Donnerstag, 25. Juni 2009

„Testballon“ gegen Preiskrise





HANS GMEINER Neusiedl/See (SN). Der Landwirtschaft machen die Preissprünge bei Milch, Fleisch und Getreide seit zwei Jahren große Probleme. Die Getreidepreise zum Beispiel verdoppelten sich vor zwei Jahren innerhalb weniger Monate auf knapp 300 Euro pro Tonne, heuer liegen sie unmittelbar vor der Ernte wieder bei 140 Euro. In den nächsten Wochen, wenn in ganz Europa und in Nordamerika die Felder abgeerntet werden, müssen die österreichischen Bauern mit noch niedrigeren Preisen rechnen. Und das, obwohl in Österreich eine deutlich geringere Ernte als im Vorjahr und weltweit eher steigende Preise vorhergesagt werden.
Der Grund dafür: Vor allem auf dem für Österreich maßgeblichen osteuropäischen Markt liegen noch große Mengen Getreide aus dem Vorjahr in den Silos. Allein in Ungarn sollen es jeweils rund eine Million Tonnen Weizen und Mais sein. Aber auch in Österreich selbst sind die Getreidelager mit gut 700.000 Tonnen viel besser gefüllt als in den vergangenen Jahren. „Ein Teil davon ist bereits verkauft und bezahlt, aber die Aufkäufer haben wegen der Wirtschaftskrise derzeit keine Verwendung dafür“, sagt Ernst Gauhs von der Raiffeisen Ware Austria.
Nun fordern die Bauern für Getreide die Einrichtung eines Krisenlagers, um Marktspitzen ausgleichen zu können. Weil die EU ihre bisherigen Überschusslager sukzessive schließen will, nehmen sie in ihrer Argumentation eine Anleihe bei der NATO. „Dort sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, neben Vorsorgelagern für Öl und Gas auch Getreidekrisenlager zu halten“, sagte am Mittwoch der Präsident der Agrarmarkt Austria und Chef der burgenländischen Bauernkammer, Franz Stefan Hautzinger.
In Österreich sollen 150.000 Tonnen Getreide in ein solches Lager kommen, fordern Hautzinger und Gerhard Wlodkowski von der Landwirtschaftskammer Österreich. „Das wäre ein Puffer, um die Bocksprünge bei den Preisen zu verringern und würde nicht nur den Bauern, sondern auch den Konsumenten Sicherheit geben“, meinten sie. „Damit könnte man zumindest die äußersten Preisspitzen kappen.“
Die Kosten für das eingelagerte Getreide werden mit 15 Mill. Euro beziffert. Dazu kämen jährlich drei Mill. Euro für die Lagerung und allfällige Verwaltungskosten. Die Mittel dafür sollen von der EU kommen. In den nächsten Wochen soll ein detaillierter Vorschlag folgen. Hautzinger: „Noch ist es ein Testballon.“

Wirtschaft / 25.06.2009 / Print

Donnerstag, 18. Juni 2009

Lücken in der Kennzeichnung






Gütesiegel in allen Größen, Herkunftszeichen sonder Zahl, allerlei Stempel auf Milch- und Käsepackerl und Fleischstücken - und dann das. Der Käse auf der Pizza schaut nur so aus, als wäre er Käse und ist gar keiner. Auch nicht der auf dem Jausenweckerl und der auf dem Stangerl, das man abends beim Fernsehen knabbert.
Kunstkäse ist vor allem ein Thema der Lebensmittelkennzeichnung. Zwischen all den Kontrollen und Vorschriften, mit denen Landwirtschaft, Hersteller und Handel seit Jahren regelrecht drangsaliert werden, gibt es noch große Lücken.

Vor allem in der Gastronomie, in den Großküchen, aber auch bei Tiefkühlgerichten, Backwaren und Ähnlichem liegt vieles im Argen. Was einem da wirklich aufgetischt wird, weiß kaum einer von uns - es sei denn, er ist Lebensmitteltechnologe und kann mit all dem klein gedruckten Fachchinesisch auf Verpackungen etwas anfangen. Das ist untragbar, zumal wir als Konsumenten sehr oft - siehe Kunstkäse - ohne mit der Wimper zu zucken hinters Licht geführt werden.

Kunstkäse ist nicht schlecht, aber wenn schon, dann wollen wir uns selbst dafür entscheiden. Darum braucht es rasch klar verständliche Kennzeichnungen, auf die sich die Konsumenten verlassen können. Nicht nur für Kunstkäse.

