammen und der Bergbauernförderung bereits praktiziert wird.

SN: Also kein guter Weg?

Hofreither: So, wie es derzeit aussieht, eher nicht.

SN: Was könnte das für Österreich bedeuten?

Hofreither: Für Österreichs Landwirtschaft insgesamt dürfte sich eher wenig ändern, weil hier sowohl die Beträge je Hektar als auch je Betrieb nahe dem EU Durchschnitt liegen. Anpassungen stehen jedoch jenen Betrieben ins Haus, die bisher historisch bedingt hohe Flächenzahlungen erhalten haben.

SN: Die Bauern befürchten noch strengere Auflagen. Auch die Verteilung der Mittel wird oft als ungerecht empfunden. Zu Recht?

Hofreither: Bei Auflagen wäre es psychologisch günstiger, alle Zahlungen in Umwelt- und Regionalprogramme einzubinden. Dann würden die Landwirtinnen die Zahlungen als Gegenwert für erbrachte Leistungen empfinden, die durch Kontrollen bestätigt werden. Das brächte indirekt eine gerechtere Verteilung der Mittel.

SN: Warum?

Hofreither: Weil in der sogenannten zweiten Säule klar definierte Programme zur Lösung von Problemen im Interesse der Allgemeinheit angeboten werden. Dabei handelt es sich um Leistungsentgelte. Da erübrigt sich eine Verteilungsdebatte. Das Verteilungsproblem liegt ja primär bei den Geldern aus der ersten Säule, den entkoppelten Direktzahlungen, die mit dem Verweis auf eine Grundeinkommenssicherung und Bereitstellung grundlegender öffentlicher Güter legitimiert werden.

SN: Was ist von einer Förderobergrenze zu halten?

Hofreither: Ich sehe das eher skeptisch. Wenn Leistungen für die Allgemeinheit Voraussetzung für den Erhalt dieser Zahlungen sind, haben auch Großbetriebe Anspruch auf einen angemessenen Kostenersatz. Aber man könnte abhängig von der Flächengröße die Zahlungen nach einer Formel auf einen Mindestbetrag absenken, der dann aber ohne Flächenbegrenzung zur Verfügung steht. Ein Zehn-Hektar-Betrieb würde damit z. B. dasselbe erhalten wie ein größerer Betrieb auf seinen ersten zehn Hektar, darüber würden die Hektarsätze immer weiter absinken. Das wäre sachlich gerechter und vermutlich auch politisch akzeptabler als eine Höchstgrenze.

SN: Alle wollen den „kleinen Bauern“ helfen. Aber wie kann man ihnen helfen, ohne sie vollends von öffentlichen Geldern abhängig zu machen?

Hofreither: Ob ein kleiner Betrieb langfristig lebensfähig ist, hängt in erster Linie davon ab, wie kreativ er in Sachen Produkte und Marketing ist. Auf Märkten mit standardisierten Massenprodukten wird das kaum möglich sein, weil die Wertschöpfung je Erzeugungseinheit zu gering ist. Man müsste also mehr erzeugen, um davon leben zu können. Da helfen auch öffentliche Gelder langfristig wenig.

SN: Was ist von den österreichischen Bauern zu fordern?

Hofreither: Dass sie bei ihrer langfristigen Betriebsplanung berücksichtigen, dass die politische Unterstützung abnehmen könnte und gleichzeitig Agrarmärkte deutlich volatiler als in der Vergangenheit sein werden.

SN: Und was von der Agrarpolitik?

Hofreither: Dass Brüssel das, was in den zahlreichen EU-Grundsatzpapieren steht, zumindest ansatzweise auch in der politischen Umsetzung berücksichtigt.



Markus F. Hofreither
Der Volkswirtschafter arbeitet am Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur in Wien. Er ist die Stimme der Wissenschaft in der heimischen und internationalen Agrardiskussion. So gehörte Hofreither u. a. zu den Unterzeichnern einer von europäischen Wissenschaftern verfassten Deklaration, in der eine ehrgeizige Agrarreform gefordert wird.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 19. Juli 2011

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