Donnerstag, 16. Juni 2011

Landleben zwischen Traum und Albtraum






Auf dem Land zu leben ist vielen ein Traum. Vielen ist es aber auch zuweilen ein Albtraum. Denn es ist nicht immer alles so eitel Wonne, wie man sich das in der Stadt vorstellt, nicht immer so einfach und nicht immer so problemlos.
Die Statistik gibt beredt Auskunft. Wird sie in Schlagzeilen gegossen, kommt dort das Wort "Landflucht" ins vielfältigen Formen und Ausprägungen vor. Der Zug vom Land in die Städte und Ballungsräume ist auch in Österreich ein Problem geworden.
Die Erklärungen kennt man seit Jahren. Von mangelnden Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten ist dann die Rede, von den Problemen mit der Nahversorgung. Die Wirtshäuser sterben, die Krämer, die Fleischhauer, die Bäcker. Es gibt keine Installateure und Handwerker mehr und auch die Ärzte mögen nicht mehr aufs Land. Und mit Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten schaut es auch schlecht aus.
Die gängigen Erklärungen kennt man. Supermärkte und Shopping-Citys an den Einfahrten jeder besseren Bezirksstadt sorgen für Kaufkraftabfluss. Nicht zuletzt, weil sie mit ihren Kampfpreisen und Billigangeboten den Unternehmungen draußen auf den Dörfern keine Chance lassen. Und dann noch all die Discotempel, Fleischlaberl-Schnell-Restaurationen und Cafès mit ihren Verlockungen. Unfair sei das und aussichtslos.
So weit so gut. Aber alles und ganz ehrlich ist das nicht.
Zum einen haben sich viele von denen, die sich da in Selbstmitleid ergehen, auch selbst an der Nase zu nehmen. Jeder kennt die angebräunten Wurst- und Käsescheiben, deren Ränder sich wenig einladend tagelang in der Theke des örtlichen Krämers hochkräuseln, einem den Appetit verderben und den Vorsatz festigen, das nächste Mal beim Heimfahren von der Arbeit schnell in den Supermarkt neben der Arbeit hineinzuschauen. Viele können von Abenteuern mit Handwerkern erzählen, deren Fachkenntnisse vor allem aus Lücken zu bestehen scheinen, denen Pünktlichkeit fremd, das Schreiben hoher Rechnungen aber durchaus geläufig ist. Brummige Gemeindebeamte und muffige Wirtshäuser mit ebensolchen Wirten sind auch oft nicht das, was verlockend ist. Und dann gibt's noch Vereinsmaier, die ihr Haupt-Trachten darin sehen, Vereinslokale aufzubauen und denen es -unterstützt oftmals mit Gemeinde- und Landesgeldern - völlig egal ist, wenn daneben dir örtliche Wirthauskultur verkümmert.
Zum anderen haben sich auch viele von denen an der Nase zu nehmen, die sich so gern darüber beklagen, dass der Bäcker zumacht, der Wirt, der Metzger, der Baumeister oder der Doktor, und dass auch sonst nichts los ist. Mit ihrer Gedankenlosigkeit, mit ihrer Selbstherrlichkeit, mit ihrer Geizistgeil-Mentalität, die sie jedem Cent nachrennen lässt, und ihrem herablassenden Gehabe dem Dorfleben gegenüber, zu dem sie sich weigern irgendetwas beizutragen, machen sie sich zu Totengräbern des Landlebens . Da kann sich mancher kleine Lebensmittelhändler, manch kleiner Bäcker, Fleischhauer oder der Kirchenwirt noch so bemühen. Und der Handwerker erst recht.
Die Gründe für die Krise des Lebens auf dem Land, für den Zug in die Ballungsräume, für die Landflucht, liegen tiefer als sie in der öffentlichen Diskussion gespiegelt werden. Auf dem Land wissen die Institutionen und politischen Parteien, die Unternehmungen, aber vor allem auch die Menschen selbst oft nicht, so der Eindruck, mit dem Landleben und seinen spezifischen Erfordernissen umzugehen. Zuweilen verschläft man Entwicklungen, die zumeist aus dem städtischen Umfeld kommen, zuweilen stemmt man sich gegen sie und merkt nicht, wie man damit die eigene Zukunft verbaut.
Denn oft ist es sehr stickig auf dem Land. Die Luft kann sehr dünn sein in diesem Klima, in dem jeder jeden kennt, in dem jeder von jedem und jeder über jeden etwas weiß und in dem Toleranz oft immer noch ein Fremdwort ist - und in dem es doch und gerade deswegen so schwer ist, etwas zu bewegen, Verhaltensweisen zu ändern und Dinge zu verändern. Damit muss man umgehen können und wollen.
Möglich ist es - wenn sich jeder selbst bei der Nase nimmt. Der Krämer mit den kringeligen Wurstscheiben, der muffige Wirt, der Herr und die Frau Gemeinderat und alle jene, die - zumeist - gedankenlos ihr eigenes Umfeld links liegen lassen. Die vor allem.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 16. Juni 2011

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