Von Hans Gmeiner am 18. Jun 2009 um 15:30 in Wirtschaft

Kunstkäse erregt die Gemüter





Kunstkäse ist auch für heimische Molkereien ein Thema. Alpenmilch-Haupteigentümer Meggle zählt zu den großen Erzeugern.

HANS GMEINER Salzburg (SN). „Pizza-Mix“ oder „Gastromix“ steht auf den Verpackungen. Drinnen befindet sich etwas, das ausschaut wie geriebener Edamer oder Mozzarella, aber damit nichts zu tun hat. Es handelt sich um Kunstkäse, der aus pflanzlichen Fetten, Stärke, Geschmacksverstärkern und Aromen zusammengemixt wird. Seit Wochen sorgen diese Produkte, die vor allem in der Gastronomie eingesetzt werden, für Schlagzeilen. Die Bauern sind darob regelrecht aus dem Häuschen. Sie halten „Analogkäse“ wie die Produkte von Lebensmitteltechnologen genannt werden, für einen der wichtigsten Gründe für die derzeitigen Probleme auf dem Milchmarkt.
Nun stellt sich heraus, dass auch den heimischen Molkereien die Erzeugung von Kunstkäse nicht fremd ist. „Wer Schmelzkäse machen kann, kann grundsätzlich auch Kunstkäse erzeugen“, weiß man in der Milchwirtschaft.
In Vorarlberg geriet unlängst Alma mit einem Pizzakäse in die Schlagzeilen, der alles enthielt, nur keine Milch. Alma gehört zwar seit dem Vorjahr der Privatkäserei Rupp, doch schon Jahre davor stieg die damals noch rein bäuerliche Genossenschaft in die Produktion von Kunstkäse ein.
Auch bei der Salzburger Alpenmilch ist das Thema auf dem Tisch, obwohl sie selbst keinen Analogkäse erzeugt. Aber der Alpenmilch-Haupteigentümer Meggle, ein bayerischer Milchkonzern, zählt im deutschen Sprachraum mit einer jährlichen Produktion von 6000 bis 10.000 Tonnen Kunstkäse zu den großen Spielern auf dem Markt. „In intensiver Zusammenarbeit mit unseren Kunden werden Compounds zur Herstellung von Käsesubstituten entwickelt“, heißt es auf der Meggle-Hompage. „Verschiedenste Käsesorten, ob schnittfähig, streichfähig oder Pizzakäse können somit günstiger als Naturkäse hergestellt werden.“ Meggle-Sprecher Heinz Brüller findet nichts Besonderes dabei. „Wir stehen dazu“, sagt er im Gespräch mit den SN. „Das ist wegen der Haltbarkeit, den Backeigenschaften und der Qualität eine optimale Geschichte.“ Meggle deklariere die Produkte richtig, hält Brüller fest. „Ob das auch die Weiterverarbeiter tun, da bin ich mir nicht so sicher.“
Die negativen Schlagzeilen rund um Analogkäse sind für den Meggle-Sprecher nicht nachvollziehbar. „Bei Kunstkäse geht es vor allem darum, Milchfett durch Pflanzenfett zu ersetzen.“ Das sei ein ganz normaler Vorgang, sagt er. „Bei Margarine kommt ja auch niemand darauf, sie Analogbutter zu nennen.“
Brüller zeigt sich angesichts des Wirbels verwundert. „Mit unseren Mengen tun wir den Bauern nicht weh“, sagt er. „In den USA gibt es diese Produkte seit 20 Jahren.“
Die Aufregung in der Bauernschaft hält Brüller daher für überzogen und trifft sich dabei mit Einschätzungen aus der heimischen Milchwirtschaft. „Man sucht einen Strohhalm“, heißt es dort. „Die 10.000 Tonnen Analogkäse, die angeblich in Österreich verkauft werden, sind zwar viel, aber bei einer Gesamtmenge von 150.000 Tonnen Käse nicht kriegsentscheidend.“
Schon gar nicht bei den derzeitigen Preisen. Die bringen nämlich Analogkäse noch mehr unter Druck als echten Käse. Der Preisvorteil, der bei hohen Milchpreisen 40 Prozent und mehr ausmachte, ist derzeit so gut wie weggeschmolzen. Das bestätigt Meggle-Sprecher Brüller: „Der Absatz geht derzeit eher zurück“.
Wirtschaft / 18.06.2009 18.06.2009 / Print

Freitag, 12. Juni 2009

Agrarpolitik für die Galerie




Die Kicker auf dem Fußballfeld grätschen mit großer Geste nach dem Ball, auch wenn sie keine Chance haben, ihn zu erwischen. Haben sie ihn dann doch einmal, steigen sie lieber einmal drüber, als ihn weiterzuspielen. Und im Straf raum setzen sie schon theatralisch zur Schwalbe an, wenn ihnen ein Verteidiger der gegnerischen Mannschaft auch nur nahekommt.

