Donnerstag, 17. März 2011

Japan – unser aller Prüfstand





In diesen Tagen braucht es schon sehr viel an Fortschrittsglauben, will man nicht ins Zweifeln kommen. Die Bilder aus Japan, die Verzweiflung, die Angst. Die unabschätzbaren Folgen. Was da im Land der aufgehenden Sonne geschieht, ist unfassbar. Und es war unvorstellbar.

Ausgerechnet Japan. Das Land, in dem alles zusammenkommt, was in der Welt, zumal in der industrialisierten Welt, zunehmend Sorge macht. Eine enorm hohe Bevölkerungsdichte, Raumnot, riesige Ballungszentren, internationale Abhängigkeiten in Ernährung und Wirtschaft – und ein unvorstellbar großer Energiebedarf.

Japan hat sich am weitesten vorgewagt. Es hat angesichts der beengten Verhältnisse keine Alternativen dazu. Man nutzt wie kein anderes Land modernste Technik und modernste Technologien – und mögen sie, wie die Atomkraft, umstritten sein. Nur so sah man offenbar man eine Chance, mit all diesen Anforderungen, die jede für sich eine enorme Herausforderung ist, zurechtzukommen.

Japan ist das Land, in dem der Fortschritt nachgerade kulminiert wie nirgendwo sonst auf der Welt, der Inbegriff dessen, was möglich ist, so etwas wie ein Labor der Zukunft.

Und nun der Schlag, die Katastrophe, mit oder ohne Kernschmelze der Super-GAU.

Kaum je wurde uns die Zerbrechlichkeit unseres Systems so drastisch vor Augen geführt. Kaum je wird so deutlich, wie weit wir alles vorangetrieben haben, damit es uns möglichst gut geht und wir auf nichts verzichten müssen.

Die Folgen für die Energiepolitik, für unser Verhältnis zur Technik, für den Glauben an den technischen Fortschritt sind nicht abzuschätzen. Nicht nur in Japan. Bei weitem nicht.

Japan ist überall. Das Erdbeben durchschüttelte die Grundfesten vieler Argumentationsgebäude und unser Denken.

Ist Japan die Wende? Gespannt werden wohl wir alle in den nächsten Wochen und Monaten beobachten, welche Spuren die Katastrophe hinterlassen wird. In unserem Denken, im Denken der Politik und in den Köpfen all derer, die irgendwo in Unternehmungen und Organisationen an den Schalthebeln sitzen. Welche Lehren werden von wem gezogen? Wie schnell? Wie lange halten die Vorsätze? Oder wie rasch ist alles wieder beim Alten?

Japan ist der vorläufige Höhepunkt von Ereignissen und Entwicklungen, die uns zeigen, was unsere Gesellschaft zumeist so schnell verdrängt, wie es nur geht – wir fragil die Verhältnisse sind, in denen wir leben.

Zeigt uns Japan, dass sich die Technologien, auf denen wir unseren Alltag aufbauen von einer Minute auf die andere gegen uns wenden können, so zeigen uns die Ereignisse in Nordafrika und in der arabischen Welt, an welch dünnen Fäden unsere Rohstoffversorgung hängt. Und nicht nur das. Die politischen Verhältnisse in dieser Region sind von eminenter Bedeutung nicht nur für die internationalen Wirtschaft und den Wohlstand, zumal jenem in der industrialisierten Welt, sondern für die internationale Politik insgesamt.

Und dann ist da noch die internationale Finanz- und Schuldenkrise, die gerade in diesen Wochen wieder ihre Fratze zeigt. Auch sie wird gerne verdrängt und kleingeredet. Es lebt sich ja besser so – meint man zumindest.

Man darf gespannt sein, wie sich die Dinge entwickeln – in der internationalen Wirtschaft und auf den Finanzmärkten, in Nordafrika und im arabischen Raum. Und natürlich in Japan, das zum Prüfstand für unsere Wohlstandstechnik und für unseren Fortschrittsglauben geworden ist.

Wenn Japan bei der Bewältigung der Katastrophe und ihrer Folgen scheitert, dann ist das, was wir für Fortschritt halten, überhaupt gescheitert.

Wenn es aber die Katastrophe bewältigt, dann ist das Rückenwind für das, was schon bisher als Fortschritt gilt. Und damit, so steht zu befürchten, auch für all das, was er bisher an negativen Folgen mit sich brachte - ein Freibrief.

Das aber braucht die Welt, nach allem was passiert ist, nicht.

Denn nachdenklich machen sollte Japan allemal. Nicht nur ein paar Tage lang.

Raiffeisenzeitung - 17. März 2011

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