Donnerstag, 14. Juli 2011

Vom Nährboden für immer neue Drangsal





Franz Kafka, Joseph Roth, Fritz von Herzmanovsky Orlando und wie sie alle heißen - sie sind längst tot. Aber die Bürokratie, die sie so wortreich, witzig und eindringlich vorführten und bekämpften, die lebt. Mehr denn je. Und selbst trotz der famosen Pläne, mit denen sich neuerdings Länder wie die Steiermark in die Herzen der Wähler kuscheln möchten.

In Oberösterreich sorgte dieser Tage ein Landwirt für Schlagzeilen, der ankündigte, einen Stier zu versteigern. Er wollte damit gegen eine Verwaltungsstrafe protestieren, die ihm aufgebrummt wurde, weil er nicht Willens war, bei der Agrarerhebung des Statistischen Zentralamtes mitzumachen. "Die haben eh alles schon sechsmal“, ließ er ausrichten und weigerte sich zu all den anderen Formularen, die vielen Bauern das Leben vermiesen, ein weiteres mit Daten auszufüllen, die ohnehin längst bekanntgegeben waren.

Mit ihm fühlen viele. Nicht nur in der Landwirtschaft. Überall fühlt man sich gequält von der immer wilder um sich greifenden Hybris der Datengier. An die 6000 Punkte insgesamt umfasst der Katalog all der Themen, zu denen etwa Unternehmen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu Auskünften angehalten werden. Ungezählt sind die Doppelgleisigkeiten, die es auch dort gibt - mit allerhand Steuer- und anderen Nummern und noch mehr Formularen.

Mit mehr als 60 Stunden beziffert die Wirtschaftskammer den jährlichen Zeitaufwand eines jeden Mitarbeiters eines Kleinbetriebs nur für die Bürokratie. Ob da die Zeit für den Umgang mit der zuweilen ebenfalls sehr üppigen Kammer-Bürokratie enthalten ist, ist freilich nicht überliefert.

Dem gemeinen Staatsbürger geht es nicht anders - von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare.

Was wurden nicht schon Seiten gefüllt mit Geschichten über die Bürokratie. Zeitungen, Zeitschriften, Bücher. Seit Jahrzehnten und immer wieder.

Aber die Bürokratie ist immer schneller.

Dabei wird es wohl, das steht zu befürchten, auch bleiben. Denn ihr an die Wurzeln zu gehen, so der Eindruck, mag, allen leutseligen Beteuerungen zum Trotz, niemand. Nicht nur, weil es aussichtslos scheinen mag, sondern wohl auch, und sich das einzugestehen, mag vielen nicht leicht fallen, weil man sich möglicherweise auch selbst an der Nase nehmen müsste. Die Politiker in Bund, Ländern oder Gemeinden oder wo immer sie sitzen, sowieso. Oder glaubt man im Ernst, dass, wie dieser Tage ruchbar wurde, mehr als 100 von Bund und Ländern kaum abgestimmte Hilfsangebote für Familien kein Mehr an Bürokratie bedeuten? Oder die Vielzahl an Bau- und anderen -ordnungen, die viele Menschen in Brot halten und aus denen die politisch Verantwortlichen ihre Daseinsberechtigung beziehen?

Auf die Politik, ihre Eitelkeit und ihren Geltungsdrang alleine die Verantwortung abzuschieben, ist freilich zu wenig. Denn die Politik reagiert vor allem und sie spiegelt die Strömungen der Gesellschaft wider, die zuweilen in Kontrollwahn, Besserwisserei und Gschaftlhuberei zu kulminieren scheinen.

Die einen fürchten sich vor allem und jedem und vermuten hinter allem und jedem eine Gaunerei, die anderen wissen alles besser. Und die dritten, das sei freilich auch genannt, haben vor allem im Sinn, ihre Pfründe zu sichern.

Das ungehemmte Wuchern der Bürokratie hat auch damit zu tun, dass in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten der Grundkonsens verloren gegangen ist, das gegenseitige Vertrauen, die Handschlag-Qualität. Statt dessen machten sich eine Kultur des Forderns, ja vielerorts eine Abzockermentalität breit, die auf nichts Rücksicht nimmt, als auf sich selbst.

Und die arbeitet der Bürokratie in die Hände, ist nichts anderes als reicher Nährboden für immer neue bürokratische Drangsal, weiß doch die Politik viel zu selten Besseres zu tun, als darauf mit immer neuen Regularien zu reagieren. Und die sind immer mit neuen Vorschriften und Formularen verbunden - mit neuer Bürokratie eben.

Die Spirale in den Griff zu bekommen, ist längst zu einer herkulischen Aufgabe geworden. Sie wird es freilich bleiben, solange von allen Seiten Ängste und Neid geschürt werden, dass irgendjemand zu kurz kommen und über den Tisch gezogen werden könnte, und die Gesellschaft nicht bereit ist, über ihre Grundlagen zu reden.

Davon ist freilich nichts zu sehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Juli 2011

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1