"Die spielen ja nur für die Galerie", sagt man dann. Wenig mannschaftsdienlich, wenig effizient, kaum zielorientiert. Nicht der Torerfolg zählt, sondern die große Geste.

Verzeihen Sie diesen Ausflug in die Welt des Sports. Aber dem Beobachter der Aktivitäten der heimischen Agrarpolitiker drängt sich schon seit geraumer Zeit dieser Vergleich auf. Die Beispiele häuften sich in den vergangenen Monaten.

Da "begrüßt" ständig irgendein schwarzer Agrarpolitiker wortreich, was der andere "Schwarze" macht. Da erklären die "Jungbauern" ihre Teilnahme an einem Marathonlauf zu einem "Zeichen für dynamische Politik". Da will der rote Agrarsprecher, der noch vor kurzem über hohe Konsumentenmilchpreise schimpfte, auf einmal "faire Preise" für die Bauern. Da poltert die IG-Milch fernsehgerecht über Verschwörungen, da gibt der BZÖ-Agrarsprecher vor, mit einem "scharfen Protest" bei Aldi in Deutschland wegen einer Preissenkung bei Milchprodukten Politik zu machen - potzblitz, da werden die aber zusammengezuckt sein.

Absichtserklärungen werden zu Erfolgen hochgeschrieben und Demonstrationen organisiert, um die Bauern bei der Stange zu halten. Da werden Gipfel einberufen und Konzepte angekündigt. Und da melden sich plötzlich Leute zu agrarpolitischen Themen wie Milch zu Wort, die keine Kuh von einem Stier unterscheiden können. Dazu die vielen Aufforderungen an die Konsumenten, österreichisch zu kaufen, jede Menge "No na"- Schlag zeilen wie "Unsere Milch verdient einen ordentlichen Preis" und viele andere Flachheiten mehr. Hier eine Aussendung, da noch ein paar Worte oder dort eine Schimpftirade. Sprechblasen allenthalben. Und das alles soll Politik sein?

Man kennt die Grillitschs, Wlodkowkis, Grünzweils, Gaßners, Pirklhubers, Jannachs und Hubers und wie sie alle heißen. Und auch der Minister versteht sich schon gut auf dieses Geschäft. Sie geben vor, Politik zu machen, und dabei geht es ihnen allzu oft doch nur um die Beruhigung der eigenen Wählerschaft, um politisches Kleingeld oder schlicht um die eigene Profilierung und um die Selbstdarstellung in den Medien.

Man mag es ihnen gar nicht verdenken, denn für alles finden sich Bauern, die dazu klatschen, sich an all das klammern, sich falschen Hoffnungen hingeben und zu Schlüssen verleiten lassen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.

Dabei ist die meist, das müssen gerade die Milchbauern in diesen Wochen erkennen, ganz anders. Allem Getöse zum Trotz fällt der Milchpreis seit langem. Österreich ist, auch wenn manche so tun, keine Insel und die heimische Landwirtschaft ist nicht der Nabel der Welt. Die Musik spielt woanders.

Das wissen die Verantwortlichen jedweder Provenienz zumeist ganz genau.

Zumeist - denn nicht immer sind es Kalkül, Hilflosigkeit oder gar Bosheit, die das Handeln leiten. Oft ist es einfach das schlichte Gemüt oder das Fehlen von Ideen. Diese Leute freilich sind für die Bauernschaft noch gefährlicher, weil sie all die Spiele für die Galerie wirklich für Politik halten - derzeit gerade für die Milchbauern, morgen schon wieder für andere.

Blick ins Land" Nr. 06-07/09 vom 12.06.2009

Auf zwei Beinen steht man besser





Hohe Konsumentenpreise, weltweite Sorge um die Ernährungssicherung, Welthunger - und die heimische Landwirtschaft will noch mehr Rohstoffe für die Industrie erzeugen, statt die Erzeugung von Nahrungsmitteln zu forcieren? Mais nicht nur für Sprit, sondern auch für Fliesenkleber? Wiesengras nicht für die Kühe, sondern für Kosmetika?

