Freitag, 27. Mai 2011

"Verschon mein Haus, zünd' s'andre an!"





Ein Land stranguliert sich selbst und schaut sich zu dabei. Reformstau heißt das neuerdings ganz euphemistisch in Österreich. Nichts scheint mehr zu gehen. Ein ganzes Land ist dabei, sich unter dem Banner des Florianiprinzips zu paralysieren. "Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd' s'andre an!" haben offenbar alle im Kopf, die hierzulande über Reformen reden oder reden sollten. Und damit ist in den vergangenen Jahren ein Österreich ein Klima entstanden, in dem der Stillstand das wichtigste Ziel zu sein scheint - nur keine Wellen.
Das Land, das sich im Winter an den Leistungen der Skifahrenden und -springenden Landsleute erbaut, tut das im Sommer neuerdings mangels Alternativen am Erfolg einer - sic! - Polsterschlacht-Weltmeisterin.
In internationalen Rankings hingegen, wie jüngst, als es um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ging, rutschen wir beständig ab. Ganz so wie bei Pisa seit Jahren. Schulreform? Auf der langen Bank. Pensionsreform? Auch dort. Sozialversicherungen, Eisenbahn, Gesundheitswesen, Steuersystem - an der langen Bank muss wohl etwas angestückelt werden, damit dort alles Platz hat, was in diesem Land sosehr der Reformen harrt, dass man mitunter sogar, wie zuletzt eine ganze Reihe führender Manager, lautstark und mit groben Worten danach schreit.
Schuld daran ist nicht nur die Politik. Ja, natürlich kann man ihr vorwerfen nichts anders zu tun, als den Stillstand fortsetzen. Natürlich kann man über das Schielen auf Schlagzeilen klagen, über leere Ankündigungen und Schwarzer-Peter-Spiele, die nichts anderem dienen, als die Verantwortung von sich zu schieben, um - wie jüngst die Landeshauptleute - nicht als Bremser dazu stehen.
Aber: Hinter der Politik und den Politikern stehen auch Interessengruppen, stehen Menschen, die sie in die Pflicht nehmen. Dazu kommen Medien, die sich zuweilen getragen von markttaktischen Überlegungen, einmischen, Stimmungen befeuern und ihr eigenes Spiel spielen und dabei mitunter alles andere als das staatliche Ganze und damit das Gemeinwohl im Sinn haben.
Die Stimmung ist gespannt. Die Spielräume, zumal die finanziellen Spielräume, sind klein geworden. Die Budgets sind ausgereizt. Die Wirtschaftskrise und die Probleme mit dem Euro ziehen tiefe Spuren. Da wird es schnell eng. Erst recht in einem Land wie Österreich, in dem über Jahrzehnte das Füllhorn über die Bevölkerung ausgeschüttet wurde und sich die Politik Wählergunst vorzugsweise mit finanziellen Zuwendungen erkaufte. Dass sich viel davon längst strukturell verselbstständigt hat und als unantastbar gilt, macht die Sache nicht leichter.
In Zeiten, in denen der Kuchen nicht mehr größer, sondern kleiner wird, wird damit jede Reform, und ist sie auch noch so nötig, für die Politik zu einem Vabanque-Spiel, das reichlich Stoff für populistische Spielchen bietet. Zumal in einem Land wie Österreich, in dem die Scheckbuch-Politik der vergangenen Jahrzehnte in großen Teilen der Bevölkerung das Gefühl für Verantwortung für das eigene Leben verwässert und vor allem Begehrlichkeiten gezüchtet hat.
Mehr als 500.000 öffentlich Bedienstete, 2,65 Millionen Pensionisten, 150.000 Landwirte samt Familien deren Auskommen mehr oder weniger direkt vom Staatssäckel abhängt, dazu all die öffentlichen Mittel für Wirtschaft, Kommunalwesen, Soziales und Bildung - Motive zuhauf, sich gegen Veränderungen zu wehren. Da ist ein ganzes Land nachgerade selbst zur Geisel geworden. Und es verwundert nicht, dass es sich bei Reformen selbst im Weg steht.
Auch wenn inzwischen das ganze Land nach Reformen lechzt, ist es vor diesem Hintergrund schwierig, etwas in Bewegung zu setzen. Denn zu gewinnen hat keiner was, wohl aber zu verlieren.
Die Situation verlangt von allen Beteiligten und Betroffenen viel Verständnis und wohl auch - auch wenn es schwer fällt - Entgegenkommen.
Und sie verlangte auch eine starke Politik. Die freilich, so steht zu befürchten, ist nicht zu erwarten. Allerorten laufen die Arbeiten zur Sicherung der Pfründe auf Hochtouren. Die Devise dabei ist nicht neu: "Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd' s'andre an!"
Dass dabei das ganze Land abbrennen kann, nimmt man in Kauf. In zwei Jahren sind ja Wahlen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. Mai 2011

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