Freitag, 5. Juni 2009

Der Zynismus der Reichen





Es nimmt kein Ende. Immer neue Wellen. Weltbank, UNO-Organisationen, Gruppen wie Greenpeace und auch manche politische Führer aus Staaten der Dritten Welt, dazu die vielen Politiker und Gruppierungen, die hierzulande politisches Kleingeld machen wollen - die Erzeugung von Biotreibstoffen sei nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern auch für die hohen Lebensmittelpreise verantwortlich. Und für den Welthunger. Sonnenklar.

Was müssen sich wohl die österreichischen Bauern dabei denken?

Was mussten sie in den vergangenen Jahrzehnten Hohn über sich ergehen lassen. Wie sehr litten sie darunter, dass ihre Produkte nichts mehr wert waren. Nur noch Erzeuger von Überschüssen, die niemand braucht und die noch dazu Milliarden an Stützungen erforderten, um sie irgendwie verkaufen zu können. Nichts war zu verdienen in der Landwirtschaft. Flächen wurden stillgelegt, die Produktion zurückgefahren. Auf den Feldern und in den Ställen war Extensivierung angesagt. Und auch politische Linie.

Bauern als Grünraumpfleger.

Die Preise waren trotzdem im Keller. Viele Bauern sahen sich als Almosenempfänger und die Landwirtschaft als Problembranche.

Unintelligent seien ihre Produkte, mussten sie sich anhören, ohne jede Zukunft. Gerade, dass sie sich nicht schämen mussten. Zu dumm und zu träge, um das Richtige für den Markt zu erzeugen, wussten die Kritiker.

Nun geht es der Landwirtschaft etwas besser, gibt es etwas, das man lange nicht mehr kannte - Perspektiven. Und schon sind sie wieder da. Genau die gleichen, die immer gewusst haben, dass man die Landwirtschaft eigentlich gar nicht mehr braucht, die sich über die Überschüsse lustig machten und die wortgewaltig kritisierten, dass die Industriestaaten, allen voran die Europäische Union, mit ihren Überschüssen die Landwirtschaft in den Ländern der Dritten Welt in den Ruin treiben. Die Überschüsse werden dort, so der Vorwurf der vergangenen Jahrzehnte, billig auf die Märkte geworfen und verdrängen die ortsansässige Landwirtschaft.

Und jetzt? Genau die gleichen, die bisher so argumentierten, werfen nun den Industriestaaten vor, durch die Erzeugung von Biotreibstoffen die Preise für Lebensmittel in die Höhe zu treiben, für die Hungerrevolten in Ländern wie Mexiko, Ägypten oder anderswo verantwortlich zu sein, ja überhaupt für den wachsenden Hunger in der Welt.

Das ist schwer zu verstehen. Und es entbehrt nicht eines gewissen Zynismus.

Denn eigentlich tun die Industriestaaten, insbesondere die Europäische Union und damit auch Österreich, mit dem Aufbau einer Biotreibstoff-Erzeugung seit Jahren genau das, was immer verlangt wurde. Man baut eine Verwertung für die eigenen Überschüsse auf. Für jene Überschüsse, für die man völlig zu Recht so heftig kritisiert wurde, weil sie die Märkte in der Dritten Welt verderben.

Milchseen und Getreideberge, lange Jahrzehnte Stoff für massive Kritik an der Landwirtschaft sind Geschichte, die Lager sind leer.

War es nicht das, was immer verlangt wurde? Obwohl Hunderte Millionen Menschen hungerten.

Das ist auch das Zynische gegenüber den Menschen in der Dritten Welt. Das Hungerproblem gab es dort schon, als es überall Agrarüberschüsse gab und in den Industriestaaten Lebensmittel vernichtet wurden. Was muss man sich dort gedacht haben, als man hörte, dass in Europa Flächen stillgelegt werden; was, wenn sie lesen mussten, wie Fleisch, Getreide und Gemüse vernichtet wurden?

Da war von denen, die sich jetzt so große Sorgen um den Hunger machen, nicht viel zu hören. Da waren sie wohl noch damit beschäftigt, die Landwirtschaft zu geißeln und für ein Problem zu halten.

Bemerkt hat man das Hungerproblem wohl erst, als in Wien, London, Rom, Paris und New York die Milch für den reichlich gedeckten Frühstückstisch teurer wurde, das Stück Emmentaler fürs Jausenbrot und die Spaghetti für die Bambini. Da wurden zunächst einmal die vorgeschickt, denen es auch bei uns nicht gut geht. Menschen mit geringeren Einkommen sind von der Teuerung der Lebensmittel überdurchschnittlich betroffen, wurde vorgerechnet. Dann kamen die Demonstrationen in Mexiko, die Revolten in Ägypten und in anderen Staaten. Und dann merkte man: Da ist ja auch noch das Hungerproblem.

Der schnelle Schluss lag nahe: Biotreibstoff ist für den Welthunger verantwortlich.

Dieser Schluss aber ist zu schnell. Und deswegen gefährlich für Menschen der Dritten Welt. Denn es ist falsch, Biosprit allein als Preistreiber zu brandmarken und andere viel wichtigere Faktoren zu vernachlässigen.

Bei der Bekämpfung des Welthungers geht es nicht um die Frage Biosprit ja oder nein, sondern darum, den Ländern und den Menschen dort wirklich zu helfen. Landwirtschaft in den betroffenen Ländern ist oft schwierig, Agrarpolitik gibt es kaum, Despoten sitzen an den Hebeln der Macht oder multinationale Gesellschaften haben sich alles unter den Nagel gerissen. Oder beides.

Das ist das eine.

Das andere: Was wollen all die Kritiker eigentlich jetzt von der Landwirtschaft in Europa und in anderen Industriestaaten? Dass wieder mit Vollgas produziert wird? Mit allen Mitteln und mit allen Technologien? Dass in Europa und Nordamerika ganz gezielt Agrarüberschüsse produziert werden, die dann in die Dritte Welt geschickt werden? Wie stellen sie sich die Hilfe vor?

Oder will man das Rad zurückdrehen? Runter mit den Preisen, wieder Flächen stilllegen, Feinkost erzeugen für den feinen Frühstückstisch?

Und Hunderte Millionen Menschen in aller Welt hungern weiter? Wie in den vergangenen Jahrzehnten auch?

Das kann es wohl auch nicht sein. Darum ist dringend eine Versachlichung der Diskussion zu fordern. Es gibt viele Fragen zu diskutieren. Aber die Hysterie der vergangenen Monate dient niemandem. Nicht der Umwelt. Und schon gar nicht den Menschen, die Hunger leiden.

Hans Gmeiner
Raiffeisenzeitung" Nr. 23/08 vom 05.06.2008

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