Was angesichts der Diskussionen über teure Lebensmittel und angespannte Versorgungslage im Vorjahr verwundern mag, macht dennoch Sinn. Denn von den Diskussionen können, das beweist gerade die dramatische Situation bei Milch, die Bauern nicht leben. Zwischen der Welt der politischen Forderungen und der Prognosen und der Realität, wie sie auf den Höfen empfunden wird, klaffen Welten.
Milch will derzeit niemand, die Nachfrage nach Fleisch ist auch nicht überbordend. Und Getreide gibt es ebenfalls wieder genug. Überall könnten die Preise weit besser sein. Ja, sie müssten weit besser sein, damit die Bauern ein gutes Auskommen hätten.
Darum ist es nur logisch, dass sie ihre wirtschaftliche Basis ausbauen, nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Energie und nachwachsende Rohstoffe für die Industrie erzeugen. Das gibt Sicherheit in ihrem Umfeld, das einem enormen internationalen Druck ausgesetzt ist, das zunehmend von Spekulanten bestimmt wird und in dem man nicht auf Knopfdruck reagieren und die Produktion einfach zurückfahren kann.
Es ist wie immer: Auf zwei Beinen steht man besser als auf einem. Und mit zwei Beinen sind die Bauern immer schon im Leben gestanden.

Von Hans Gmeiner am 12. Jun 2009 um 10:30 in Wirtschaft

Saftige Wiesen für Lösungsmittel





Industrierohstoffe aus Gras, Mais und Obstkernen – die Landwirtschaft ist bei der Suche nach Marktchancen sehr findig.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Es war der Tag des Horst Steinmüller. „15 Jahre ist es her, als wir das erste Mal darüber redeten“, sagte der Linzer Wissenschafter, als sich kürzlich Vertreter aus Politik und Wirtschaft bei der Eröffnung der ersten Bio-Raffinerie im oberösterreichischen Utzenaich drängten. In Containern auf dem Gelände der dortigen Biogasanlage bekommt der Ausdruck „saftige Wiesen“ eine ganz neue Bedeutung. „Aus dem Silagesaft von Wiesengras gewinnen wir Milchsäure und Aminosäure“, erklärte Steinmüller. Gebraucht werden diese Produkte nicht nur in der Lebensmittelerzeugung. Die Chemieindustrie etwa setzt sie für die Erzeugung von Desinfektions-, Reinigungs- und Lösungsmitteln, die Metallindustrie für den Korrosionsschutz ein. Auch die Kosmetikerzeuger wissen die Stoffe zu schätzen. Sie verwenden sie als Stabilisatoren und Emulgatoren in ihren Produkten.
In der 3,2 Millionen Euro teuren Pilotanlage in Utzenaich werden derzeit pro Stunde aus einer Tonne Grassilage 400 Liter Saft gepresst. „Daraus gewinnen wir jeweils zehn Kilogramm Amino- und Milchsäure“, sagt Steinmüller. „Mit den Kosten liegen wir deutlich unter den Marktpreisen.“„Gras wird wertvoll“ Wenn das so bleibt, könnten die hochtrabenden Erwartungen der Landwirtschaft bald in Erfüllung gehen. Agrarpolitiker wie Oberösterreichs Agrarlandesrat Josef Stockinger kommen schon jetzt ins Schwärmen. In zehn Jahren könnte, so hofft er, der Grünschnitt von 15.000 Hektar Wiesen in zehn Großanlagen nicht nur zu Energie, sondern auch zu Rohstoffen für die Industrie verarbeitet werden. „Gras wird damit wertvoll, das wäre eine echte Hoffnung für die Milchbauern. Sie hätten für das Grünland endlich eine zusätzliche Nutzung außerhalb der Nahrungsmittelkette.“ Die Ackerbauern sind ihnen da voraus. Mehr als zehn Prozent der heimischen Ackerfläche von 1,4 Millionen Hektar werden bereits für die Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen und nicht für die Nahrungsmittelproduktion genutzt.
Allein die Ernte von 60.000 Hektar Mais und Weizen wird in der Agrana-Anlage in Pischelsdorf zu Bioethanol verarbeitet, die Ernte von 10.000 Hektar Raps geht in die Biodiesel-Produktion und von 30.000 bis 40.000 Hektar Mais und anderen Pflanzen wird in Biogasanlagen Wärme und Strom erzeugt.
Immer größere Bedeutung für die heimische Landwirtschaft gewann in den vergangenen Jahren die Produktion von Stärke. In den Werken in Aschach/Donau und Gmünd verarbeitet die Agrana die Ernte von 35.000 Hektar Mais und von 5700 Hektar Kartoffeln.
Längst ist die Lebens- und Futtermittelindustrie nicht mehr der einzige Abnehmer. Ein knappes Drittel der von der Agrana erzeugten Stärkeprodukte geht bereits jetzt als technische Stärke in die Industrie. Sie findet sich in Papier und Wellpappe genauso wie in Fliesenklebern, Spachtelmassen und Putzen oder als Trägermaterial in Tabletten, Pillen oder Dragées. Zusätzliche Nachfrage in den nächsten Jahren erwartet man sich vor allem von Biokunststoffen, für die Stärke ein wichtiger Rohstoff ist.
Neben Agrana stieg im Vorjahr Jungbunzlauer groß in die Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen ein. Im Werk in Laa an der Thaya will der Konzern jährlich die Ernte von rund 25.000 Hektar Mais zu Zitronensäure nicht nur für die Produktion von Lebensmitteln erzeugen, sondern auch für die Verwendung in Pharmazeutika, Reinigungsmitteln und ähnlichen Produkten. Derzeit läuft die Anlage im Probebetrieb.
Die Landwirtschaft gibt sich damit noch nicht zufrieden. Intensiv wird nach weiteren Absatzmöglichkeiten für Agrarprodukte gesucht. Zu Projekten, wie sie die Forschungsförderungsgesellschaft des Bundes unterstützt, zählen etwa die Erzeugung von Netzgeweben aus Naturgarnen für die Verpackungsindustrie, die Produktion von Kunst- und Schaumstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen oder das „Kernkraftwerk“ der Zukunft – aus Kernen von Kirschen, Marillen und Zwetschken könnten schon bald nicht nur Öl, sondern auch Naturkosmetika oder gar ein Werkstoff für die Industrie gemacht werden.
Wirtschaft / 12.06.2009 / Print

