Samstag, 16. April 2011

Mit Wonne in den Wahnsinn





Die allgemeine Gewissenserforschung nach Fukushima brachte es an den Tag. Billigstrom enthält am meisten Atomstrom. Die Bevölkerung staunt und zeigt sich überrascht. Da hat man sich doch so gefreut, dass man dem langjährigen oft so hochnäsigen Stromanbieter, der sich alles und jedes zahlen und sich um alles und jedes bitten ließ, eine lange Nase drehen konnte. Und dann das. Aus den eigenen Steckdosen kommt überdurchschnittlich viel Atomstrom.
Da drängt sich freilich schon die Frage auf: Ja, was hat man sich eigentlich gedacht, als man zum Billiganbieter wechselte? Dass dort das Geld auf den Bäumen wächst? Dass die eine Gelddruckmaschine im Keller haben, die ihnen so billige Tarife erlaubt? Oder dass die etwas wissen, was andere nicht wissen?
Billig. Hauptsache billig. Alles muss immer billig sein. Nicht nur der Strom. Auch die Urlaubsreise, die Wohnung, die Kleidung, die Computer, das Handy. Alles, wie es scheint. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Bei Lebensmitteln, beim Essen insgesamt ist es besonders krass. Nur mehr 13 Prozent der monatlichen Aufwendungen werden für Lebensmittel ausgeben. Dabei ist die Zeit, dass es dreißig Prozent waren und mehr, noch gar nicht lange vorbei. Heute aber sind alle, so scheint es zumindest, nur mehr bereit, dafür ein „s-Budget“ locker zu machen und die Einkaufswägen und Kühlschränke möglichst „clever“ zu füllen. Mit dem Super-Sonderangebot, mit „Zwei zum Preis von einem“-Schnäppchen von einem und Dauertiefstpreis-Stücken.
Aber schon vorm Supermarkt führt man beredt Klage über den Trend zur Industrialisierung in der Landwirtschaft und zu größeren Bauernhöfe und Ställe, über geschundene Tiere und über Agrarchemie. Ja, und erst recht das Bauernsterben – arg!
Das hat, mit Verlaub, durchaus etwas Schizophrenes. Denn Reden und Tun kommen dabei mitunter daher, als kämen sie nicht von einer Person. Zu einem guten Teil ist das anerzogen. Es ist aber auch angewohnt. Und - das vor allem – man macht die Augen zu. Ein Achselzucken allenfalls. Wird schon passen.
Dass es das nicht tut, dass wir uns was vormachen, das zeigen dann solche Ereignisse wie Fukushima. Das zeigt der eine oder andere Lebensmittelskandal, das zeigen ab und an alarmierenden Berichte zu Luftverschmutzung und Klimaänderung.
Die Aufregung freilich dauert zumeist gerade einmal von zwölf Uhr bis Mittag, wie es so schön für etwas heißt, das nicht von geringster Dauer ist. Dann lässt man sich wieder mit Wonne von der Werbung einlullen und greift zu den nächsten Prospekten um aufs Neue auf Schnäppchenjagd zu gehen.
Viele Billigangebote - vom Strom bis zum Essen und allem dazwischen - sind Mogelpackungen. Oft kommen die Preise nur mit Tricks und Tücke und einem gerüttelt Maß an Brutalität, Ausbeutung und Rücksichtslosigkeit zustande. Kosten werden ausgelagert, fragwürdige Rohstoffe und gefährliche Technologien eingesetzt und Menschen ausgebeutet.
Die wahren Produktionskosten scheinen nicht in der Rechnung auf. Nicht die Kosten für den Atomstrom in der Abrechnung des Billiganbieters. Nicht die Kosten für die billigen Lebensmittel. Bei Atomstrom ist keine Rede vom hohen finanziellen Aufwand (und schon gar nicht von den Gefahren), die diese Energieform der Allgemeinheit auflastet. Und verdrängt wird, dass genau die billigen Lebensmittel die Landwirtschaft zu einem wirtschaftlichen und politischen Sorgenfall machen, der den öffentlichen Haushalten in aller Welt Milliardenschwer auf den Taschen liegt.
Freilich, es gibt da auch eine andere Seite, über die, die Billigangebote so gerne geißeln, nicht recht reden wollen: Der Umkehrschluss, dass hohe Preise per Se wertvolle Produkte und ehrliche Produktionsbedingungen und Rohstoffe bedeuten, gilt leider genauso wenig, wie der, dass billige Produkte schlecht sind. Denn auch wenn man bereit ist, mehr Geld auszugeben, fährt man oft ein, wird enttäuscht und hinters Licht geführt.
Und das hat dann wohl sehr viel damit zu tun, dass viele lieber gleich zum Billigen greifen – da ist die Enttäuschung einkalkuliert, aber nicht unnötig teuer.

Raiffeisenzeitung - 14.April 2011

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