Donnerstag, 9. Juni 2011

Durchgekaut, zerbissen, ausgelutscht - und ausgespuckt






"Gurken-Taliban", "Bio-Sündenfall" oder einfach ein vor Häme triefendes "Es waren Bio-Gurken" - wie ein Tsunami fegte in der Vorwoche über die heimische Bio-Landwirtschaft und schien alles mitzureißen, was in den vergangenen Jahren mit Mühe, Engagement und gegen viel Widerstand zu einem veritablen und vorzeigbaren Zweig der Landwirtschaft aufgebaut wurde. Im wahrsten Sinne wie die Gurken durchgehachelt wurden die gesamte Branche von einer toll gewordenen Medien-Maschinerie. Und als sich dann nach wenigen Tagen herausstellte, dass alles nicht stimmte, war nichts als dröhnendes Schweigen. Kein Wort der Entschuldigung, kaum Bemühen um Schadensbegrenzung. Die Karawane zog weiter. Auf der Suche nach dem nächsten Opfer.
Durchgekaut, zerbissen, ausgelutscht - und ausgespuckt. EHEC, Vogelgrippe und Aids. Kampusch, Kachelmann, Strauss-Kahn, Grasser. Haiti, Fukushima, Irak, Afghanistan, Libyen. Asyl, Integration, Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer. Es scheint überall das gleiche zu sein. Themen werden hochgejazzt, hysterische Reaktionen und Stellungnahmen bestimmen ein paar Tage die öffentliche Diskussion mit einer erdrückenden Präsenz, die alles daneben als unbedeutend erscheinen lässt und verschwinden dann im Orkus der Informationsgesellschaft.
Beim Fernsehen steht dafür der Ausdruck "zappen". Hier aber geht es um Leben, Politik, Hilfe. Und das sind nicht wirklich Themen, die sich fürs "zappen" eignen.
Gemeinhin gibt man den Medien die Schuld, dass es so ist. Dem ist wenig entgegenzuhalten. Vor allem die Boulevardmedien tun alles - und das in einer immer größeren Dreistigkeit - um diesen Ruf weiter zu festigen. Aber auch als seriös geltende Medien zeigen sich immer öfter anfällig für blanken Aktionismus, wenn er nur Auflage verspricht.
Es sind aber nicht die Medien alleine. In die Pflicht zu nehmen sind auch viele von denen, die sich darüber zuweilen heftigst gerieren - die Politik, die Wirtschaft, die Interessensvertretungen, Behörden und sogar Wissenschaft und Justiz.
Denn der korrekte und sachliche Umgang mit Information, Verantwortung, Rechtssicherheit und die richtige Einordnung von Ereignissen sind auch ihre Themen. Und bei denen versagen sie häufig ebenso wie die so gerne gescholtenen Medien.
Sie alle lassen mitunter Verantwortung vermissen und heizen Stimmungen an, weil sie glauben, nicht mehr anders Gehör zu finden und Zahl und Länge von Zeitungsartikeln und Rundfunk- und Fernsehminuten nicht nur als Bestätigung, sondern oft auch als Inhalt ihrer Arbeit betrachten.
Zu fragen ist, was die Beteiligten vor Augen haben, wenn sie fette Schlagzeilen und vor Häme und zuweilen Hass triefende Presseaussendungen formulieren und bei Reden agitiere, statt zu argumentieren. Was etwa ist von einer Politik zu halten, die nur einseitig Interessen der eigenen Klientel im Auge hat und deren vorderstes Trachten es ist, allenfalls dem politischen Gegner eins auszuwischen?
Was etwa ist das für eine Justiz, die mit ihrer Informationspolitik Leuten wie Karlheinz Grasser oder Helmut Elsner die Möglichkeit gibt, sich zu Märtyrern zu stilisieren, statt sich an die Grundsätze des Persönlichkeitsschutzes zu halten und sie wie jeden anderen zu behandeln? Und was ist das für eine Wissenschaft, die arglos Verdächtigungen streut, statt sich an Fakten zu halten?
In diesem Klima ging in den vergangenen Jahren viel kaputt und verloren - von der Handschlagqualität im Umgang der Repräsentanten öffentlicher Institutionen miteinander bis hin zum Vertrauen der Menschen in die Politik, Justiz und Wissenschaft.
In diesem Klima, in dem alle Beteiligten die öffentliche Aufmerksamkeit zur obersten Maxime erhoben haben, sind die Sitten in den vergangenen Jahren regelrecht verludert. Statt Kontinuität, wie sie jede Gesellschaft braucht, gibt es oft nur mehr Blockade und Zerstörung, die Opfer hinterlässt, aber in der Sache nichts weiterbringt.
Diesmal war's schlimm für die Biobauern. Die Letzten werden sie nicht sein. Demnächst kommen andere dran.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 9. Juni 2011

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