Freitag, 5. Juni 2009

Der Zynismus der Reichen





Es nimmt kein Ende. Immer neue Wellen. Weltbank, UNO-Organisationen, Gruppen wie Greenpeace und auch manche politische Führer aus Staaten der Dritten Welt, dazu die vielen Politiker und Gruppierungen, die hierzulande politisches Kleingeld machen wollen - die Erzeugung von Biotreibstoffen sei nicht nur schädlich für die Umwelt, sondern auch für die hohen Lebensmittelpreise verantwortlich. Und für den Welthunger. Sonnenklar.

Was müssen sich wohl die österreichischen Bauern dabei denken?

Was mussten sie in den vergangenen Jahrzehnten Hohn über sich ergehen lassen. Wie sehr litten sie darunter, dass ihre Produkte nichts mehr wert waren. Nur noch Erzeuger von Überschüssen, die niemand braucht und die noch dazu Milliarden an Stützungen erforderten, um sie irgendwie verkaufen zu können. Nichts war zu verdienen in der Landwirtschaft. Flächen wurden stillgelegt, die Produktion zurückgefahren. Auf den Feldern und in den Ställen war Extensivierung angesagt. Und auch politische Linie.

Bauern als Grünraumpfleger.

Die Preise waren trotzdem im Keller. Viele Bauern sahen sich als Almosenempfänger und die Landwirtschaft als Problembranche.

Unintelligent seien ihre Produkte, mussten sie sich anhören, ohne jede Zukunft. Gerade, dass sie sich nicht schämen mussten. Zu dumm und zu träge, um das Richtige für den Markt zu erzeugen, wussten die Kritiker.

Nun geht es der Landwirtschaft etwas besser, gibt es etwas, das man lange nicht mehr kannte - Perspektiven. Und schon sind sie wieder da. Genau die gleichen, die immer gewusst haben, dass man die Landwirtschaft eigentlich gar nicht mehr braucht, die sich über die Überschüsse lustig machten und die wortgewaltig kritisierten, dass die Industriestaaten, allen voran die Europäische Union, mit ihren Überschüssen die Landwirtschaft in den Ländern der Dritten Welt in den Ruin treiben. Die Überschüsse werden dort, so der Vorwurf der vergangenen Jahrzehnte, billig auf die Märkte geworfen und verdrängen die ortsansässige Landwirtschaft.

Und jetzt? Genau die gleichen, die bisher so argumentierten, werfen nun den Industriestaaten vor, durch die Erzeugung von Biotreibstoffen die Preise für Lebensmittel in die Höhe zu treiben, für die Hungerrevolten in Ländern wie Mexiko, Ägypten oder anderswo verantwortlich zu sein, ja überhaupt für den wachsenden Hunger in der Welt.

Das ist schwer zu verstehen. Und es entbehrt nicht eines gewissen Zynismus.

Denn eigentlich tun die Industriestaaten, insbesondere die Europäische Union und damit auch Österreich, mit dem Aufbau einer Biotreibstoff-Erzeugung seit Jahren genau das, was immer verlangt wurde. Man baut eine Verwertung für die eigenen Überschüsse auf. Für jene Überschüsse, für die man völlig zu Recht so heftig kritisiert wurde, weil sie die Märkte in der Dritten Welt verderben.

Milchseen und Getreideberge, lange Jahrzehnte Stoff für massive Kritik an der Landwirtschaft sind Geschichte, die Lager sind leer.

War es nicht das, was immer verlangt wurde? Obwohl Hunderte Millionen Menschen hungerten.

Das ist auch das Zynische gegenüber den Menschen in der Dritten Welt. Das Hungerproblem gab es dort schon, als es überall Agrarüberschüsse gab und in den Industriestaaten Lebensmittel vernichtet wurden. Was muss man sich dort gedacht haben, als man hörte, dass in Europa Flächen stillgelegt werden; was, wenn sie lesen mussten, wie Fleisch, Getreide und Gemüse vernichtet wurden?

Da war von denen, die sich jetzt so große Sorgen um den Hunger machen, nicht viel zu hören. Da waren sie wohl noch damit beschäftigt, die Landwirtschaft zu geißeln und für ein Problem zu halten.

Bemerkt hat man das Hungerproblem wohl erst, als in Wien, London, Rom, Paris und New York die Milch für den reichlich gedeckten Frühstückstisch teurer wurde, das Stück Emmentaler fürs Jausenbrot und die Spaghetti für die Bambini. Da wurden zunächst einmal die vorgeschickt, denen es auch bei uns nicht gut geht. Menschen mit geringeren Einkommen sind von der Teuerung der Lebensmittel überdurchschnittlich betroffen, wurde vorgerechnet. Dann kamen die Demonstrationen in Mexiko, die Revolten in Ägypten und in anderen Staaten. Und dann merkte man: Da ist ja auch noch das Hungerproblem.

Der schnelle Schluss lag nahe: Biotreibstoff ist für den Welthunger verantwortlich.

Dieser Schluss aber ist zu schnell. Und deswegen gefährlich für Menschen der Dritten Welt. Denn es ist falsch, Biosprit allein als Preistreiber zu brandmarken und andere viel wichtigere Faktoren zu vernachlässigen.

Bei der Bekämpfung des Welthungers geht es nicht um die Frage Biosprit ja oder nein, sondern darum, den Ländern und den Menschen dort wirklich zu helfen. Landwirtschaft in den betroffenen Ländern ist oft schwierig, Agrarpolitik gibt es kaum, Despoten sitzen an den Hebeln der Macht oder multinationale Gesellschaften haben sich alles unter den Nagel gerissen. Oder beides.

Das ist das eine.

Das andere: Was wollen all die Kritiker eigentlich jetzt von der Landwirtschaft in Europa und in anderen Industriestaaten? Dass wieder mit Vollgas produziert wird? Mit allen Mitteln und mit allen Technologien? Dass in Europa und Nordamerika ganz gezielt Agrarüberschüsse produziert werden, die dann in die Dritte Welt geschickt werden? Wie stellen sie sich die Hilfe vor?

Oder will man das Rad zurückdrehen? Runter mit den Preisen, wieder Flächen stilllegen, Feinkost erzeugen für den feinen Frühstückstisch?

Und Hunderte Millionen Menschen in aller Welt hungern weiter? Wie in den vergangenen Jahrzehnten auch?

Das kann es wohl auch nicht sein. Darum ist dringend eine Versachlichung der Diskussion zu fordern. Es gibt viele Fragen zu diskutieren. Aber die Hysterie der vergangenen Monate dient niemandem. Nicht der Umwelt. Und schon gar nicht den Menschen, die Hunger leiden.

Hans Gmeiner
Raiffeisenzeitung" Nr. 23/08 vom 05.06.2008
 
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